Zwischen Wusterwitz und Ziesar

11. März 2018, der sonnigste Sonnentag!
Geplant ist Potsdam, aber der Zug fährt über Golm – klar, weiß jeder… ich auch. Egal jetzt: der Sonne entgegen müsste ich auch ohne Karte, ohne Getränk und ohne Essen von Kirchmöser nach Ziesar kommen.

Schwedischer Osterbrauch
Schwedischer OSTERBRAUCH: der Osterstrauß wird mit Federchen geschmückt. Natürlicher, zollfreier Brauchtumsimport im EU-Vogelschutzgebiet Fiener Bruch, 11.3.2018

Südwärts

Auf der östlichen Seite vom Wusterwitzer See meide ich jeden Ort. Laut krakelende und trompetende Graugänse fliegen über mich hinweg, hin und her zwischen Schilfgürtel und gedecktem Mittagstisch auf dem Feld. Am Horizont stehen sie vor dem blauen Himmel wie die Gesandtschaft uralter Götter.
Kurz darauf treibt mich der Baumarkt-Landhaus-Stil eines Bollywoodmöchtegerns den Berg hinauf. Ich trällere “an mein Hauserl stehn viel Lamperl” hinterher. Dann gibt es nur noch Wald und Feld, hügelig und einsam. Es zippt,  girrt, tsits und piept. In hohem Singflug tirillieren die Lerchen. Aus weiter Ferne grüßen Kirch- und Ziegeltürmchen. Einmal spürt mir ein  knatternder Freestyle Motocrossathlet nach. Ich springe ins Feld  und nehme die Dankesbezeugung seines Wheelie-Zirkushighlights bewundernd entgegen. Der blaue Ninjago Jay verschwindet ostwärts.  Mir zeigt die Sonne: ich bin zu weit westlich, vielleicht schon an der Landesgrenze zu Sachsen-Anhalt.

Eine Landstraße, beidseitig in die Unendlichkeit – solche Querung birgt immer die Gefahr der falsch eingeschlagenen Richtung. An einer vermüllten Wegegabelung gerate ich schließlich auf den „Bunten Dörferweg“ zwischen Wusterwitz, Viesen, Rogäsen, Zitz, Warchau und Gollwitz. Meine erste konkrete Orientierung. Rundkurs oder Ziesar? Keiner der Wege wirkt einladend. Richtung Zitz geht es entsprechend durch eine Halde, als Baustelle bemäntelt.

Graugänse bis zum Horizont
Graugänse bis zum Horizont
Schickimicki
Wunderland im Havelland
Vogelnest
Das erste Vogelnest
Schäferwagen am Wusterwitzer See
Es war einmal am Wusterwitzer See
Am Hang
Wegelos am Hang
Alter Pilz
Goldgelber Zitterling vertrocknet
Wanderweg
Kreuzung – Niemandsland für Umweltignoranten
Feldweg an der Waldkante
Feldweg im Hügelland

Zitz

Vor mir kämpft eine Mutter mit Kinderwagen durch Schlamm und durch den wahrscheinlich sehr ereignislosen Dorfsonntag von → Zitz. In der Dorfmitte die Kirche mit zwei, jeweils dem Bismarck und dem Kaiser (? – ich hab nur flüchtig gelesen) gewidmeten Linden, darunter Blüte an Blüte goldgelb leuchtende Winterlinge und summende Bienen. Mir gefällt’s.
Ein Denkmal mit Eisernem Kreuz habe ich friedlich gestimmt links liegen gelassen. Jetzt nachgelesen: 1813 kam es bei und in Zitz zu Kämpfen zwischen preußischen und französischen Einheiten. Leider damit den Zusammenhang zur wenig späteren → Schlacht bei Hagelberg verpasst…

Richtung Fiener Bruch führt eine mit Ackersteinen bunt gepflasterte Straße hinunter. Ich hoffe, diese Straße wurde unter Denkmalschutz gestellt: eine seltene Schönheit, die mir ein liebenswürdiger Dorfengel (weiblich) zeigt – eine unübliche, gastfreundliche Möglichkeit, für aussterbende Dörfer zu werben. Der Engel bestätigt: „Da kann man einen Hut durchs Dorf werfen und es kommt keiner zur Tür raus.“  Ich stutze. Nie gehört. Langsam dämmert mir eine Verbindung zwischen “einen Hund hinter dem Ofen vorlocken” und “eine Sau durchs Dorf treiben”. Vielleicht muss ich auch nur zum Ohrenarzt.

Zitz, vom Fiener Bruch aus gesehen
Das Rundlingsdorf Zitz auf dem Berg
Windpark
Windpark Zitz-Warchau

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Winterlinge
Winterlinge
Gedenktafel und Stein aus diversen Zeiten
Zitzer Kirche: Stein aus diversen Zeiten

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Alter Bahndamm Zitz
Alte Bahnstrecke Rogäsen – Zitz – Karow
Kirchturm hinter den Gedenk-Linden
Kirchturm hinter den Gedenk-Linden

Durch den Fiener Bruch nach Ziesar

Melioriertes Urstromtal: Gräben und Bach. Ich bin in leiser Eile. Trotzdem tönt und zeigt sich kein einziger Vogel in diesem Vogelschutzgebiet. Der Fiener Bruch zieht sich als unendliche Ebene hin, extra für Großtrappe, Brachvogel und Kiebitz fast ohne Baum und Strauch.

„Südöstlich von Genthin und südwestlich von Brandenburg, von beiden Ortschaften gleichweit entfernt, liegt das Städtchen Ziesar, dessen Schloss einst als eines der festesten im ganzen Lande galt.“
Karl May “Ritter und Rebellen. Wildwasser”, Kap. 1

Neben mir sprengt urplötzlich ein Reiter vorbei. Auf dem Sand wie ein Geisterritter – doch, vor mir ist er jetzt zu hören. Ach ja, hier entlang sind sie vielleicht gejagt, die bischöflichen Mannen in den Vernichtungsfeldzügen gegen die Quitzows und wieder zurück zur eingenommenen, einst slawischen Burg „civitas Ezeri” = slawisch „za jezero”, gesprochen Zi-e-sar – „Ort hinter dem See” (der wurde trocken gelegt). Aufs Pferd hat mich der proppere Ritter nicht genommen. Ich bin aber sicher, er gehört zu der Mannschaft, die am ersten Juni-Wochenende 2018 die Feierlichkeiten zum 1070. Jahrestag der Stadt Ziesar* historisch ausschmücken wird.

Für mich reicht die Zeit gerade noch für einen Blick auf den Querturm der einstigen Zisterzienser-Klosterkirche St. Crucis. Hilfsbereite Menschen weisen mir den Weg zur Bus-Haltestelle. Hoffe, dafür verbrennt nicht der Sonntagskuchen (aus der Tür duftet es nach Weihnachten und Geburtstag zusammen).

Lieber zu früh als zu spät: cooles Jungvolk von der Tankstelle ist ebenso hilfreich wie der Busfahrer, der mich – sichtlich abgehetzt – bereits am Frauentor aufsammelt. Kurze Wartezeit am → Bahnhof ohne Schienen. Mit diesem nachmittäglich letzten Bus sammelt und setzt der Fahrer dann ab, wie und wo es gewünscht wird. Was für ein Service! Nach seinem Nettolohn frage ich lieber nicht.

Kühe
Rinderzucht im Fiener Bruch
Schlammweg
Schlamm und “Schienen” auf dem Damm

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Fiener Bruch
Weites Land
Graben
Fiener Bruch

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Ziesar
Ziesar, Querturm von St. Crucis
Reiter Richtung Ziesar
Richtung Ziesar: Raubritter?

Abendstimmung in Wusterwitz

Noch strahlt der Himmel. Ich kippe in Wusterwitz aus dem Bus. Der getränkelose Tag wirkt. Die dringende Flüssigkeitszufuhr gelingt im erstaunlicher Weise sonntags geöffneten Getränkemarkt.
Die Luft streichelt immer noch warm.  An der sumpfigen Verbindung zwischen Wendsee und Wusterwitzer See locken die Weidenkätzchen silbern und samten. Nirgends aber eine Biene. Vielleicht ist es zu spät am Tag.
Für mich reicht die Zeit, um in abendlicher Stimmung zum Bahnhof Kirchmöser zu spazieren, ca. 6 km. Mindestens 25 Kilometer werde ich insgesamt geschafft haben.

Wusterwitzer See Richtung Süd
Wusterwitzer See Richtung Süd
Zwischen Wendsee und Wusterwitzer See
Zwischen Wendsee und Wusterwitzer See

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Abendstimmung
Abendstimmung
Sonnenuntergang
Sonnenuntergang

Später lese ich: 27 km lang ist der Rundkurs „Bunter Dörferweg“ ab Bahnhof Wusterwitz. Klingt gut – falls auch außerhalb von Wusterwitz einmal ein kleines Gartenlokal geöffnet hätte. Zu empfehlen sind derzeit solche Wanderungen nicht. Dass in den westlichen Zipfel Brandenburgs an den Wochenenden Busse nur 2x täglich zwischen Bad Belzig und Brandenburg fahren, ist ein Risiko.
Und wer sich auf der Rückfahrt in den Zug Magdeburg – Berlin fallen lässt, um selig seinem Ziel entgegen zu schlummern, der landet ohne Blick auf die Bahnsteiganzeige uninformiert direkt von Brandenburg aus wieder in Kirchmöser (manchmal). Von Potsdam nur mit Weiterfahrt per S-Bahn ganz zu schweigen.
Inwieweit Schweigen und Ohrenstöpsel in Kirchmöser anderweitig notwendig wären oder gerade öffentlichen Protest über den Bahnhofsdurchgang hinaus erfordern würden, kann ich nicht endgültig beurteilen. Augen zu und durch? Jedenfalls hat Wandern durch “Heimat” manchmal nicht nur Dornen, sondern auch Haken, die für Fremde nicht immer offensichtlich sind.

Kirchmöser vs. Kirchmöser
Interna von Kirchmöser

*Die 1070. Jahresfeier Ziesar vielleicht wieder mit einem → Bezug zu Karl May, ansonsten → hier bei mir.

Bilder bitte mit Mausklick vergößern.