24.6.2018
Ca. 30 km Fortsetzung der Wanderung von Hillenberg nach Tann – Abschied von Rhön und Bergwaldprojekt
Also auch die Kategorie Weitwanderweg „Hochröhner“ kreist – auf die Idee wär ich nie gekommen. Ich will vorwärts. Den nächsten Ort lasse ich links liegen, komme nach Sinswinden.
Eine Weggabelung. Irgendwo läuten die Glocken. Im Stall ist Arbeitsleben. Ich frage. Die Frau: mein Jahrgang, ihr Mann dann wohl älter, ein jüngerer auch. Ich schäme mich so tralitrala mit Rucksack durch die Welt. Wahrscheinlich ist Urlaub hier unbekannt, der Hof lässt so etwas nicht zu.
„Wenn’s man so bleibt.“ Ich höre die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft aus den wenigen Worten. Der Mann schweigt auf mich bedrückende Weise.
Kaum einen Kilometer entfernt ein wüster Ort: Dorfstelle Langwinden.
Mir wird zum ersten Mal bewusst: hier gab es ihn – den Unrechtsstaat. In Berlin lief es ja wohl auf beiden Seiten relativ lustig und mitten drin im Land gar nicht so schlecht, vor allem nicht für die LPG*.
Sinswinden – Langwinden werde ich nicht vergessen.
Motzlar möchte ich auslassen, aber alle ausgeschriebenen Ziele sind böhmische Dörfer für mich. Ich tänzle zwischen Kranlucken, Point Alpha, Kohlhof vor und zurück, um dann doch die Sicherheit zurück nach Motzlar zu wählen. Das waren 2 km, jetzt sind es 2 Stunden. Nee, trotzdem jetzt nicht den Radweg an der Straße. Die Ulster fließt glasklar, im Dorf rührt sich nichts. Ich jappse 400m hoch Richtung Apfelbach / Rockenstuhl. Das hatte ich nicht erwartet – Apfelbäche fließen in meiner Vorstellung unten. Meine Verpflegung ist schon seit gestern alle. Ein Busch voller Himbeeren – lecker. Für die Walderdbeeren reicht die Kraft nicht: ich müsste den Rucksack absetzen und ohne erhöhte Möglichkeit wieder schultern.
Geht in diesem katholischen Land keiner sonntags in die Kneipe? Doch, aber Kneipen sind nur mit Rad erreichbar. Biker rasen unzählige an mir vorbei (wollte ich eigentlich meiden…). Wortfetzen sind zu erhaschen: „hechel hechel – das müssen alles Profis sein…“ Heulender Sohn rasend auf Kleinrad: „Wann sind wir da?“ Vater genervt nach hinten: „Das ist eine Rundfahrt!“
Hätt ich mir denken können. Genau, ich bin in der falschen Richtung auf dem Rundweg, bekomme grad so noch die Kurve gen Nord zum Geiserämter Kreuz.
Die Radfahrer strampeln nur noch vereinzelt und grüßen jetzt. Ich kann zwischen Geismar und Geisa entscheiden. Letzteres geht nur über Schleid (zumindest auf dem Rhönklubwegweiser). Zum Mittag möchte ich in Geisa das Besteck vom Wegweiser erreicht haben, also verlass ich blöde Kuh mich wieder auf den Rhönklub.
Runter bis Schleid, dort die berühmte Barockkirche greifbar nahe. Keine Erdbeeren, dann auch jetzt kein Gott…
Ich kurve auf Beton in riesigem Bogen um Schleid drum herum und lande kaum weiter entfernt als vorhin an der Kirche von der anderen Seite. Vor mir endlos gerade Straße bis Geisa. Ärgerlich, egal. Nur weiter, weiter die Durststrecke zum Besteck. An der Biege mit Schild zur Geisschänke werden gerade die Pferde ausgespannt: aha, kürzer ist es zur Pizzeria. Vor meinen Augen flimmern fettige, rot-graue Salamischeiben mit darüber fließendem Käsepapp. Aber Kaffee soll es auch geben.
Es gibt. Köstlichen Kaffee und köstlichen Salat beim echten und integrierten Italiener (Blumen werden mit Marktbrunnenwasser gegossen; man kennt sich offensichtlich in weitem Umkreis). Alles bestens: die Pizzeria Zur Krone ist das, was Wanderer und Biker lieben.
Am Schloss bin ich schon vorbei. Total gestärkt und erfrischt drehe ich eine freiwillige! Runde um die Kirche. Siehe da: Geisa ist der Geburtsort von Athanasius Kircher, Universalgelehrter, heute eher als Phantast und Ästhet den Künstlern bekannt, sogar mit Ansätzen zu Musiktherapie und Computertheorie. Dieses Geisa! Früher dachte ich bei dem Ortsnamen, dass es irgendwo in Italien liegt.
Geisa hat mich ausgesöhnt mit den Verwirrungen und Verirrungen auf den Rhönklub-Wegen: die Rhön ist die Rhön ist die Rhön und ist eben rund.
Und jetzt gezielt nach Vacha, Ende des Pilgerweges ab Görlitz – Bautzen, das weiß ich zum Glück. Ich bin so gut wie zu Hause und alles andere irgendwann anders: die Rhön ist extra.
Borsch –Buttlar, das klappt schon mal. Die Kelten waren hier und Märchenland ist auch. Insgesamt drei prächtige Pippi-Langstrumpf-Pferde vor zwei zweirädrigen Wagen wie sie schon die Kelten kannten, traben an mir vorbei, biegen ab wo ich besser auch hätt abbiegen sollen. Nun gut, ich ärgere mich nicht mehr über die Wegeführung. Richtung Vacha bleibt dann allerdings nur die stark befahrene Straße, wenn ich nicht über die Berge steigen will, die ich grad von hinten gesehen hab.
Ab und zu finde ich gemähte Streifen, Traktorenspuren und zum Schluss einen abzweigenden Weg, sinke auf eine Bank. Kinder umringen mich. Ach, die Oma hat 78. Geburtstag und hier ist Hüttenroda. Da kommen auch schon zwei leckere Kuchenstücke aus dem Haus – die Straße füllt sich, das Jüngste krabbelt. Den Weg bekomme ich genauestens von den Kindern – zu Besuch aus Erfurt (alles schon Heimat) – beschrieben. Ich wandere relaxed nach Sünna und komme zum Sonntag etwas spät in Vacha an. Aber alles wird gut, weil die Menschen hier gut sind und freundlich.
„Wenn’s man so bleibt.“
* Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft
Von der Langen Rhön bis Tann, Wanderung nach Abschluss des Bergwaldprojektes 2018
Heimwärts-Exkurs Vacha – Eisenach – Berlin, Regiobus nach Eisenach, Flixbus bis Berlin
In der Rhön blüht es blau, so blau…, Bergwaldprojekt 2018 in der Bayrischen Rhön
Das Schwarze Moor in der Rhön, Exkursion zum Bergwaldprojekt 2018
Bergwaldprojekt Bayrische Rhön 2018, rund um Hillenberg