18.08.2018. Solo auf der Suche nach den Quellen von Polsbach und Klein Briesener Bach: ca. 12 km in 4 Stunden im Fläming zwischen Ragösen und Klein Briesen
Zum Ausschlafen: 10h mit dem Zug nach Bad Belzig, sofortiger Anschluss mit Plus-Bus Richtung Brandenburg bis Ambulatorium Ragösen. Achtung, Ragösen ist ein Straßendorf: jetzt nur nicht die ätzende Briesener, sondern vorwärts, gleich links zum Waldrand, am Ende abbiegen auf den Burgenwanderweg zum Bullenberger Mühlenteich. Kein Mühlrad klappert, aber die Mühle selbst ist noch eine imposante, gepflegte Zäsur zwischen Wohnplatz und Natur.
Sitzt der Angler am Teich, ist Baden unerwünscht. Was für ein Glück: auf meinem Rückweg kommt die herzliche Einladung einer Radlerin – ja, es geht ohne alles! Ein wunderbarer Abschluss plus einige Falläpfel am Wege. Die taffe, coole Busfahrerin vom Morgen (wer würde das dieser blutjungen Type im „richtigen“ Leben zutrauen???) braust um die Kurve, hält für mich zwei Sec länger – rennen, springen, fahren – ein perfekter Tag, jetzt im Einzelnen:
Quellkessel Polsbach
Auf dem Hang entlang, linksseitig vom Fließ, geht es am schnellsten vorwärts. Auf den ersten Blick eintönig, aber den Waldumbau sehe ich nach meinen Bergwaldprojekten inzwischen mit Interesse.
Nach Queren des Polsbaches der Abzweig zum Biotop Quellkessel. Ein Blick über das Feld Richtung der eigentlichen, wasserreichen Quelle, dann zurück und die Jagdschneise abwärts – vorsichtig, aber laut genug, um das Wild nicht zu verschrecken. Die große Stille. Herzklopfen kostenlos. Tritt der Jäger erbost hinter einem Baum hervor oder der verzauberte Prinz? Es ist ernüchternd. Nicht einmal ein Vogel warnt. Die Hänge hinunter fließt nichts, vielleicht sickern einige Tröpfchen unsichtbar unter Wurzeln hervor in die letzten Lachen. Rückwärts blickend erschreckt die Monokultur. Mit Sicherheit saugen die Kiefern zu viel des kostbaren Wassers aus dem Berg.
Zwischen Buckau und Rottstock liegt der produktivste Quelltopf nicht nur des Flämings, sondern im ganzen Land Brandenburg. Eine Forellenfischerei lebt davon. Nein danke. Ich warte mal den Frühling ab.
Die Kursächsische Grenze
Weiter zum Quellgebiet Klein Briesener Bach. Klein Briesen wird im Jahr 1375 erstmals im Landbuch Karls IV. erwähnt. Bis 1815 gehörte es zur Mark Brandenburg, das benachbarte Groß Briesen zum Herzogtum Sachsen mit Burg und Amt Belzig. Die kursächsische Grenze ist eine der ältesten gekennzeichneten Trennlinien in Mitteleuropa, damals Heiliges Römisches Reich. Die Grenzsteine zwischen Erzbistum Magdeburg, Brandenburg und dem Herzogtum Wittenberg (Kursachsen) um den besonders umstrittenen Bereich Brück – Ragösen – Großbriesen wurden bereits 1580 gesetzt. Erst auf dem Wiener Kongress 1815 kam das Territorium zum Königreich Preußen.
Die aus sächsischem Sandstein gefertigten Blöcke sind teilweise erhalten. Sie tragen auf sächsischer Seite das Wappen der Wettiner und die Aufschrift „Sachsen“, auf ihrer anderen Seite das Brandenburger Wappen bezeichnet mit „Brandenburg“.
Direkt am Klein Briesener Bach steht neben einer Info-Tafel ein Stein, schon schwer beschädigt. Den besser erhaltenen finde ich beim Umkreisen der für mich so furchterregenden Betonruinen*.
Das Rittergut derer von Thümen
Klein Briesen besitzt in den meisten Zeiten nur wenige Hofstellen. 1582 verkauft Kurfürst August von Sachsen eine Mahlmühle zusammen mit der Schäferei „Forwergk am Bolenberg“ an das märkische Adelsgeschlecht derer von Thümen. Die damals angeblich am Zusammenfluss von Klein Briesener Bach und Polzbach gelegene Mühle ist heute ein Rastplatz mitten im Wald. 1608 entsteht ein Rittersitz derer von Thümen in Klein Briesen.
Das Geschlecht derer von Thümen erscheint erstmals 1281 urkundlich in einem Tauschbrief des Herzogs von Sachsen und Burggrafen von Magdeburg. Blankensee, Gut Caputh mit Schloss, die Güter Neu-Langerwisch und Stücken gehörten ebenfalls der Familie. Theodor Fontane erwähnt in seinen Wanderungen durch die Mark Brandenburg den bedeutenden Grabstein in Blankensee.
Bevor Klein Briesen erreicht wird, führt der Weg vorbei an einem sehr einfachen Wandgrab derer von Thümen vom Ende des 19. Jahrhunderts: ein dreiseitiges, rechteckiges Klinkermauerwerk, mittig drei Segmente. Alle Inschriftentafeln fehlen, alles am Boden unter dichtem Bewuchs, umgestürzte Bäume – ungeklärte, späte Geschichte, die in der Folge von Hauptmann und Batallionsführer Joachim Richard Franz von Thümen, gefallen im 1. Weltkrieg, als Ritter dargestellt auf dem Gedenk-Epitaph an der Gutskirche, in ihrer Zwiespältigkeit nur zu ahnen ist: Ordensritter + preußische Tradition…
Die Gutskirche im Ort ist eine der kleinsten Brandenburgs, ein Fachwerkständerbau aus Eichenholz mit backsteinernen, später verputzten Gefachen. Das Baujahr 1692 findet sich auf dem Sandsteinrelief mit dem Wappen derer von Thümen. Die Kirche kann laut Infotafel besichtigt werden – wahrscheinlich lohnend: einiges Inventar ist erhalten geblieben.
Ein artesischer Brunnen
Gelbrotes, eisenhaltiges Wasser tritt aufgrund des Eigendruckes an die Oberfläche der einstigen Viehtränke. Die hydrologische Besonderheit reicht hier allerdings nur für einen Mini-Sprudel aus dem schützenden Findlingshaufen und fließt als Bächlein ins Gebüsch. In diesem trockenen Jahr ist im Umkreis alles versickert. Überhaupt der kleine Umkreis – die Vergangenheit lässt grüßen mit Beton.
Da schweigt der Molch
Der Bach geht meinen Augen in Klein Briesen verloren. Am ehemaligen Stallgebäude des Gutshauses (luxuriös zum Wohnen umgebaut) vorbei, verzweigt der Weg hinter einer Grundstücksruine. „Da geht es nicht weiter“ erhalte ich Auskunft aus einem Auto von dort, wo es nicht weitergeht. Nach links künden auf dem breiten Forstweg vertrocknete Tannenreiser an verfallenen Holz-Unterständen von großen Jagden. Mittig geht es zum Juliushof – Waldkammergut, einstiges Vitalhotel, EU gefördert in Zusammenhang mit dem Europäischen Bildungswerk für Beruf und Gesellschaft. Das verkündet ein Billboard, verhängt von Blattwerk.
Google meldet viel „Seite nicht gefunden”. Bilder gibt es ohne copyright-Hinweise und „Star World Hotels“ / „Holidaycheck“ mit dem Text: „Die Bewertungen sind älter als 2 Jahre oder das Hotel hat sich grundlegend verändert. Waren Sie kürzlich dort Gast?“ Nee, aber gesehen habe ich diesen „Geheimtipp, das absolute Romantikhotel für Mädels-Wellnessurlaub” oder “slowakische Woche in Brandenburg” und “…verwöhnen Sie sich mit einer Kosmetikbehandlung, Ayurveda- Behandlung, Entgiftungskur, Massage, Sauna, Solarium, Whirlpool … 510 ha Waldgebiet, Wandern, Radfahren, Sonnenbaden, Picknicken… Die ehemalige Jagdhütte bietet außerdem auf dem Privatgelände Möglichkeiten zur Jagd.“
Aha.
Aktuell scheint das Gelände eingekreist von versumpftem Wald. Ich krieche durch den Naturheil-Pfad „Juliushof“, der das Naturheilverfahren nach Kneipp und chinesische Fuß-Reflexzonen-Massage einst verbunden und das Wasser des Klein Briesener Baches sicher ausgiebig abgezapft hat. War mit dem 2003 ausgewiesenen NSG Bullenberger Bach/Klein Briesener Bach das Ende des Vitalhotels beschieden? Oder war die EU einfach nur ausreichend geschröpft worden?
In den Amtsblättern Bad Belzig google ich lieber nicht mit meinen ostdeutschen Vorurteilen. Sicher war alles gut gemeint und ist nun dauerhaft ein privater Rückzugsort. Ohne Weg und Steg entdecke ich eine kleine Steinpyramide, gewidmet MCMXCIV zu einem 60. Geburtstag und 2008 ergänzt: In MEMORIAM … In Nativitate Beatae Mariae Virginis.
In das Feuchtgebiet dringe ich nicht weiter vor. Quellen in Brandenburg sind in der Regel flächenhafte Grundwasseraustritte. In diesem moorigen, eiszeitlichen Tal entspringt nicht nur der Klein Briesener, sondern auch der Briesener Bach. Der ist begradigt und entwässert in anderer Richtung!!! nach Verlorenwasser bei Wollin.
Der Weg am Klein Briesener Bach
Auf dem Rückweg folge ich brav dem Oberlauf Klein Briesener Bach auf Burgenwanderweg und E 11 durch das Fauna-Flora-Habitat-Gebiet und NSG Bullenberger Bach/Klein Briesener Bach.
Mit dem Namen des Baches ist es schwierig: erst einmal verschwindet das naturbelassene Flämingfließ dem Blick als Klein Briesener Bach in sumpfigen Wiesen. Im Frühsommer war der Wiesen-Waldpfad nicht zu erkennen unter den gestürzten Bäumen. Heute ist freigeschnitten bis auf einen Riesen, der auch gleich das Gewässersystem durcheinander gebracht hat.
Zwischen Klein Briesen und Bullenberg nimmt der Klein Briesener Bach den Polsbach auf (nach alten Karten: Polzbach). „Die stark mäandrierenden, sommerkühlen, naturnahen Bäche besitzen eine hohe Wasserqualität.” ist zu lesen. Nun, das war vor dem Klimawandel. Vier Kilometer östlich Klein Briesens erreicht der Bach (zur Zeit eigentlich nur das Wasser Polsbach) den Mühlteich am Bullenberg und wird im unteren Verlauf zum Bullenberger Bach, der begradigt in die Temnitz mündet.
Die Bilder sind mit Klick zu vergrößern.
Zu diesem Bericht gehört folgende Wanderung:
*NSG Briesener Bach und Polsbach, einen Hinweis auf die angekündigte Bachflohkrebswanderung hab ich nicht entdeckt.
…oder einfach “meinen” → Fläming scrollen…
Hier ein Link zu einem professionell perfekten Bericht → zu den archäologischen Resten des Eisenhammers von Klein Briesen. Unbedingt anschauen und lesen!
“Oder war die EU einfach nur ausreichend geschröpft worden?” Was für ein arrogantes Geschreibsel … natürlich sind gescheiterte Existenzen im Osten immer mit Förderungs-Abzocke verbunden, im Westen hingegen mit heroischem Einsatz, grandiosem Wagemut und fehlendem Glück. Man kann gar nicht so viel fressen, wie man kotzen möchte bei so viel Borniertheit
Einen schönen guten Tag an den unbekannt gebliebenen Kommentator,
ich persönlich fühle mich immer betroffen vom Verlust einmaliger Orte, ganz gleich, was es letztendlich für Gründe gibt. Über diese Gründe mache ich mir allerdings Gedanken, vor allem, wenn mich die zitierten Beschreibungen aus dem Internet erst irgendwohin verlocken.
Übrigens sollten meine Fagezeichen nicht übersehen werden.
Wobei ich so arrogant bin, letztendlich froh gewesen zu sein, keinen “Mädels-Wellnessurlaub” vorgefunden zu haben.