15.9.2018: rund 20 km mit den Cöpenicker Wanderfreunden und Hans-Jürgen Deutschland von Krzewina zum Kloster Marienthal, entlang der polnisch-deutschen Łužiska Nysa – der Oberlausitzer Neiße – bis Hirschfelde
Einmal um Krzewina nach Ostritz
Die Bahnstrecke Cottbus – Zittau führt vom Bahnhof Krzewina Zgorzelecka bis Hirschfelde über polnisches Territorium. Die Neiße als Grenzfluss erzwingt seit der Westverschiebung Polens nach dem Zweiten Weltkrieg ein kurioses Miteinander.
Krzewina: ein Dörfchen mit einem typisch polnischen Lebensmitteladen (alles Notwendige vorhanden), einigen Oberlausitzer Umgebindehäusern, wenigen noch-Bauernhöfen – wie überall auf der Welt nicht von Reichtum gesegnet.
Auf dem Feldweg Richtung Neiße: die Hagebutten riesig, die Bäume knackevoll mit Birnen und überreifen Äpfeln jeglicher Sorte. Berlin ist zu weit, um Länder überspringend am Öko-Lifestyle der Großstadtmenschen zu partizipieren.
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Stehe still mein lieber Wandersmann,
Betracht, was ich für dich gethan;
Siehe an meinen blutgen Schweiß,
Alsdann verrichte deine Reis’,
Im Namen unseres Herrn.
Errichtet von Franz Eisler, Gutsbesitzer in Grunau, 1837
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Ostritz – normaler Weise interesselos durchfahren – überrascht mit einem versammelten Häuflein Polizei. Ach ja, da war doch was bei den liebenswürdigen, gemütlichen Sachsen, die sich ihre Heimat nicht kaputt machen lassen wollen von Rechts. Unmissverständlich und riesig zum Empfang an die Hauswand gesprüht: “…Nationalisten ertränken”. Als Ortsfremde lese ich langsam und brauche einige Zeit vom einsamen, polnischen Feldweg auf deutsche Kleinstadtidylle umzuschalten. Für ein Foto zu spät.
Nicht selten künden auf dem Weg nun die Wasserstandsanzeigen von 2010: Mittelmeer ist vorstellbar. Zwischen ertrinken und ertränken gibt es einen einzigen Buchstabenwechsel. Lechts und rinks sind schnell velwechsert. Über das kreisrunde Loch im Fensterglas am Markt mache ich mir nun doch Gedanken.
Aber: es gibt schnucklige Häuser in Ostritz.*
Von Ostritz zum Kloster St. Marienthal
Das um 1230 gegründete Kloster St. Marienthal ist das älteste, ununterbrochen existierende Nonnenkloster des Zisterzienserordens in Deutschland. In der Niederung in unmittelbarer Nähe zur Neiße angelegt, wurden die Gebäude 1683 durch einen wütenden Brand niedergelegt, später von den Hussiten und 2010 vom Hochwasser zerstört. Inzwischen vollständig saniert, beeindruckt das Architekturensemble mit seinem schweren, böhmischen Barock.
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Das Leben aber scheint für das Kloster auch ohne Flut und Eroberungen höchst virulent. Es gibt vieles zu kaufen. Man kann und darf vieles – vom Gast-Wohnen bis zum Schlemmen und natürlich heiraten. Es gibt ein Schau-Sägewerk, einen Garten der Bibelpflanzen, einen Wein-(Bibelpflanz-)Berg, einen Kalvarienberg und zu allem Führungen, Seminare, Workshops. Kloster St. Marienthal – Mitgliedsbetrieb beim ADFC und bei Oberlausitz per Bus. Auf facebook ist das Kloster auch. Nur die Pflaumen vor der Mauer fallen ungenutzt von den Bäumen.
Entlang der Łužiska Nysa – der Oberlausitzer Neiße
Zu Fuß das Neißetal entlang bis Hirschfelde ist nach der Flut und Freigabe des neuen Radweges kein uneingeschränktes Vergnügen. Dass die Orte vor neuem Wasser geschützt sind durch Spundwände, ist in Zeiten des Klimawandels notwendig. Die durchgehende Versiegelung des Talweges aber hat nichts als den Kloster-Touri im Blick: Wachstum um jeden Preis – das wildromantische Tal von einst ist zur Parklandschaft mutiert. Der noch heimische Feuersalamander wird erFAHRungsgemäß bald den rasenden Radlern auf dem glatten Asphaltgeschlängel zum Opfer fallen.
Die betagten Ordensfrauen freilich werden unbeschwerlicher als über blank geschliffene Basaltsteine oder schlichte Waldwege den Felsen am Höllbach mit dem “verlassenen Kreuz” erreichen. 1774 errichtet, durfte dorthin mit 1870 verschärften Klausurregeln einige Zeit lang nicht gepilgert werden. Vor wenigen Jahren hat der Gekreuzigte den legendären Ort noch endgültiger “verlassen”: das blecherne Kleinod wurde ganz gottlos geklaut.
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Nur wenige Flusswindungen hinter dem Höllenbach fließt ein Bächlein den meist steilen, durchgehend bewaldeten, westlichen Hang hinab – wahrscheinlich das Rinnbörnel – hier als „Heilquelle“ bezeichnet. Zusätzlich kleine “Bommeln” bergauf zu laufen, könnte zur lohnenden Entdeckertour werden – so wie die Gedenktafel “Zum Andenken an König Albert von Sachsen, Kaiser Friedrich III und Wilhelm I” eigentlich nur auffällige Markierung ist für das dahinter liegende Felsgebilde aus Rumburger Granit – eine geologische Besonderheit.
Kurz vor Rosenthal ein “Wolfsgraben”. Die neuen Wölfe haben sich glücklicher Weise und gottgefällig aus dem Klosterwald in die weitläufigeren Wälder der Niederlausitz verzogen.
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Anderes beunruhigt im Landschaftsschutzgebiet “Neißetal und Klosterwald”: auffällig überwuchern urwaldartige Bestände des Staudenknöterichs die Ufer der Neiße. Der über zwei Meter hohe Neophyt hat flächendeckend beidseitig, weit ins Wasser ragend alle einheimische Pflanzen verdrängt. Stellenweise sieht das östliche Ufer nicht mehr begehbar aus.
Schon die Zerstörung der einstigen Brücken Richtung Kloster hat der Durchgängigkeit ein Ende bereitet. Zwischen der Fußgängerbrücke am Bahnhof Ostritz und einer Brücke in Zittau gibt es wahrhaftig nur die Möglichkeit, die enge Schlucht der Neiße mit dem Zug zu queren. Wieder habe ich auf der Rückfahrt verpasst: queren wir eine oder zwei Brücken? Der Radweg schlängelt sich unter zweien entlang. Hilf, Maria hilf: von unten bestens sichtbar – wirkt zumindest eine der Brücken erschreckend verbogen und instabil.
Mir war das Überfahren mit dem Blick nach unten nie geheuer.
Zwei voll besetzte Schlauchboote juchzen heran. Ja, es kann von Hirschfelde nach Marienthal gepaddelt werden. Nach mehr als einer Stunde hängen die Boote – vom Zug aus zu beobachten – immer noch zwischen den Steinen der durchaus auch tückisch strömenden Neiße. Das sieht weniger lustig aus…
Oberlausitzer Umgebindehäuser und Industriekultur
Nie hätte ich gedacht, noch einmal einen Ort mit so vielen, aneinander gereihten, unverfälschten Umgebindehäusern zu entdecken. Die Traumhäuser meiner Kindheit! Lebensgefühl: Geborgenheit.
Wahrscheinlich liegt die Ästhetik dieser Häuser im Reiz des unterschiedlichen Naturmaterials und der nachvollziehbaren Funktionalität einer Kombination von Block-, Fachwerk- und Steinbau.
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Ähnlich begeistert der erste, heute nur flüchtige Blick auf die Bauten des “Historischen Hirschfelder Industriepfades”.
Erstaunlicher Weise gibt es in diesen Grenzorten im Dreiländereck noch viel, viel zu entdecken, bevor die seltenen Überbleibsel hinter perfektionistischer Restaurierung und angepasst an unsere gehobenen Bedürfnisse verschwinden werden. Vielleicht gehen sie auch endgültig verloren, weil weder Landschaft noch Bauten tätig und langsam wachsend, wieder belebt werden können. Klaro – orientalisch und südländisch liebten es die Sachsen schon immer. Hier und heute wäre manches zu schaffen. Mit rasanter Globalisierung ist allerdings nichts zu haben außer teure Billigkeit mit Austauschbarkeit und Charakterlosigkeit aller Dinge.
Sehnsüchtig und nostalgisch, voll mit unerwarteten Eindrücken: icke.
*→ Energie autark, ein anderer Blick auf Ostritz
Die Bilder sind mit Klick scharf zu vergrößern.
Sehr Danke für zusätzliche “Menschenfotos”!
Danke für die netten Worte, ein Ostritzer
Einfach sehr toll, wie die Eindrücke aufgezeigt sind, so dass man sie unbedingt nachempfinden möchte.
Danke, danke, danke!