4. März 2019, Solo von Angermünde nach Zuchenberg, zur Adlerquelle am Wolletzsee und zurück durch den Buchenwald.
Aber eigentlich ist es eine ganz andere Wanderung:
Die Sehne am Fußknöchel warnt. Der Wetterbericht warnt. Trotzdem möchte ich etwas „sehen“. Etwas, was ich beim üblichen Wandern nicht gesehen habe und nie gesehen hätte.
Angermünde vor den Toren
Ins Bilderbuch-Touristenstädtchen mit dem Prädikat „Staatlich anerkannter Erholungsort“ geht es vom Bahnhof aus geradewegs. Das Internet bietet dazu → Angermünde von A – Z. Wer Richtung Wolletzsee und Blumberger Mühle wandert, geht aber durch den Bahntunnel. Für Angermünder ein täglicher Weg in ihre farbenfrohen Neubauten, notgedrungen mit unausweichlichem Blick auf einen immer stärker verfallenden Ziegel-Fachwerkbau. Trotzdem, seit jeher erfreue ich mich an seiner unverfälschten Patina.
Die Häuserfronten Puschkinstraße erstrahlen neu. Vielleicht bin ich zu früh gekommen. Vielleicht aber gerade noch richtig, um im März 2019 zu sehen, wie manches jenseits von offizieller Förderung aussieht, denn es tut sich etwas. Vielleicht gehören die neuen Gitter im oberen Bild dazu.
Zwischen Puschkinstraße 3 und 4 ein schmaler Durchgang. Rechts alte Backsteinbauten, links die lange, fensterlose Hausmauer des angrenzenden Mietshauses und ein Anbau Eigenheim. Am Ende des Ganges ein kleiner Backsteinbau und eine Gedenktafel.
Die Lichtverhältnisse sind leider wie der Wetterbericht, einige Fotos ebenso. Will ich hier eigentlich scharf sehen? Ja. Bevor ich weiter wandere → der Link zu meiner dokumentarischen Extraseite, die mir am Herzen liegt. Gewidmet den Gerechten von A.*** bis Z.
Dann die Birkenallee mit noch weit entferntem, aber unmittelbar mit dem Friedhof zusammenhängendem Ziel “Adlerquelle”, vorbei am klinisch sauberen Schnuckiputzi-Ehm-Welk-Literaturmuseum. Im Vorfeld noch etwas traurig – aber man kann in Angermünde wirklich nicht an alles denken oder alles finanzieren… auch wenn andere → den zähen Sirup einer einseitigen “Stadtkernförderkur” anmahnen.
Ein kleines Stückchen Uckermark
Sternfelder Straße, am Park Flucht vor alles mit sich reißenden Sturmböen. Graupel. Später knallen auch die Regentropfen schneeballhart ins Gesicht. Geradlinig ginge es hoch zur Gehegemühle, aber alle Wege überackert, die Felder durchweicht. Die Straße nach Zuchenberg zieht sich. Das Wetter verzieht sich nicht.
Am Gut biegt der markierte Weg rechts ab – sanft schmiegt sich Hügel an Hügel. Doch: Zuchenberg liegt auf Bergen! Zum Wolletzsee geht es steil hinunter durch den Wald. Und vorher:
Die Adlerquelle am Wolletzsee
In strahlendem Sonnenschein die Adlerquelle am Wolletzsee. Ein Teil der Grabsteine des Angermünder jüdischen Friedhofs wurde zur Befestigung der Quelle verwendet – wahrscheinlich zeitlich nicht allzu lange vor dem jetzt sichtbaren Zustand. Haus des Lebens oder Wasser des Lebens. Vielleicht ist der Ort tröstlich.
Umdrehen kann ich die wenigen einzelnen Steine nicht. Einmal eine Kante mit ungewöhnlichem Profil, aber Zeit und Wasser haben wohl alles verschliffen. Letztes Verwischen der Erinnerung an die Erinnerung.
Das Memento mori der Steine.
Zeitenwende: vom Grabmal seit Urzeiten zum Riesenspielzeug in Schlachten und zum steinernen Herzen im pflegeleichten Vorgarten.
Es reicht
Den Wolletzsee zu umrunden werde ich zeitlich nicht schaffen. Ich kenne die Strecke, biege an der Verzweigung Altkünkendorf – Luisenfelde scharf nach links. Das Weltkulturerbe Grumsiner Forst scheint strenge und enge Grenzen zu haben: die Forstwirtschaft ist zu Gange. Tief eingefahrene Spuren weisen die richtige Richtung zurück nach A. Der Stolperfallenweg endet als Maschinenspur urplötzlich auf dem Berg.
Immerhin ein steineres “Gipfelkreuz” – wer weiß, was ich für einen Hunderter bestiegen habe… Der Buchenwald hat zu dieser Jahreszeit den Vorteil der Durchsichtigkeit. Die Gefahr kleiner Tümpel kalkuliere ich ein.
Außer total steilem Auf und Ab auf allen Vieren geht alles gut.
Frühlingsluft. Ein intensiver anderer, einmaliger Geruch steigt mir in die Nase. Als Frau kenne ich den zu gut: Blutgeruch, wie er für alle Säugetiere charakteristisch ist.
Dann rot leuchtend – ich bin altersbedingt eher weitsichtig…
Keine Ahnung, wie solche Verletzung zustande kommen kann. Kein Kehlbiss. Trotzdem ein Gefühl, dass ich hier beobachtet werde. Oder hab ich zufällig auf dem Hinweg das schlechte Gewissen von zwei Hundehaltern (gerade nicht haltend) beobachtet?
Es reicht. Kurz auf einer wenig befahrenen Straße, abseits stoße ich wieder auf den Wanderweg von Zuchenberg. Mein Credo: nirgends zweimal. Also am Feldrand entlang – ich will Licht.
Quer über lehmschwere Felder, glücklicher Weise ein Brett mit Geländer über einen meliorierten Bach – ach, das ist der unerreichbare, von Sternfelde aus sichtbare Gehölzstreifen und schnelle Weg zur Gehegemühle.
Wolken und Kraniche in Bewegung. Wieder in Sternfelde, schräg nach Angermünde durchgewuselt. Blöd am Stadion vorbei – das wäre nur aus Richtung Blumberger Mühle abgekürzt gewesen. Am Bahnhof seit 17 Uhr wieder ein kleines Unwetter.
***in Erinnerung an den vielsagenden Titel eines Buches von Ehm Welk
Toller Bericht und schön geschrieben.
Ich hätte mir noch eine Karte mit eingezeichneter Strecke gewünscht.
Viele Grüße!
Danke! Bin eine Querfeldeinwanderin. Wüsste nicht, wie dazu eine Karte erstellt werden könnte / dürfte. Ich selbst finde die besten Orte zufällig.