Boitzenburger Land

21. – 22. Juni 2019, ca. 35 km im Boitzenburger Land grenzüberschreitend nach Mecklenburg und ca. 15 km heimwärts

Boitzenburger Land, Mutterkuhhaltung

Zwischen Feld und Ferien das Boitzenburger Land Richtung Warthe – nicht wie google maps verlangt, sondern in Jakobshagen am Kirschbaum auf den landwirtschaftlichen Besitz einbiegen!

Boitzenburger Land, Heckenweg bei Jakobshagen

Das ist mit freundlicher Hilfe eines Uckermärkers gefunden: einige Meter Beton, Viehzucht, dann schlängelt sich ein Laubengang zum Waldrand.

Boitzenburger Land, Richtung Stabeshöh

Parallel verläuft der Weg Stabeshöhe zum Großen Warthesee. Zu früh biege ich ab, laufe einen unsinnigen Bogen, lande an den unzugänglichen Privatdatschen und am flachen, südlichen Ufer. Auch in Bröddin Suche Richtung Wüste Mühle Karow: neben der roten Markierung ist privat überbaut, verbarrikadiert mit Riesenjeep. “Das ist nicht mehr öffentlich” weiß man am Dorfende.

Boitzenburger Land, Bröddin
Die Viehwirtschaft liegt darnieder, also dort im großen Bogen zum Rathenow See, quer über Feld und Wiese.

Boitzenburger Land, Blickrichtung Rathenowsee
Mahlendorfer Weg, eine Asphaltstraße ohne Zugang zum Stoitzsee – wer sucht auch hier nach Hügelgräbern… Überall völlig überwachsen. Dekorativ liegen einige Steine an den Straßenrand gepackt – dem Zeichen in den Wanderkarten ist Genüge getan.

Boitzenburger Land, am Stoitzsee
Ein kleiner Abzweig zum Schleusengraben, um die Straße auszusparen, kurz vor Mahlendorf wieder hoch:

Kröte im Wald am Schleusengraben

durch den Sumpf führt der Weg nur für Kröten.

Lupinen Nähe Düster Möll

Am Abzweig Düster Möll eine prächtige Eichenallee. Auf den Wiesen – ich seh mit Schrecken, beginne automatisch zu reißen – sinnlos: die Samenstände der blauen Lupine voll ausgereift! Von der künftigen → Invasion scheint man nichts zu wissen.

Boitzenburger Land, Düster Möll
Düster Möll: seit den vielen Jahren, die mir das Boitzenburger Land ans Herz wachsen ließen, reizt dieser Name voller Gruselgeheimnis. Friedlich in der Sonne ein Mühlenschloss ohne Mühlrad – besser noch einmal unter düsterem Novemberhimmel…

Boitzenburger Land, Allee der europäischen Lärchen
Die anschließende, 2,3 km lange “Allee der europäischen Lärchen” geht sichtlich ihrem standortfremden Ende entgegen. Eigentlich sollen Lärchen im Boitzenburger Land als nicht heimisch sogar entnommen werden. Begründet wurde die Allee 1798 durch einen Graf von Arnim: ursprünglich 1171 Stück, erhalten 374, Durchschnittshöhe 35 m.

Boitzenburger Land, über 200 Jahre alte Lärchen

Richtung Thomsdorf eine Irgendwas-Ruine verpasst. Aus dem Nichts kommend, hetzend und jappsend begleitet mich ein Hund. Wohin, wohin mit dir? Ach, die Elli aus Brüsenwalde, so ein artiger Hund… Im Vergleich zu den drei Drachendackeln aus dem Haus am Wald allerdings! Mich rettet eine fremde Leine vor dem Besitz eines treuen Hundes.

Boitzenburger Land, Elli von Brüsenwalde

Grenzüberschreitung

Neuorientierung in Thomsdorf Richtung Mecklenburger Dreetzsee. Am Wegesrand (Boitzenburger Land 53.288912, 13.4496846) auf keiner Karte verzeichnete ovale Steinsetzungen.

Der Rundweg aber zeigt nur verkrautet rund. Ich kreisle vorbei am Campingplatz (oh neeeee) – die Zeit zum Baden wird zu knapp. Doch es läuft sich herrlich durch den Buchenwald auf der Höhe bis zur – verflixt und zugenäht – Krüseliner Mühle. DAS sagte der Pfad nirgends.

Uferweg Krüselinsee

Also teilweise auf dem → Klaus-Borrmann-Weg über Dorfwüstung Krüselin, beides nicht auf meiner Karte. Krüselin: mehr oder weniger erst gestern erinnert. 13. Jh. Kirchdorf der deutschen Ostkolonisation, 1724 Meierei, 1908 Försterei, 1945 als Rückzugsort der deutschen Wehrmacht zerstört. Das nahe Ravensbrück und der Nazi-Krieg. Flucht, Vertreibung, Tod – ungesagt, zusammenhangslos inmitten einer Idylle**.

Klaus-Borrmann-Weg, Wüstung Krüselin

Thanatos und Hypnos

In Laeven hinter der Kartenmarkierung Kirche links. “Hier gibt es keine Kirche.” Ruf Richtung Haus: “Gibt es hier eine Kirche?” “Nein”. Aber hinter dem Friedhof, dort geht der Waldweg nach Koldenhof. Niemals käme ich auf die Idee, es könnte etwas weiter die Forststraße gemeint sein.

Jagdrevier bei Laeven. Copyright K.G.Brandler

Lange Schatten. Nach Art der Musterhäuser reiht sich noble Jagdkanzel an Jagdkanzel, hingestellt wie vom Premium Revierservice für Jagdreisen. Zwei Kraniche bequemen sich erst spät, im Tiefflug zu verschwinden. Ein Rehlein – roter Punkt inmitten der Locksaat – sichert, schreitet, springt ab. Wenig später schaurig lautes Brüllen, minutenlang, die Stellung kaum ändernd wie bereit für forkelnden Überfall, zuletzt heiser bedrohlich mit verlängerten Pausen ausgestoßen: Böh Böh.
Ich tippe auf kapitalen Zwölfender. Erst zu Haus sagt mir Google: Rotwild schreckt nicht. Wahrscheinlich eine Ricke, die sind am lautesten. Unglaublich. Im Internet ist nur → der übliche, kurz abgehackte Bell-Laut zu finden.

Köhlereiche bei Lüttenhagen

Endlich: vor Lüttenhagen eine Stieleiche, ca. 350 Jahre alt, die “Köhlereiche”, Rast- und Versammlungsplatz der Köhlereiarbeiter. Frisch gemäht ein Kessel zum dicht verwachsenen Sumpf. Tisch und Bank. Im äußersten Wiesenzipfel klemmen die Reste einer Baumleiter. Der uralte Pflasterweg ohne Autos (so etwas wäre Alarmsignal für eine Ansitzjagd). Nur einmal noch Kinder auf Nachtwanderung: also ein perfektes Plätzchen für splittblutige Füße in Sandalen und der Grauzone des Unerlaubten.

Rastplatz Köhlereiche bei Lüttenhagen
Licht aus, Sterne an. Leider mäßig, es bleibt hell. In der Ferne fiept es. Knallt. Knallt wieder. Knallt, knallt. Woher, wohin – links, wo das Herz sitzt. Hocken und Warten ist die “Hauptbewegung” des Jägers. Und meine. Nach mehr als einer Stunde eine Kanonade – mein Gott, was machen die? Stille. Weit nach Mitternacht aus dem Sumpf ein kurzes Schrecken. Noch ein Wilderer auf Mondpirsch? Beruhigend quaken ein paar Frösche zu völlig falscher Zeit.

Die Nacht der Jäger

Die Heiligen Hallen

Noch einmal frühmorgens müde zwei tiefe Böh Böh. Am Sumpf wendet sich ein Reh ab.

Heilige Hallen bei Lüttenhagen
Ich wandere durch die Heiligen Hallen bei Lüttenhagen, entstanden durch Naturverjüngung aus einem Buchenbestand des 30jährigen Krieges (1618 – 1648). Ein Hauch Zigarette weht in die Nase. An der Köhlereiche lag ein Stummel, gestern noch nicht – ich äuge mit allen Sinnen.

Totalreservat Heilige Hallen bei Lüttenhagen
Eine Runde Totalreservat reicht. Beeindruckende Solitäre, aber die optimale Phase des Baumbestandes als Halle eines gotischen Domes endete bereits Mitte des 19. Jahrhunderts.

Feldberger Seenlandschaft, Heilige Hallen, Solitäre

Das Vergessen und das Erinnern

Landschaft ist das Vergessen. Feldberger Seenlandschaft; später als gerechnet, erreiche ich das Kunsthaus Koldenhof. Verschwinde ich zu anderen Gelegenheiten vergrämt von Ungenügen und Anmaßung sofort wieder in der göttlichen Schöpfung – bin ich am Ziel: → „Hans-Hendrik Grimmling. Malerei”

Hans-Hendrik Grimmling, Der kleine Gärtner, Detail
Das immer Große in ausnahmsweise kleinen Bildern, hier zu sehen zwei Details. Unerklärliches sinnlich werden lassen. Das wilde Denken des kleinen Gärtners vs. sich bescheidendes Denken. Vielschichtige Kommunikation im Ausstellungsgespräch als Monolog.

Hans-Hendrik Grimmling, Engel, Detail

Die kleinen Stiche

Die aufgewiegelten Gedanken sind der rasenden Heimfahrt nicht gewachsen. Stabeshorst, ja Stabeshorst: an den Boitzenburger Seen liegen und eine Sommernacht genießen. Aber Stabeshorst ist nicht Stabeshöhe. Wieder so weit das Auge reicht: liebliche Uckermark, Schafe ohne Hirte, Stab und Hunde, ohne Wehr und Waffen. Sehnsucht nach Bleiberecht.

westliche Spitze Oberpfuhlsee
TouristensommerAber das nahe Lychen – weg, nur weg und heim. Ein schnelles, einziges Bad in unserem Land der 3000 Seen. Ich quäle mich durch einen bunten, einfältigen Touristensommer. Peu à peu und insgesamt bediene auch ich das Klischee mit 5 Kugeln Eis:  Fürstenberg oder Templin sind samstags wie eh und je nur 2 x täglich (oder Straße, Straße) zu erreichen*.

Der Berliner Morgen mit juckenden Schwellungen am Kopf, im Gesicht. Mückenschwärme gab es nirgends und zu keiner Zeit. Also doch erst vom rattengiftgetränkten, nächtlich-metropolen Ungeziefer?***

*Bundestags-Wahlversprechen 2017 in leichter Sprache (so etwa von allen Parteien):
“Wir wollen, dass die Menschen gut von einem Ort zum anderen kommen.”

**“Unsere Geschichte” im NDR

***Als Reaktion auf das Sekret der Grasmilbenlarven-Bisse bilden sich erst nach ca. 24 Stunden stark juckende, rote Quaddeln. Der Juckreiz kann bis zu zwei Wochen anhalten. Schlafend unter meinem Mesh, ohne Angst vor nachsuchenden Hunden, Querschlägern oder was weiß ich, wär das wohl nicht passiert.

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