28.11.2018 am Teltowkanal in Fließrichtung zum Friedhof in zwei Etappen: 16 km vom U-Bahnhof Ullsteinstraße zur Schleuse Kleinmachnow.
02.12.2018: ca. 6 km Schleuse Kleinmachnow, Kanalauenweg, Wilmersdorfer Waldfriedhof, Südwestkirchhof Stahnsdorf.
Berlin hat schon manch einem die Worte verschlagen. Fürs Herze gibt es erst recht wenig. An der Fotofülle ist zu merken: weder Auge noch Geist kommen zur Ruhe.
Dabei schleich ich still und leise,
immer am Kanal lang, immer am Kanal lang…
Meine Heimstrecke, die U6 in Fortsetzung bis U-Bahnhof Ullsteinstraße mit dem herrlichen Backsteinexpressionismus des Ullsteinhauses und dem Blick zum Hafen als Beginn der Wanderung. Es hat sich viel verändert, immerhin wiedererkennbar. Der Speicher freilich kalkweiß saniert, kaum als Industriedenkmal auszumachen; die Straße eine Autorennbahn und der Mensch läuft und läuft und läuft bis er endlich am Teltowkanal steht.
Silberlaub und Silberstreif-Flugzeug und Silbermond beim Blick in den Himmel
Die ganze lange, gerade Strecke begleiten Kleingartenanlagen, “Villchen”-Bauten des Mittelstandes, seltener wegen der Lage längst nicht mehr bezahlbare Mietshäuser
Von diesen Schildern und gesperrten Ein- oder Ausstiegen darf sich nicht abschrecken lassen, wer das Nordufer des Teltowkanals (rechts im Bild) durchgehend laufen möchte. Während oberhalb ein perfekt breiter Rad- und Laufweg entlang führt, streckenweise aber vom Ufer wegführt, geht der schmale Trampelpfad ununterbrochen begleitend und unter allen Brücken hindurch bis Höhe Stichkanal einst die Mauer begann.
Drei Antworten erhielt ich auf meine Frage “Sind Sie schon einmal unten entlang?” Mann, über 40, mit Hund: “…kenne ich nicht, das muss lange her sein”. Mann in meinem Alter: “…den pflegt niemand”. Frau, älterer Jahrgang: “…weiß ich nicht, ich fahre Rad.”
Gepflegt hat diesen Pfad niemals jemand. Er wurde begangen und mit Rädern befahren. DAS ergibt Weg.
Kurze Strecken führen sogar noch offiziell direkt unten am Ufer entlang.
Die Brücken: Süd-Nord fuhren und fahren noch immer die Züge aus Richtung Dresden, aus der Lausitz, aus dem Teltow. Und die Menschen von dort siedelten in Tempelhof, in Marienfelde, Lankwitz, Steglitz, Lichterfelde, Schönow und machten die einst ländlichen Orte zu dem provinziell ausufernden und in Kieze zersplitterten, großen Berlin.
Ein kläglicher Rest der → Bäke in Steglitz – das einst bestimmende Flüsschen wurde dem Teltowkanal einverleibt. Rechts und links vom Kanal sind kurze, übrig gebliebene Schlängel als Biotope unter Naturschutz gestellt. Aber die zu retten, gerät irgendwann in Vergessenheit oder erledigt sich von selbst mit dem Klimawandel.
Es gibt derzeit wegen Bauarbeiten eine kleine Umleitung, weg von dem hier promenadenähnlichen Weg erst einmal durch das Gelände des Benjamin Franklin Krankenhauses.
Berlin baut, jaaa: DAS muss niemand einem Berliner sagen, auch wenn es keine bezahlbaren Wohnungen gibt.
Zwischen Krankenhaus und Schlosspark Lichterfelde (unbetretbar verwildert zum NSG) dann auch gleich 2x deutsches Schicksal. Für Paul Schwarz wurde zusätzlich ein Gedenkstein errichtet und der Obdachlose kann später einmal wippen.
Obdachlose werden vielleicht aber auch eines Tages ausgelagert wie die Versuchstiere aus dem “Mäusebunker”, das marode Tierversuchslabor der FU-Berlin aus den 70er Jahren. Deren anstößiger “Inhalt” wurde inzwischen nach Berlin Buch verlegt – mit über einer Million Tiere. Das ist der Stand unserer Forschung. Da brauchen Schulkinder keine Computer, sondern Messerchen. Da dürfen Medienräume ohne Administratoren vor sich hinschlummern.
Das Betonmonster, künstlerisch als eine Skulptur begriffen, ist inzwischen historisch bedeutungsvoll: ganz besonders brachial. Bestückt mit den blauen Belüftungsrohren braucht es nicht viel Phantasie, um sich experimentelle Medizin vorzustellen.
Vattenfallrohre am linken Ufer und am rechten ebenfalls irgendwelche Rohre
Fürsorglich ab hier für die Jogger jedes Steinchen, jedes Würzelchen umpinselt. Die Aneinanderreihung solcher Fotos ergäbe ein kartografisches Kunstwerk.
Obwohl das folgende Halbinselchen ein wunderschöner Pausenort ist, geht es kurz vorher auf einer quittegelben Brücke über den Stichkanal und ab jetzt der Natur näher als bisher – seit dem Mauerfall.
Jetzt wird es landschaftlich schön!
Der Grenzverlauf hat ab Schönow bis Kleinmachnow und Stahnsdorf allzu nahe, in die Natur eingreifende Verschandelung verhindert.
Am Buschgraben verlief die Mauer zwischen Ost und West und trennte Kleinmachnow so gut wie völlig ab von seiner Hauptstadt, auch wenn das damals nur die “der DDR” gewesen war.
Nein, ich möchte mir nicht dieses durchgängige Naturstück verderben. Und doch haben das einige Grundstücke etwas abseits vom Kanal geschafft. Keine Ahnung, wie ich dahin geraten bin. Jedenfalls sind die Bürokraten, die mit Gesetzesrecht oder zu Unrecht (menschlich gedacht) den Schaden verursacht haben, hier auch noch nicht gewesen. Vergammelte Schilder hängen an den vergammelten Gartentoren: “Das war mal ein Wohnhaus, jetzt eine Ruine… Dank der Gemeinde… …Klein-Moskau…”.
Wurde nach dem Mauerfall ein kleines Eckchen von verdrängten Kreuzbergern okkupiert ? Oder erinnerten sich die Nachkommen eines Ostberliner Urgesteins? Meine Phantasie kann sich viel vorstellen. Ein grünes Kleinod ist ersatzweise nicht entstanden.
Der Graureiher am Ufer fühlt sich in seinem Wohnbereich sicher. Er dreht und wendet sich, wenig Schritte vorwärts, wenige seitwärts. Hals recken, langsam wieder einziehen. Ach, wie er damit doch hierher, zu der über ihm und zwischen den entlaubten Bäumen sichtbaren Hakeburg passt!
In der Reihe Brandenburgische Historische Hefte 6 untersucht Hubert Faensen deren Geschichte ausführlich unter dem Titel “Geheimnisträger Hakeburg”: Rittergut, 1938 Grundstück der Deutschen Reichspost, Forschungsanstalt, Parteihochschule der SED, Gästehaus der DDR, vereinigt natürlich ein Hotel – ein Ort wo sich Ideologien und Wirklichkeit nach allen Seiten recken und strecken, drehen und wenden und die Menschen damit besser als ein kleines Fischlein überleben.
Richtung Schleuse, wenig unterhalb der Hakeburg der Gedenkstein für den norwegischen Dichter Nordahl Grieg, der hier 1943 als mitfliegender Journalist beim Abschuss eines britischen Bombers starb. Bis zum Stahnsdorfer Südwestkirchhof sind es keine 6 km mehr. Meine Erinnerungen an dieses und jenes sind ausreichend strapaziert. Ich steige an der Schleuse in den erstbesten Bus.
Der Teltowkanal mit all seiner Ufer- und Randbebauung ist bestens im Internet beschrieben. Viel Spaß bei eigenen Entdeckungen – sportlich lohnt sich die Strecke. Genießer leiden.
Etappe zwei
Kanalauenweg und Ufer-Rundweg Stahnsdorf
Auf dem Kanalauenweg bis zur Autobahnbrücke: rechts der Teltowkanal, links die versumpfte Aue.
Obwohl die Wasserqualität des Teltowkanals keinen guten Ruf hat – wie selten sonst ist zu sehen: der Schwanenhals dreht und windet sich schlangenartig nach Futter.
Auch “mein” Graureiher von voriger Woche fischt jetzt zwischen den Steinpackungen, weiter oben ein zweiter.
Die Wildschweine sind überall zu ahnen und der Biber hat sich ausprobiert.
Ich kann sagen: ziemlich viel los auf der kurzen Strecke!
Der Abzweig Uferrundweg Stahnsdorf ist kaum zu erkennen, selten begangen. Nahe der Autobahn illegale Abfallentsorgung.
Die Managementplanung → Teltowkanal-Aue ist gescheitert, das Gebiet ist kein Regionalpark geworden und ohne bedeutet eben auch ohne Achtsamkeit = bezahltes Engagement. Trotzdem: ein Schwarzspecht hämmert und fliegt auf.
Letzter Blick zurück zum Teltowkanal
Stiller Friedhof der unbehauenen Steine
Noch ein Stück die Alte Potsdamer Landstraße entlang, dann biege ich in den Wilmersdorfer Waldfriedhof ein, angelegt von dem Gartenarchitekten → Erwin Barth. Wenn ich auch für mich eine passende Altersresidenz weder erhoffen noch planen kann, wenigstens dieser stille Friedhof der unbehauenen und wild überwachsenen Steine – würde er mich aufnehmen?
Jetzt, nach Totensonntag, ein einziges Grab in all dem wundervollen Grün mit einem teuren, trotzdem stinkehäßlichen Grabstrauß für Hans Baluschek. Wahrscheinlich sind Grabsträuße immer stinkehäßlich. Wäre der Maler Hans Baluschek mit seinem Werk wirklich bei den Menschen im Gedächtnis geblieben, für die er gemalt hat, wäre ein anderes Gebinde entstanden.
Aber, es wird niemand glauben dieses Märchen der Seelenwanderung: direkt aus dem dichten Gebüsch hinter dem pflichtgemäß bieder gepflegten Berliner Ehrengrab springt der Hase der Prinzessin Huschewind – ich habe für sein klopfendes Hasenherz wohl einen Moment zu lange verweilt. Er wird zu → Hans Baluschek wiederkommen, ich weiß es.
Wenn nicht nur der Tod quält
Besuchermagnet → Stahnsdorfer Südwestfriedhof, trotz des regnerischen Adventssonntags: die anonymen Urnengräber geschmückt mit Liebe wie sie die Schlager vorsingen, wie sie der Blumenladen in Schleifen knüpft und wie sie als rotes Herz ewig zu glitzern versucht.
Es fällt mir schwer, alternativ am fremden, verlassenen Grab diese bunte Billig-Norm zu vergessen, mich nicht zu quälen mit dem Gedanken, anderes niemals bezahlen zu können. Doch, eine Grabstätte darf und sollte immer → individuell sein – jeder darf alles.
Aber diese Urnengräber-Art einverleibt zu werden, spricht dem Begriff der Sepulkralkultur und dem Totengedenken Hohn. Übrigens: deren gärtnerische Gesamtgestaltung quält gleichermaßen. Der Friedhof als historischer aber wird verglichen mit Venedigs Toteninsel San Michele, dem Wiener Zentralfriedhof und Père Lachaise in Paris.
meine alte Heimat – Einen schönen ersten Advent (avantare=ankommen ist durch diese Wege am Teltowkanal wirklich schwierig)