Richard Dehmel und Kremmen

27. März 2019, Solo in und einmal um Kremmen herum mit Extraseiten
a)  zum Friedhof Kremmen und b) zum Bootshausviertel von Kremmen

In der historischen Altstadt Kremmen habe ich das besichtigt, was neben dem Scheunenviertel*** meist zu kurz kommt. Doch mein Wandern soll keine Stadtführung werden. Also Bericht ab Ruppiner Chaussee Richtung Sommerfeld. Links führt der Dehmelweg ins Abseits der “schönen wilden Welt” des Richard Dehmel (1863 – 1920). Ein Dichter, den angeblich kaum noch jemand kennt. Mag sein. Aber die Gedichte von Paula Dehmel, seiner ersten Frau, kannten die Bilderbuch-Kinder in der DDR und davor bereits die aus den Kindergärten in der Tradition von Fröbel und Henriette Goldschmidt. Der Name “Dehmel” hat sich mir früh eingeprägt und später in eine schöne wilde Welt aufgefächert. Nun also speziell in Gedanken an Richard Dehmels Gedichte, die wie so vieles in jedem Leben aus der Kindheit her rühren. Einzelne seiner Sätze, kurze Zeilen aus dem Zusammenhang gerissen, so wie erst aus der Summe der erlebten Landschaft und des ganzen Lebens ganze Gedichte entstehen.

Schöne wilde Welt

Märzlied

Im März,
da gruneln die Dornen am Zaun.
Im März,
da fängt der Fuchs an zu rauhn.
Im März,
über Deutschlands Äckern und Aun,
da fliegt durch Wolken und Licht und Sturm
eine erste Schwalbe von Turm zu Turm:
wird Frühling?

Kremmen, versunken im Sumpf

und wieder kreisen
um mein klirrendes Fenster
die öden Wiesen

Kremmen, Luch mit zwei beim Tanz gestörten Kranichen
… und von der Erden
ringt jung ein Duft
sich durch die Luft: –
will’s Frühling werden?

Kremmn, Gräben oder Moor

Schrill winselt’s im Schilf, hohl röchelt’s im Rohr.

zwischen Schilf und Rohr

Hui! zischt es und pfeift’s in den Binsen.

zwischen Kleiner Graben und Kremmener Rhin

der Wind weint in den Bäumen:
wir träumen – träumen

zum Kremmener See

im grauen Wasser, schwarz, verschwand
der starren Weiden zitternd Bild.
Und knirschend stieß der Kahn ans Land

Wald- und Seegut Kremmen, am See

wo sind die Bienen

Es ist nun einmal so,
seit wir geboren sind;
die Blumen blühen wild und bunt,
wir aber mauern Wände
gegen den Wind.

Kremmen, Luch - Lehrbuch der Zentralperspektive

Milchviehanlage Kremmen, Asylbewerberheim
Schwalben hab ich noch nicht gesehen, aber der Storch flog niedrig über meinen Kopf und die Kraniche tanzten – leider gestört: ich konnte nicht ausweichen.

Auf der Suche nach dem alten Forsthaus

Richard Dehmel, als Sohn eines Försters bei Wendisch Buchholz geboren, verbrachte seine Kindheit in Kremmen. Der Vater hatte die Stelle des Stadtförsters inne. Logisch erwarte ich das alte Forsthaus am Dehmelweg. Ein einziges Haus käme in Betracht, vom Jugendstil beeinflusst, der ist nur noch zu ahnen. Was fehlt, ist der in manchen Biografien erwähnte Eichenhain um das Haus. Nichts als Bruchwald, Sumpf, Luch, Gräben – also die eben gesehenen Bilder.

Kremmen, Dehmelweg

“Dort wo die Russen ihre Munition abgeworfen haben?”** – eher eine eigenartige Frage als eine Antwort. An weiteren, zu befragenden Menschen mangelt es. Spärlich sind die Angaben zur Lage des elterlichen Forsthauses: an der Straße nach Sommerfeld. Am genauesten im illustrierten Literaturführer durch die Mark Brandenburg von 1998: Ruppiner Chaussee 60a. Das Haus am Hörstegraben würde heute noch als Dehmel-Haus bezeichnet. 1998 ist lang her.

Es könnte das kleine Haus mit der breiten Toreinfahrt gewesen sein. Eichen fehlen, vielleicht haben die Besitzer der beiden anschließenden Häuser tüchtig gefällt.

..der Wind:

Ein Häuschen umheult er am Heiderand
und schüttelt die Pfosten der rissigen Wand
und reißt an den Haspen und Sparren,
dass sie kreischen vor Frost und knarren


Nee, mir soll meine Romantik nicht abhanden kommen. Der Waldweg jedenfalls erinnert an forstmännisches Wirken.

Gegen den Hörstegraben ein Damm – oder Militärisches? Bei Kremmen gab es wenig bekannte, verlustreiche, letzte Gefechte Ende des Zweiten Weltkrieges.
Dann: ich traue meinen Augen nicht: egal was es jemals war – für mich IST ES DAS, das alte Forsthaus im Eichenhain.


Einmal von der rechten Seite…

und einmal von der linken Seite.

Die kleine Brücke verrammelt. Ich muss zum nächsten Übergang des Hörstegrabens, dort zurück.
Der Wald steht voller Buschwindröschen, an einigen Stellen bereits als leuchtender, weißer Blütenteppich.

Traumhaus
Das Haus ist nur über Wiese zu erreichen. Spaziergänger aus den Lauben oder Wochenendhäuschen kennen es nicht. Gut so.
Bitte für eine zweite Ansicht auf das Bild klicken – ich konnte mich nicht entscheiden – ich bin verliebt; ein drittes Bild öffnet hier in einem neuen Fenster.

Haus der Träume

Lied an meinen Sohn

Der Sturm behorcht mein Vaterhaus,
mein Herz klopft in die Nacht hinaus,
laut; so erwacht ich vom Gebraus
des Forstes schon als Kind.
Mein junger Sohn, hör zu, hör zu:
in deine ferne Wiegenruh
stöhnt meine Worte dir im Traum der Wind.

Einst hab ich auch im Schlaf gelacht,
mein Sohn, und bin nicht aufgewacht
vom Sturm; bis eine graue Nacht
wie heute kam.
Dumpf brandet heut im Forst der Föhn,
wie damals, als ich sein Getön
vor Furcht wie meines Vaters Wort vernahm.

Horch, wie der knospige Wipfelsaum
sich sträubt, sich beugt, von Baum zu Baum;
mein Sohn, in deinen Wiegentraum
zornlacht der Sturm – hör zu, hör zu!
Er hat sich nie vor Furcht gebeugt!
horch, wie er durch die Kronen keucht:
sei Du! sei Du! –

Und wenn dir einst von Sohnespflicht,
mein Sohn, dein alter Vater spricht,
gehorch ihm nicht, gehorch ihm nicht:
horch, wie der Föhn im Forst den Frühling braut!
Horch, er bestürmt mein Vaterhaus,
mein Herz tönt in die Nacht hinaus,
laut – –

Richard Dehmel besuchte in Kremmen die Schule. Quer durch die Wiesen ist es nicht weit bis zum Kirchplatz, vielleicht sogar schneller als inzwischen der Weg bis dorthin aus dem Neubauviertel. Die Kirchenglocken klingen ganz nah.

Die alte Schule gegenüber der Kirche ist zum großen Mietshaus umgebaut. An den sicherlich schönen Ziegelbau erinnern noch die Tore.

 

**→ von wo die Munition gekommen ist

Ergänzend die → Friedhöfe der Stadt Kremmen im Ortsteil Orion

*** das berühmte Scheunenviertel ist touristisch erschlossen. Sehr viel jünger, aber mich ähnlich beeindruckend, fand ich die noch unverfälscht originalen ‎→ Bootshäuser am Stichgraben zum Kremmener See.

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