6.Dezember 2017
Auf den Spuren von Karl May im Friesacker Zootzen und Bruch
Der Straße von Friesack in den → Zootzen ist nur mit Gedanken an den phantasiereichen Karl May etwas abzugewinnen. Immerhin hält ein Auto mit dem Angebot „wohin“, was bei der absehbaren Länge eine Gelegenheit bedeutet. Aber ich will → Karl May, Suteminn und Dietrich von Quitzow folgen, auch wenn der Weg jeder Gefahr entbehrt.
Der Zootzen ist – glücklicherweise ohne die von Karl May aufgezählten Biester – genau so wie beschrieben. Zwar sollen die Wege nicht verlassen werden und sind in einfachster Weise kartiert, die Realität der diesjährigen Oktoberstürme ist darüber hinweggefegt. Bis auf Ausnahmen ist es ein relativ junger Wald, trotz allem: hier ist derzeit Urwalddickicht.
Wege sind streckenweise nicht mehr auszumachen. Ringsum knarren und knarzen einzelne Bäume für mich unangenehm zwischen diesen umgeworfenen Stämmen. Mehr Karl May werde ich im Zootzen niemals wieder finden. Von meinen Fotos ist allerdings kein einziges Panorama gelungen.
Die Schwedenschanze aus dem Dreißigjährigen Krieg an der Straße zwischen Friesacker und Klessener Zootzen, einen altslawischen Burgwall und eine slawische Fluchtburg, beide aus dem 9. Jahrhundert, verfehle ich: von ausgeschilderten Wanderwegen ist wohl kein Baum mehr erhalten.
„Eine kurze Wanderung über den Bruchboden“ gehe ich ebenfalls à la Karl May, wenn auch nicht in Richtung Dechow, sondern zurück über Kressener Zootzen wieder zum Bahnhof Friesack. „Kein Problem, alles Plattenweg“, klärt mich ein Dorfbewohner angesichts meiner Gummistiefel auf. Platte und auch sonst schutzlos platt: ein starker Westwind orgelt mich an.
Die Platten führen schließlich zur Straße, die ich hinzu parallel gegangen war. Das muss nicht sein, geradeaus geht der Weg ebenfalls – bis zum Bahndamm und eine Schneise durch eine unglaubliche Müllkippe zum letzten Haus am Bahndamm. Zwei seltene Enten im Stall, ein wilder Hund und etwas graue (offensichtlich ökologisch korrekt) Wäsche auf der Leine. Ich kann mich durchs Gebüsch drücken – so wie bei Karl May beschrieben: „…da das dicht verschlungene Gewirr der Gesträuche der unerbittlichen Kälte hatte weichen müssen.“ Ich lande wegelos vor der Bullenweide. „Lebensgefahr“ las ich vorhin, das Gatter war aber offen. Nix wie durch zur Straße in der Ferne und im steten Wechsel von Grasbüschel und tiefem Schlammloch. Tief meint stiefeltief oder knietief, ca. 40 cm exakt ausgemessen: Ich stecke im Sumpf mit einem Stiefel und leichter Panik fest. Die ist berechtigt, denn Bruch ist nur die veraltete Bezeichnung für → Gleye mit vielleicht bis zu 80 cm Tiefe.
Vor mir springen graubraune Haufen (weniger panisch als ich) wie schneeweiße Blumen davon. Meine Augen sind nicht mehr für die Jagd geeignet. Immerhin sage ich mir: wo diese Blumen durchkommen, komme auch ich durch; einen Ausgang können die Gräben von mehr als 2 m Breite nicht gänzlich versperren. So ist es.
Den Rest des Tages rutsche ich freilich in meinem Stiefel in schlabbriger Schlammsuppe herum: über den Bruch sollte man auch heutzutage nur bei hart gefrorenem Boden gehen.
Den Zug habe ich knapp verpasst. Friesack anzusehen, ist nicht zu schaffen. Bis zum Mühlenberg, von wo aus die „faule Grete“ 1414 die Burg der Quitzows in Schutt und Asche geschossen hat, sind es 3,5 km. Die → Burg lag vom Bahnhof aus gleich rechter Hand auf einem heute mit einigen alten Bäumen bestandenen, weder als Berg noch als Burg erkennbarem Hügel.
Der griesegraue Himmel wird dunkler. Ich vertreibe mir die Zeit so wie die Zeit hier alles ins Nutzlose vertrieben hat. Ein Hund verbellt mich von einem anscheinend noch bewohnten Haus am Bahnhof im Nirgendwo. Bellende Hunde gibt es auf all diesen verlassen wirkenden Gehöften. Die Leute sind zur Arbeit außerhalb, zu den anderen kommt der Pflegedienst. Der Mann in Kressener Zootzen erklärte es mir mit leichter Alkoholfahne, nicht betrunken, aber genau so wie hier wohl viele den Tag zu überstehen versuchen. Ich glaube das Land von Erzählungen meiner Großmutter noch anders zu kennen. Die märkische Sprache aber ist unverkennbar die gleiche – klangvoll im Vergleich zur polternden thüringischen und dort als fremd ausgegrenzt. So klein war die Welt einmal. Auf solchem Bahnhof ist sie mir gänzlich abhanden gekommen. Ich tauche mit → Karl May ab.
Absolut schlecht der Bericht. Oberflächlich polemisch und alles andere als wahrheitsgemäß, und wer zu dumm ist einen Plattenweg von einem Schotterweg zu unterscheiden sollte lieber in Berlin bleiben. Wir haben zugezogene Berliner als Nachbarn, die wollen nicht mehr zurück weil sie das Leben hier zu schätzen wissen. Ruhe, Natur und Nachbarn die helfen und auf die man zählen kann.
Zum Zootzen lief ich als kleine “Hommage an Karl May”, also mit sehr eigener Intention. Da passte die Situation nach den verheerenden Oktoberstürmen bestens. 2017 sah nun einmal alles so aus wie in Text und Bild. Es gab auch Schotterwege auf meinen 15 Kilometern – noch schlechter zum Wandern. Und natürlich gab und gibt es überall unglaubliche Ruhe – sonst hätt ich sicher einen der netten Nachbarn gefunden, der mir doch noch den Weg zum altslawischen Burgwall beschrieben hätte.