Baum – Buch – Boom

10.9.2018 Japan-Import Wald-Wander-Schockschwemme
Wald-Schock

Vom Wald-Wandern war bisher nicht zu leben. Vom urbanen Wandern als Promenadologie immerhin freiberuflich mit Fotografie, Talkwalks und Büchern.

Aber JETZT

gibt es die “Kunst des Waldbadensals Wissenschaft – vom Wald bis zum Fensterbrettbonsai inklusive mehr Holz im Alltag. Begründet als “Shinrin Yoku” von Dr. Quing Li, dem weltweit führenden Experten für Waldmedizin, Prof an der Nippon Medical School in Tokio, Vizepräsident und Generalsekretär der International Society of Natur and Forest Medicine, Präsident der Japanischen Gesellschaft für Waldmedizin und Mitglied im Leitungsgremium der Waldtherapie-Gesellschaft in Japan. Sein Buch boomt auf dem deutschen Hauptstadt-Kultur-Büchertisch in unzähligen Praxisbuch-Varianten, u.a. vom “ersten deutschen Shinrin-Yoku-Coach”.
Dr. med. Wald empfiehlt:

Entdecken Sie ihre Wurzeln!
Kultivieren Sie ihren Stamm!
Jegliche Heilung kommt aus dem Wald!

Auch die eines klammen Beutels – sofern der Boom voraus gesehen wurde. Von mir bekannten Menschen leider nicht. Aber vielleicht klappt es noch mit der Organisation eines Wildnis-Retreats als Ganzkörper-und Gehirn-Weichspülung.
Mit Meditationsübungen “kognitive Stille” – JAAAAA! Unbedingt!

Being-away
→ zur Waldbade-Teezeremonie – für Glück und Gesundheit vom 19.1.2017, Belziger Busch –
noch vor dem Japan-Waldbadeboom!
Jenseits vom Geschäftsmodell “Waldbaden” gibt es ohne Blabla KOSTENLOS Glückshormone und Stille im Wald.
Nachtrag 2019: Musik in Kirchen hat nun sogar das KLANGBADEN entdeckt.
WANDERT einfach, solange manche Natur noch ticketfrei ist. Badet, so lange der See nicht blaualgenblau nach Luft schnappt.
Und sagt dem exzessiven BILDSCHIRMBADEN ab.

Intensität als Lebensform

Wohnsitz: Nirgendwo – Vom Leben und Überleben auf der Straße.
Hrsg. Künstlerhaus Bethanien, Berlin, Fröhlich & Kaufmann, 1982.
Broschierter Katalog, 464 Seiten mit Lexikon der Landstreichersprache.

Berlin, Januar 2017, © K.G.Brandler
Berlin, Nähe Kleistpark, Januar 2017, © K.G.Brandler

Outside 2017: Jeder zweite Obdachlose in Berlin kommt aus einem osteuropäischen Land der EU (Polen, Rumänien, Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen). Deutsche Sozialleistungen greifen nicht, google dazu Berliner Stadtmission, Ausschlussgesetz und Armuts- und Reichtumsbericht des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales.

Schock und Schöpfung: Jugendästhetik im 20. Jahrhundert.
Hrsg. Dt. Werkbund e.V. u. Württemberg. Kunstverein, Stuttgart. Luchterhand, Darmstadt (1986), broschierter Katalog, 436 Seiten.

Berlin, April 2007, © K.G.Brandler
Revolution Now. Collage eines Grrrl-Abends oder irgendwie anders outside… © K.G.Brandler, Berlin, April 2007

Salut gen Himmel

25. Mai, erstes Halbjahr 2020. Die deutschen Länder zerreißen sich in Diskussionen um das Aufheben der Grundrechts- und Menschenrechtseinschränkungen während einer Corona-Pandemie, deren Opfer altersabhängig, mehrfach krank und/oder sozial marginalisiert nie bisher im Fokus der Politik standen.
Keine Chance, den “#StayHome”-, “SaveLives”-, “StayHealthy”-, “StayConnected”- “StaySafe”-Fanatikern zu entgehen, die sich mit “Kultur” brüsten. Angepasste Kunst und Kultur. Angepasst. Angst um das Leben der anderen, Vier-Wände-Quarantäne selbstlos.

Mai 2020. Salut Berlin. Salut Deutschland. Salut Europa.
Mai 2020. Salut Berlin. Salut Deutschland. Salut Europa.

Wie viele Generationen prägt eine Zeit? Mein Jahrgang 1944. Die zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts: Kindheit oder Jugend der Elterngeneration; Großelterngenerationen gezeichnet vom 1. Weltkrieg, von der Weltwirtschaftskrise. Ich erinnere. Freiheit, Leben und Tod. Irgendein Buch auf meinen Regalen.

“…denn das Wilde liegt jenseits von Gut und Böse. Es ist das Reich der Selbständigkeit, der Selbstgenügsamkeit, in dem jeder einzelne die Verantwortung für sein Schicksal trägt…
Jetzt war die Zeit der großen Verantwortung gekommen, und die Menschen waren wie Herden im Propagandagatter, bis die Verantwortungs-Übermenschen sie reif für die Schlachtbank finden würde. Ordnung im Stall! Wohin einer geht, gehen alle.”

Nein, das ist nicht Manfred Hausmann und nicht…, und nicht…, und nicht… Das ist Gunnar Ekelöf aus “Glocken über der Stadt” in “Spaziergänge und Ausflüge”, Stockholm 1963, Leipzig 1983. Es lohnt zu fragen, wo und wie sich etwas mit anderen Vorzeichen wirklich grundlegend davon unterscheidet. Wann ist die Zeit des Todes? Wann für mich, für dich, für euch von Balkonen Klatschenden, für euch politische Übermenschen? Ebenfalls Ekelöf:

Und jetzt auch, in diesen Zeiten des Todes,
steht etwas dennoch fest: dass nur jener
der sich der Sache des Lebens gibt, überleben wird.

Bücher – eine Aufzählung

Günter de Bruyn: ein absolutes Muss für Märker und Berliner. * 1. November 1926, aber noch ist es still um ihn. Alles Abseits und Unzeitgemäßes…

Ja: Fontane ist auch ein Muss oder besser Identitätsanker für Berlin/Brandenburg. Trotzdem: keine Wanderung der “Wanderungen” meinerseits im Fontane-Jahr 2019. Ein eng begrenztes Feld: Grafschaften, Adelsnester, Ahnenpässe, Stammbäume. Aber bildungsbürgerliches Wissen boomt, wenn in den Landen über die AfD hinaus wenig Spannendes zu finden ist. In diesen Zeiten und dieser Region ist die schnöde Gewinnbeteiligung am Nachruf Fontanes eine sichere Bank.
Zufällig bin ich auf sehr Abseitiges geraten: Max Winter, Soziales Wandern, Wien 1911
Nun zerreißt, schmäht und verachtet mich. Diese kleine, bildhafte Schilderung zur “Geschichte des Alltags des deutschen Volkes” (Jürgen Kuczynski) ergibt mir mehr zu denken als Fontanes literarische Plaudereien.

Henry David Thoreau: Walden oder Leben in den Wäldern
Erstveröffentlichung: 9. August 1854, erhältlich in vielen Ausgaben.
Der Klassiker der Aussteiger-Literatur

Henry David Thoreau: Leben ohne Grundsätze. Ausgewählte Essays, erhältlich in diversen Ausgaben. 1987 bei Gustav Kiepenheuer, Bücherei 72, in der DDR erschienen. Klein genug als Rucksacklektüre. Aber der Titel allein reicht zur Beschäftigung des Gehirns auf vielen Kilometern. HOCHAKTUELL!

Adalbert Stifter: viel Kritikaster zum Werk: biedermeierlich, heimatliche Idylle… Ich bin sicher, er wird im Zuge des Nature writing wieder gelesen. Dieses englisch-amerikanische Literaturgenre ist übergeschwappt zu uns und total “in”. Mit dazu aktuell wieder verlegten und neu daran anknüpfenden Büchern kann ich leider nicht dienen (Achtung: ich verleihe nicht; erst von einem neuen Domizil in und von der Natur aus – falls ich ein bezahlbares finde!!!), aber es gibt sie zahlreich und viele sind gestalterisch Kleinode auf dem Büchermarkt.

Jean Giono: Der Mann, der Bäume pflanzte (L’homme qui plantait des arbres, 1953). “Nur” eine Kurzgeschichte, aber sie hat es in sich! Danke dem Bergwaldprojekt e.V. für diesen Tipp – passend für einen Abend nach anstrengendem Bäumepflanzen… → HIER die deutsche Übersetzung. Es lohnt sich, auch zum Hintergrund der Geschichte zu googeln.

Olga Tokarczuk. Nobelpreisträgerin für Literatur 2018
Taghaus, Nachthaus, aus dem Polnischen von Esther Kinsky. Klappentext: Ein Haus in den Bergen nahe der tschechischen Grenze. Eine Ich-Erzählerin und ihre alte Nachbarin, die voller Geschichten steckt. Geschichten, die sich mit den Träumen der Erzählerin verweben und immer wieder an diesen Ort nahe der Grenze zurückfinden, wo sich Zeiten und Schicksale treffen.
Ein Buch – das ganz besondere Buch – in dem ich alles gefunden habe, was mich auch ausmachen könnte und von dem ich träume.
Nachtrag: Der Gesang der Fledermäuse
Die Illustrationen unpassend groß und grob gedruckt anstelle filigran klein. Und etwas zu viel unverständliche Astrologie, die immer wieder meinen Lesefluss stört. Aber alles dazwischen… wunderbar!

Velma Wallis: Zwei alte Frauen. Eine Legende von Verrat und Tapferkeit
V. Wallis, geb. 1960 in Fort Yukon/Alaska, wurde in der Tradition der Athabasken erzogen. Nach dem Besuch der Highschool zog sie in eine Trapperhütte und lebte vom Fischen, Jagen und Fallenstellen.

Jean-Marc Soyez: Wolfsziegel. Lasst euch nicht einlullen beim Biwakieren von den Geschichten der immer scheuen Wölfe und unserem regionalen Überfluss an Beutewild. Der Wolf ist ein Raubtier und Bequemlichkeit ist nicht nur dem menschlichen Tier zu eigen.

Stephen King: Das Mädchen
Eine Neunjährige versucht in den Wäldern New Englands zu überleben…
Also gewöhnt es euch ab, zu jammern, wenn die Gaststätten geschlossen haben!!!!!!!!!!!!
Es geht auch → anders!

Zum Nachschlagen

Essbare Wildpflanzen: 200 Arten bestimmen und verwenden
von Steffen Guido Fleischhauer, Jürgen Guthmann, Roland Spiegelberger

Vegetarier zu jeder Jahreszeit
Beerenkost-Fährten, © K.G.Brandler

Gerd Ohnesorge, Bernd Scheiba: Tierspuren & Fährten in Feld und Wald.
Bassermann Vlg., 2007
Da ist wirklich viel Sichtbares drin!

Entschuldigung: Kein Vogelbuch. Ich höre schlecht… Aber Feder, die Federn… Da gäbe es etwas!

Und ein gutes Pilzbuch, das fehlt mir noch…
Ohne Buch gelingt die beste Pilzsuche mit www.123pilze.de.

Pilze sehen selten genau so wie in Büchern aus...
Pilze sehen selten genau so wie in Büchern aus… weder verarbeitet noch in der Natur! © K.G.Brandler

Achtung: KEIN BUCH! – aber total viel Infos mit weiterführenden Links zu allem was beim Wandern zu entdecken ist.
www.waldwissen.net

Die Insekten des Jean-Henri Fabre

Jean-Henri Fabre (1823 – 1915): Erinnerungen eines Insektenforschers
mehrbändiges Werk bei Matthes & Seitz Berlin.
Einzigartig: voller Bewunderung für den französischen Naturforscher (Entomologe) und Dichter.

Mini-Spurenlesen
Mini-Spurenlesen
Der Kiefernprachtkäfer hat die Zeichen als wolkiges Bohrmehl und eine ganze Gruppe völlig kahler Bäume hinterlassen. Er bedroht die Kiefernbestände im Müggelspree Wald- und Seengebiet, August 2017 (Infos aus der MOZ.de)
Blick auf einen naturgeschützten Ameisenhügel – und kein Insekt erwischt – eigenartig…(auch bei Hangelsberg August 2017)

Fabre gilt außerdem als ein Wegbereiter der Verhaltensforschung und der Ökophysiologie. Victor Hugo nannte ihn den »Homer der Insekten«.
Wandern kann auch das Krabbeln über eine Wiese bedeuten…

Meine unerfüllbaren und sehnsüchtigen Wünsche im Verlag Matthes & Seitz Berlin; in früheren Zeiten wurde Extra-Buch Modernes Antiquariat Kreuzberg Mehringdamm sogar mit Remittenden des Verlages beliefert… was für Zeiten…
Jean-Henri Fabre, “Erinnerungen eines Insektenforschers”
Robert Macfralane, “Karte der Wildnis” und “Alte Wege”
Roger Deakin, “Logbuch eines Schwimmers”, 2015 und “Wilde Wälder”, 2018. Unerfüllbar und diese Art des Lebens verpasst…

 

Heide, Heimat, Abenteuer

Eine halbherzige Entschuldigung für die folgenden Buchempfehlungen, zunächst für die pauschale Empfehlung von Büchern eines Jägers, Naturschützers, Natur- und Heimatdichters:

Hermann Löns (1866 – 1914)

Ja, ja, Löns gilt als Heide-Dichter und Heimatschriftsteller mit nationalistischen Anklängen. Blut-und-Boden-Literatur, Kitsch – passt gar nicht ins Heute und zum Morgen; da könnte gleich gefragt werden, was ich im September 2017 wähle…
Aber: wahrscheinlich sind seine Bücher und Gedichte nie wieder wirklich gelesen worden. Allein die Verwendung von kaum bekanntem Vokabular der Jägersprache oder die Bildkraft seiner Natur- und Landschaftsschilderungen empfinde ich wie einen Leuchtturm gegen unsere verarmte, weitgehend nur noch technokratische und ökonomisierte Sprache. Antisemitisch? Beni Benjamin, der in diese Heide gehörende Arzt aus dem Roman “Das zweite Gesicht” drückt dem “Helden” die Augen zu. Nichts mehr, kein christlicher Beistand. Ein genaues Bild der vor 1900 geborenen Menschen, wie ich sie noch erlebt habe.

Tucheler Heide, von der Brahe aus
Tucheler Heide, von der Brahe aus, Juli 2017

Im Juli 2017 bin ich mit Kajak auf der Brda (Brahe) durch eines der größten Wald- und Heidegebiete nicht nur Polens, sondern ganz Mitteleuropas gewandert: auf und an der Brda durch den Nationalpark Bory Tucholskie (Tucheler Heide), in welcher Gegend Löns aufgewachsen ist.

 

Noch einer, der oft nur heimlich gemocht wird:

Karl May (geb.1842 in Ernstthal; gest. 1912 in Radebeul)

Die regionale Nähe hat Bedeutung: in der DDR bis in die achtziger Jahre verboten, standen die Werke vor 1945 wohl in jedem Bücherregal von Berlin bis Breslau. Mit 8 Jahren konnte ich während eines Bautzen-Besuches in einer holzgetäfelten, dunklen Diele die Winnetou-Bände verschlingen – damals mit großzügigen Auslassungen. Dazu gab es in einem unvergesslichen, mindestens zweistöckigen Jugendstilkaufhaus detailliert ausgearbeitete Indianerfiguren mit scharf geschnittenen Nasen, Kostenpunkt vom Häuptling auf Pferd ca. 2.50 DDR-Mark. Ein Vermögen, das erst die Generation Golf kaputt gespielt hat. Die späteren Masse-Indianer waren in den Konturen enttäuschend breit geflossen.
Die Sächsische Schweiz dürfte Pate gestanden haben für die Kulisse dieser Indianerbücher.

Indianerspiel, 50er Jahre in der DDR
Meine geliebten Indianer gegen ungeliebte Weiße, meine 50er Jahre in der DDR

Karl May: der sächsische Hochstapler, Betrüger, Dieb aus dem Zuchthaus, als Schriftsteller der gefährliche Jugendverderber… Ja, es ist wohl so, dass seine wilhelministischen Leser begeistert in zwei Kriege getrieben und ganze Familien ausgelöscht wurden. Ich weiß nicht, wie sie Karl May gelesen haben, jedenfalls nicht wie Albert Einstein, nicht wie Ernst Bloch, nicht wie Arno Schmidt.

Mir wurde in frühen Jugendjahren aus damals pädagogischer Sicht mitgeteilt: „Sie sind renitent.“ Was bin ich? In meinem Umfeld gab es kein Wörterbuch. Ich hab wohlweislich nirgends nachgefragt und das unauslöschlich eingeprägte Wort erst in Leipzig während der Studienzeit nachgeschlagen.

Vielleicht war/ist doch Karl May schuld – an allem.

Und Überraschung: ich bin am 6.12.2017 auf den Spuren von Karl Mays Erzählungen gewandert!
Auch hier war er zumindest in der Phantasie und ich live.

Die Mumins

Wer sich bei Rotkäppchen trotz der 2017 gezählten 22 Wolfsrudel in Brandenburg langweilt und nach meinen Literaturtipps immer noch nicht begeistert ist von Naturabenteuer, widme sich den Mumins der finnischen Schriftstellerin und Illustratorin Tove Jansson . Mumins, kleine Trolle, sind von Katastrophen verfolgt. Wie die Lemminge wuseln sie in der wilden Naturschönheit ihres Tales von Abenteuer zu Abenteuer.
Meine Empfehlung: sich klein machen und nachspielen in der Natur!

Die Mumins im Land Verlorene Wasser, © K.G.Brandler Oktober 2017
Mumins und ein Hatifnatt im Land Verlorene Wasser, © K.G.Brandler an einem windigen Oktobertag 2017

Überhaupt: Wandern mit Kindern – unerschöpfliche Möglichkeiten! Jenseit von Berlin eine Selbstverständlichkeit. Dass das Lied “Hänschen klein…” in Vergessenheit geriet, liegt mit der unerwünschten Botschaft “GEHEN” eher am städtischen Bequemlichkeitsdenken als am gewandelten Musikgeschmack.
Ha ha, Blabla…