9. Mai 2020. Berlin, Malchower Aue. Endbahnhof Alex. Fußläufig, mein Quartier.
Ich gebe mich nicht der Illusion hin, dass jemand hier mit Empathie liest. Es ist auch alles bereits verächtlich, aggressiv und besserwisserisch gesagt zu Haltungen, die meiner ähneln. Es darf sie einfach nicht geben zur Zeit der „Coronakrise“.
Im Dreieck Malchow – Pankow – Weißensee
Richtung Malchower See und Aue, Reitverein, Golfplatz Pankow. Vor und hinter den Einfamilienhäusle seit Corona-Ausgangssperre glückliche Gartencenterstimmung. Auf den Wiesen eine bunte, nah-normale Menschenmischung. Wer hier für mehr als Naturschutz eintreten würden, sähe sich wohl im Moor versenkt. Aus dem man übrigens NORMAL angeschwärzt wieder kriechen kann.
Ein Fotograf auf Libellenjagd. Die ersten in diesem Jahr. Meine erspähte erste Schwalbe ist keine erste. Kein Wunder in diesen Zeiten.
Rad fahren – ein Abstandshobby, so man hat. Migrations-Familien mit mehr als zwei Kleinkindern eher nicht. Das Wandern ist öde in dieser übersichtlichen Wegelandschaft. Ich sammle Glanz- Stanniol- und Plastikteile, aber warum ich? Es läuft, nein es lagert sich ungestört mit Blick auf diesen Dreck. Wenigstens für den → weißen Müll wäre in Stadtnähe eine Menschenhundetüte als Gesetz zu begrüßen. Hygienischer als Maskengesetze.
Zurück in die Coronakrise
In Bussen und Bahnen wird die Maske etwa ab Weißer See aufgesetzt. Mit asiatischer Herkunft, ein jämmerlich schreiendes, kleines Mädchen: „Kinder brauchen keine Maske, Kinder brauchen keine Maske“. Ängstliche Migrantenblicke rundum: die Maske wird verpasst, weiter so, sogar auf der Straße.
Nee, hab mich nicht eingemischt. Mit dieser Scham steige ich aus. Rosa-Luxemburg-Demo müsste grad zu Ende sein. Der enge Durchgang am Kaufhaus Alex verstopft. Menschenmassen.
Nehme ich gern: die gestrige Ausgabe von „Demokratischer Widerstand“, Hrsg. Anselm Lenz u.a.
Lesen, wo, wann, wie sich die Verschwörungstheoretiker entlarven. Gehen oder/und Abstand halten. Freundliches Umfeld. Also: ich steh jetzt auch mal öffentlich gegen den Zwang, mich wegen Brot und Butter (in den 50er Jahren reichte die ohne Massentierhaltung) in eine 20m-Schlange von Großeinkäufern reihen zu müssen usw. usw.
Stille, trotz der vielen Menschen. Ein abgedrehter Hippie-Buddhist klingelt Glöckchen. Kurzzeitig Pfeifkonzert oder massive Freiheitsrufe. Das Trampeln rennender Polizeistaffeln. Dann: stehen und staunen. Eine kleine, lebendige Freiheitsstatue auf dem „Brunnen der Völkerfreundschaft“ – die ehrfurchtsvolle Presse weiß das, ich kenne nur „Nuttenbrosche“ von Walter Womacka, Staatskünstler der DDR. Nicht erkennbarer Text auf der Moses-Pappgesetztafel. Mehr als „Freiheit“ kann kaum draufstehen. Unschlüssige Polizei. Menschen steigen nach, schwenken die schwarz-rot-goldene Fahne, umarmen sich. Freiheit.
Das möchten wir sehen: schwarz-schwer gerüstete Polizei, die Schlechtekunst-Banausen aus dem Wasser holt. Schwimmstaffel? Nee, Hundestaffel wie einst am antifaschistischen Schutzwall. Weniger lustig. Erwartungsvolle, lange Stille über dem ganzen Platz.
In diese Stille eine einzige Stimme aus Richtung Polizeistation: „Nazis raus“. Ununterbrochen. Neben mir: „hat der nicht verstanden, warum wir hier stehen?“ Wir haben ihn im Blick. Ein „pikobello Lackäffelchen“ würde der Berliner sagen. Wenn ich schon nicht dem ganzen Polizeistaat in die Quere renne, den einsamen Rufer werde ich jetzt fragen, wenn es niemand anders tut: WO SIND SIE, die Nazis? Wer bist du stimmgeschulter Provokant? Wedelst einsam mit der „Wochenzeitung der Republik“. Zwei, drei Leute drängen ihn bereits ab. Ein kleiner Kreis, hauptsächlich Presse. Das Lackäffchen labert gekonnt mit perfekter Werbemiene ohne Atempause gegen hilflose Wut. WOHER kommt er? Soll die Presse es ausschlachten. Interessiert ganz schnell niemanden mehr.
Nazis raus. Man soll sich nicht irren: die ersten Nazis waren nicht die brutalen Überfallkommandos. Zu Haus: Inforadio – 18 Uhr gar nix. Im Netz: nur Attila Hildmann, Star-Vegankoch mit „wüsten Coronaposts“ und live vor dem Reichstag. Klingt selbst gelesen echt betroffen. Tut nicht so: aus dem Bundestag sind wir es gewöhnt!
Später im Radio: Extremisten nutzen es aus. Google-Verweis auf Twitter (David Donschen, anderes finde ich nicht) zum “der Rufer”: Hendrik Sodenkamp #Demokratischer Widerstand. Mitherausgeber der Lenz-Zeitung, der friedliche Widerstand vom Rosa-Luxemburg-Platz. Die Latte der Kommentare einhellig: aggressive Demonstranten, Nazis. „Sieht man an den Visagen“ usw.
Die Guten. Die Kulturmenschen, die können auch anders vom Sofa aus, mit dem Gläschen Wein – geht schon, geht schon mit 2 Zeilen Twittern.
Die, die auf den Balkonen schlecht bezahlte „Alltagshelden“ beklatschen, während (nicht ihre) Eltern in unterversorgten Altersheimen sterben.***
Die, die Videos und Ballett drehen auf ihrem Wohnungsparkett und sich mit Service von Starköchen beliefern lassen oder wenigstens vom Soli-Bauernhof.
Die, die in ihren Zweitwiesenwaldunterkünften die neue Widerstandskunst und -Kultur kreieren. Regulär und solidarisch.
Sag mir wo du stehst. Es kann sich alles wiederholen. Einfach nur etwas anders. Wir schützen Leben. Global. Mit Angela Merkel, mit Gregor Gysi, mit Minister*innen für Kultur und welchen für Gesundheit und mit allem. Mit dem Rüstungsgeschäft sowieso.
Gab es diesen Wahn, dieses Trauma einer solchen Art von Globalisierung nicht schon ähnlich einmal?
Alle Kranken und möglicher Weise Krankheitserregende weg. Und dann ENDLICH: gesundes Volk grenzenlos.
Die Presse kann das: für mich Bewegtes zur Erinnerung, für andere zur Ergänzung.
Bei mir fehlt Ton. Das normal Laute hab ich nicht empfunden: Alex eben. Oder geschnitten? Hat lange genug gedauert, bis es zu finden war.
Ja: irritierend die Gelassenheit der Polizei. Immer ganz plötzlich: brutal durch die Menge.
Zur Durchsetzung von Maßnahmen. Befehl ist Befehl.
GEHORSAM SEIN.
*** sicher haben wenige Lust, den kaum in seiner Tragweite erfassbaren Entwurf eines “Zweiten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite” zu lesen. Immerhin verständlich: alles für Personal und Altersheime einmalig für die Zeit der Krise. Keine Verbesserungen auf Dauer.