…das sind am 27.3.2020 – nach der fußläufigen Berliner Mitte – ca. 18 winklige Kilometer zwischen Beelitz Heilstätten, dem Standortübungsplatz Beelitz und der Teufelsee-Feuchtgebietskette bei Seddin. Kein Märchen, nur manches überinterpretiert oder schwammig gezeichnet. Damit haben wir seit kurzem gelernt umzugehen.
Räudiges Leben
Auf dem gestatteten Morgenspaziergang: ich quäle mich gelangweilt. Denke wie Familie Thalbach (irgendwie muss sich noname ja rückversichern): keine Heimat mehr in diesem Berlin.
Aber, ach ja: gern noch einmal die DVD: Katharina und Anna Thalbach als “Friedrich, ein deutscher König”.
Nur saß “der Große” in Potsdam mit seinen Windspielen. Und wir seit Jahrzehnten zwischen Bauzäunen.
Friedrich als Philosoph auf dem Thron: „Hier mus ein jeder nach Seiner Fasson Selich werden“. Wir werden allerdings gegenwärtig von Kriegsvokabular überschüttet. Und beim Schlachten war der “Alte Fritz” dann auch autoritär und unbarmherzig.
Switchen wir also in die Zwanziger… in diesem Jahrhundert: Berlin Mitte ist Zentrum der Lungenkrankheit COVID-19. Spandauer-/ Rathausstraße. Der unverbesserliche Berliner: etwas verfrüht noch bei Rot; prekär ohne Tourismus; Frühjahrsräude ohne Friseur; obdachlos in Zeiten flächendeckender Bebauung. Wie die meisten Solo und daher vorschriftsmäßig in Corona-Zeiten.
So wird es jedoch: auch der schlaueste Fuchs verliert jetzt sein Fell. Die Backshop-Starschwärme vom Alex haben sich vereinzelt. Trotz allem, unverwüstlich trällert meine Erinnerung:
Virusika, der Lenz ist da, die Medien singen trallala.
Die ganze Welt ist wie verhext, Virusika, auch der Spargel wächst.
Erleuchtung! Spontan-Sofort-Suche nach einem Spargelstech-Job! Für meine soziale Schicht, mit den Wirtschaftsaussichten ganz und gar, ein unbezahlbares, leider Lieblingsgemüse.
Coronabil historisch
Ausstieg Beelitz Heilstätten. Noch nie von mir besichtigt: ich vermeide gern Neid vor unerreichbar Schönem.
Diesmal aber der Anblick gedimmt von Baumwollwindel. Das passt. Der zur Zeit nicht abgesperrte Gebäudekomplex im Bereich der recura-Unternehmenszentrale (Rehaklinik), alles parallel zur L88, überzieht sich mit einem Virusnebel. Digital nachempfunden.
Ein Zauberberg im Flachland. Als um 1900 die Tuberkulose als verheerende Volkskrankheit die Berliner Bevölkerung dahin raffte, wurde 1898 in den Wäldern von Beelitz der Bau eines gigantischen Heilstättenkomplexes begonnen.
In 4 Bauphasen entstand auf 2 Mio m2 Land und einem Sonderareal in Potsdam die Lungenheilstätte. Da anfänglich noch kein Antibiotikum zur Verfügung stand, wurden die Patienten mit strengen hygienischen Methoden und wohltuenden Wasser-, Licht- und Luft-Therapien behandelt.
Die Tuberkulose (TB) ist noch heute eine meldepflichtige Infektionskrankheit, die durch Tuberkulosebakterien (Mycobakterien) hervorgerufen wird und in 90-95% der Fälle nicht zu einem klinisch fassbaren Krankheitszustand führt. Die Übertragung erfolgt in der Regel von Mensch zu Mensch durch Tröpfcheninfektion.
→ Jenseits von Panik auch zu Vireninfektionen.
Potzplautz und Schweineschnauz
Es reicht. Auf! Richtung Klaistow. Landstraße. Schwerlaster wummern vorbei und durchs Tor der Heilstätten-Betonmauer. Im Wald des Baumkronenpfades Krachen und Knallen. Die Bauwirtschaft boomt.
Der Mauerbeton endet plötzlich. Völlig unpraktisch: ich hab – weil ungeplant – meine dünn und glatt, lederbesohlten Stadtschuhe an. Tapete, Kacheln. So etwas liegt unter dem Laub. Ich lande auf Beton: dem “Baum & Zeit-Parkplatz”. Zu anderen Zeiten dürfte hier vor lauter Menschenmasse nichts zu sehen sein. So wie jetzt, nur anders.
Arbeite mich vorwärts – raus aus dem Krachen, Wummern und dieser gelben Baggergefahr, quer und unberechenbar durch den nahen Wald. Es ist ersichtlich, dass mit Einzelwesen aus dem Nichts nicht gerechnet wird.
Ein systemrelevanter Grund für diese Tätigkeiten fällt mir nicht ein. Alles privat.
Das einstige Sanatoriumsgelände natürlich verwildert – mit Epizentrum wilde Schweinepest. Bin immer wieder erstaunt, dass dieses Borstenvieh so gern auf Hügeln und nicht in den Senken wühlt. Und Scheiße! Ganz konkret.
Aber auch Potz Hackebeil Donnerbrumm und Staublungengefühl: ich bin umkreist von Autobahn. Spargel-Klaistow Ade.
Es geht nur zurück, ohne Variante. Eine Rotte panischer Schweine. Wir haben die gelben Bagger erreicht. Hätten mich fast mitgerissen – diese Schweine – als eine der ihren. Entweder / Oder. Hätte noch wählen können zwischen Schweinegrippeabschuss oder Coronavirendauerquarantäne mit der Krankheit zum Tode.
Sonntag 29. März 2020, sinngemäß “Merkur.de” zit.
Suizid des hessischen Finanzministers Thomas Schäfer (CDU). Erst vor drei Tagen veröffentlichte er ein Video, dass die staatlichen Hilfen in der Coronakrise erhöht werden.
Mit Absatz
Generell berichten wir (der Merkur) nicht über Selbsttötungen … nur dann, wenn die Umstände eine besondere öffentliche Aufmerksamkeit erfahren. Wenn Sie oder eine Ihnen bekannte Person unter einer existentiellen Lebenskrise oder Depressionen leidet, kontaktieren Sie bitte die Telefonseelsorge unter der Nummer: 0800-1110111. Hilfe bei Depressionen und anderen psychischen Notfall-Situationen gibt es außerdem unter…
Existentielle Lebenskrise… Welcher Hirni hat die jetzt nicht?
Deutschland, einig Vaterland. Kontrolle ist alles. Ist nicht allzu weit her mit der Freiheit, zum Lebensende schon gar nicht. Mit Moralkeule.
Und dann versuch mal, übers Kuckuckusnest zu fliegen…
Von reguliert bis militärisch
Hier auf dem Bild geht es nach Fichtenwalde. Hoffnungsvoll wähle ich Richtung Schlunkendorf. Kerzengerade und quadratisch. Nach wie vor in alle Himmelsrichtungen.
Mehr Abwechslung als die Haufen am Wegesrand ist nicht. Na reicht doch, um an alle Krisen zu erinnern. Von Klimawandel bis Virus: Bausand. Ein immer seltenerer Baustoff für Urbanisierung, erweiterte Infrastrukturen, Industrieanlagen. Beton, Beton, Beton. Sand liegt immer unter anderer Natur. Oder über unersättlichen Kulturen. Babylon wurde unter Sand entdeckt.
Auch hier am Straßenrand ein virulenter Arbeitstag. Sektor Transport und Verkehr: in Zeiten der Corona-Krise nur Betriebe für kritische Infrastrukturen.
Könnte passen: Beton-Aufbruch, Asphalt-Aufbruch. Tödlicher als ein Coronavirus. Krebs und manche Lungenentzündungen werden durch eingeatmete Stäube verursacht.
Abzweig: dieser hat vielleicht etwas zu bedeuten. Aber nee, Himmelsrichtung Seddin. Ich will Schlunkendorf.
Finde einfach nicht raus aus diesen spärlichen Ausgleichsmaßnahmen in stupider Anordnung. Regelwald. Nicht mal ich hab Bock, hier quer zu laufen.
Nein, diese Schilder befanden sich bisher nur rechts von mir. Ich komme aber geradewegs von dort getappelt.
Brückentreffpunkt mit Stockabstand. Aha: Schlunkendorf funzt nur über Beelitz. Ach nee. Und Mist – jetzt hab ich mich über die gleiche Geländerstelle gehängt wie die Walker. Solche Infizierung wird niemals so gut nachzuverfolgen sein wie meine Route auf maps.
Aber jetzt soll es landschaftlich schön werden: am Teufelsee.
Zum Teufel nochmal
Blaise Pascal, französischer Mathematiker, Physiker und christl. Philosoph (*1623, †1662)
Lest seine “Gedanken” in der buchkünstlerisch bemerkenswerten Ausgabe von Faber & Faber
Zwischen uns und der Hölle oder dem Himmel gibt es nur das Leben, das die vergänglichste Sache der Welt ist.
Sonntag 29. März 2020, 07.06 Uhr auf www.bild.de. Kanzleramtschef Helge Braun: “Wir reden jetzt bis zum 20. April nicht über irgendwelche Erleichterungen… Eines ist allen Modellen gemein, egal, wie wir uns entscheiden: dass die älteren und vorerkrankten Menschen in unserer Gesellschaft wirksam vor einer Infektion geschützt werden müssen, bis es einen Impfstoff gibt.”
Könnte es sein, dass es in zwei, drei Jahren noch immer keinen gibt?
Wer seid ihr (angeblich christliche) Politiker, die ihr mein Leben schützen wollt und mit dem Tod droht? Ja, ihn sozusagen mit Freiheitsentzug verordnet vor dem Tod?
Mich packt die Badelust. Es ist heiß und das Wasser fühlt sich ausreichend warm an. Aber die Teufel sitzen an der Angel. Hübsch verteilt. Das bringt ihre Zielsetzung mit sich.
In der Ferne tanzen 1000 Lichtsterne. Was für ein Phänomen? Ihre flimmernde Linie schiebt sich vor und zurück, mal unzählige Blitze, mal übersichtlich weiße Pünktchen.
Wo sitzt hier nur das Böse? An den Weidenkätzchen blütenstaubschwere Hummeln. Trauermantel, Zitronenfalter und Admiral taumeln wie eben erst geschlüpft durch die Luft.
DA!
Da sitzen sie. Links unten. Drei zu pflanzlichen Wesen mutierte Coronaviren.
Ich fliehe.
Gerissene Kette
Ohne Spargel war ich zu schnell. Für Schlunkendorf zu langsam. Der Nuthe-Nieplitz-Wanderweg zu weit, die Seddinsee-Umrundung zu frequentiert (Dorf braucht auch Auslauf). Erst einmal Mittagspause mit Polygonia, dem Edelfalter mit den auffällig gezackten Flügeln. Die erste Generation fliegt ab April und ist von leuchtendem Siena. Die Tiere, die im Sommer schlüpfen, sollen röter aussehn.
Dann ein umwegiger Querweg im Bereich dieser Teufelsee-Feuchtgebietskette. Schon um mal hinter den Busch zu huschen. Von nicht allzu weit in Befehlston: Asta, Asta… Das fehlt mir noch, dass mich ein Jagdhund in den Arsch beißt. Durch die Bäume blitzen Autos, rotweiße Bänder werden gespannt. Der Wald wird mit Rasenmäher bearbeitet.
Der Hund beweist: blinder Gehorsam führt zu keinem Ziel. Ich aber fühle mich nun an und um die weiteren Senken sicher. Eine kleine Wacholderpflanzung.
Viel mehr als gute Absicht ist nicht zu entdecken. Ab und zu hoppst ein Blatt wie ein kleines Tier am trockenen Wegrand.
Gänzlich oder bis auf Reste vertrocknete Tümpel. Schussfreiheit ohne zu entkusseln. Grabenverschluss mit Reisig. Da wird lange schon nichts mehr geflossen sein.
Der Nettelbusch
FFH Gebiete sind europäische Natur- und Landschaftsschutzgebiete, die dem Schutz von Pflanzen (Flora), Tieren (Fauna) und Lebensraumtypen (Habitaten) dienen.
Auf google maps: 24 Stunden geöffnet. Haha…
Ich schlunze Richtung Bahnhof Seddin.
Unbedingt noch das Wochenendgemüse sammeln.
In der Volksmedizin wurde Brennnessel-Tee u.a. gegen Lungenerkrankungen getrunken.
Auf der Insel Wollin gingen Leidende an drei aufeinander folgenden Tagen vor Sonnenauf- oder -untergang zu einem Nettelbusch und sagten den Spruch:
Guten Abend, du Alte. Ich bringe dir das Heiße und das Kalte. Mir soll es vergehen und du sollst es nehmen.
G. Scherf, Zauberpflanzen Hexenkräuter. Mythos und Magie heimischer Wild- und Kulturpflanzen, München 2003, S. 114
Neuseddin. Erst am Bahndamm fällt mir ein: das hatten wir schon einmal. Unendlich bis zur Unterführung. Laaaanger Tunnel. Der Zug ist verpasst.
Zuhause guck ich noch einmal meine Wege auf maps.google an.
Zuhause: Ort festlegen
Arbeit: Ort festlegen
Bewegungsprofil = Fußfessel
Nächstenliebe oder doch eher → Orwell ist Wirklichkeit geworden.
Guten Abend!
Ergänzend dazu aus der Coronakrise → Halbrund um Seddin, Beelitzer Spargel und wieder Autobahn