Allein in Wald und Flur
Aber warum Singlewandern? Puzzelt den Sinn hinter den Zeilen zusammen, dann ergeben sich Antworten: glücklich machende und zu wenig mit diesem und jenem kompatibel, manches zu abseitig und da war doch noch was…
Eins ist sicher: allein erlebe ich die Welt intensiver.
Das „wilde“ Wandern, das wegelose und alleine Gehen ist keine Zerstörung der Natur, eher das Gegenteil: leise, unbemerkt. Selten stürzen Tiere panisch direkt vor mir auf: ein buntes Fasanenmännchen mit einem Schwarm Hennen aus einem kaum kniehohen Büschel am Feldrand (ich hatte bereits über die dunkelrot, goldgelbe Blütenfarbe der Pflanze gerätselt). Ein Kitz steht mitten auf dem Weg – keins aus Gips.
Von einem der neu besiedelten Waldrandgrundstücke mit Baumarktvorgarten tönt es mir von Frau zu Frau nach: „Man geht als Frau nicht allein in den Wald…“
Wild wandern: wenn man vom Weg abkommt, lernt man die Gegend kennen. Und die Menschen.
12. Dezember 2018, Solo zu zweit. Wegelos in den Kieten bei Bad Belzig, in etwas Wald, viel Feld, mit viel Auf und Ab, letztendlich noch einmal in und um die Burg Eisenhardt: schlappe 14 km, trotzdem total kräftezehrend und jetzt knülle…
Die Besonderheit des Flämings, die → Rummel, heute Trockentäler: während der Schneeschmelzen in der Weichseleiszeit haben sich reißende Bäche in den ringsum gefrorenen Boden tief eingegraben. Bis heute fließen Schmelz- und Regenwasser (falls es sie gibt in Zeiten des Klimawandels) von den Höhen genau in diese Senken.
Die Kieten, eine Rummel südöstlich von Bad Belzig: vor Jahren waren sie noch auf den Wegweisern verzeichnet, auch dann noch als auf dem abzweigenden Weg Richtung Preußnitz und Kranepuhl nur von oben die kleine Brücke auszumachen war.
Aus Richtung Bahnhof kommend, habe ich nichts mehr von den Kieten gelesen. Und doch ist es für mich eine der mir liebsten Rummel – seit langem wild belassen, nur im Winter begehbar, wahrscheinlich manchmal sogar streckenweise mit Wasser – zumindest ich habe es schon patschenass erlebt. Einmal noch wollte ich diese Rummel gehen. Es trafen sich ganz passend zwei “wünsch dir was”. Zunächst ermutigende Blicke aus den Höhen, dann hinunter mit dem unbedingten Glauben: wir schaffen das.
Die Natur darf hier nichts als Natur sein. Das Rehwild tritt schmale Pfade und lässt kleine Hörnchen liegen. Vogelnester in greifbarer Höhe, hängende Nester – die Haselmaus oder wer?
Junge Wildnis: drüber und drunter, hoch und runter. Klettern ist angesagt.
Die Äcker haben den Kieten den ursprünglichen Wald bis zum Rand abgetrotzt. In der Folge brechen die steilen Hänge ab, Erdrutsche bilden breite Mulden.
Der Ausgang der Kieten in Sicht, aber irgendwie setzt sich diese Hauptrummel mit Acker- und Straßenunterbrechungen in schlängelnder Ost-West-Richtung fort bis zur Bahnstrecke. Später ist dort im steilen Bergauf-Bergab zu merken: Tal und Damm wurden nordsüdlich schneidend in diese Landschaftsformation richtig hinein gequält.
Jetzt zehrt aber erst einmal das Wegelose Richtung Kranepuhl an den Kräften und hängt an den Schuhen.
So harmlos die Landschaft von den Ackerflächen aus wirkt: im Wald rummelt und rammelt es namenlos weiter hoch und runter – ein einziges Gewirr von zahllosen, dieser für den Fläming so typischen, tiefen Trockentäler.
Wie die Kieten verlaufen auch hier die Täler in Ost-West-Hauptrichtung. Wer die wenigen Wege meidet, hat Probleme.
Bergholz und Borne sind uns schnuppe geworden. Die Biege nach Grützdorf streichen wir auch, schleppen uns auf kürzestem Weg zur Burg Eisenhardt.
Erlebnisreich und sehr lesesteinreich. Und eine echte Berlinerin hat zum ersten Mal den Hohen Fläming erlebt. Das ist doch was!
28.11.2018 am Teltowkanal in Fließrichtung zum Friedhof in zwei Etappen: 16 km vom U-Bahnhof Ullsteinstraße zur Schleuse Kleinmachnow.
02.12.2018: ca. 6 km Schleuse Kleinmachnow, Kanalauenweg, Wilmersdorfer Waldfriedhof, Südwestkirchhof Stahnsdorf.
Berlin hat schon manch einem die Worte verschlagen. Fürs Herze gibt es erst recht wenig. An der Fotofülle ist zu merken: weder Auge noch Geist kommen zur Ruhe.
Dabei schleich ich still und leise,
immer am Kanal lang, immer am Kanal lang…
Meine Heimstrecke, die U6 in Fortsetzung bis U-Bahnhof Ullsteinstraße mit dem herrlichen Backsteinexpressionismus des Ullsteinhauses und dem Blick zum Hafen als Beginn der Wanderung. Es hat sich viel verändert, immerhin wiedererkennbar. Der Speicher freilich kalkweiß saniert, kaum als Industriedenkmal auszumachen; die Straße eine Autorennbahn und der Mensch läuft und läuft und läuft bis er endlich am Teltowkanal steht.
Silberlaub und Silberstreif-Flugzeug und Silbermond beim Blick in den Himmel
Die ganze lange, gerade Strecke begleiten Kleingartenanlagen, “Villchen”-Bauten des Mittelstandes, seltener wegen der Lage längst nicht mehr bezahlbare Mietshäuser
Von diesen Schildern und gesperrten Ein- oder Ausstiegen darf sich nicht abschrecken lassen, wer das Nordufer des Teltowkanals (rechts im Bild) durchgehend laufen möchte. Während oberhalb ein perfekt breiter Rad- und Laufweg entlang führt, streckenweise aber vom Ufer wegführt, geht der schmale Trampelpfad ununterbrochen begleitend und unter allen Brücken hindurch bis Höhe Stichkanal einst die Mauer begann.
Drei Antworten erhielt ich auf meine Frage “Sind Sie schon einmal unten entlang?” Mann, über 40, mit Hund: “…kenne ich nicht, das muss lange her sein”. Mann in meinem Alter: “…den pflegt niemand”. Frau, älterer Jahrgang: “…weiß ich nicht, ich fahre Rad.”
Gepflegt hat diesen Pfad niemals jemand. Er wurde begangen und mit Rädern befahren. DAS ergibt Weg.
Kurze Strecken führen sogar noch offiziell direkt unten am Ufer entlang.
Die Brücken: Süd-Nord fuhren und fahren noch immer die Züge aus Richtung Dresden, aus der Lausitz, aus dem Teltow. Und die Menschen von dort siedelten in Tempelhof, in Marienfelde, Lankwitz, Steglitz, Lichterfelde, Schönow und machten die einst ländlichen Orte zu dem provinziell ausufernden und in Kieze zersplitterten, großen Berlin.
Ein kläglicher Rest der → Bäke in Steglitz – das einst bestimmende Flüsschen wurde dem Teltowkanal einverleibt. Rechts und links vom Kanal sind kurze, übrig gebliebene Schlängel als Biotope unter Naturschutz gestellt. Aber die zu retten, gerät irgendwann in Vergessenheit oder erledigt sich von selbst mit dem Klimawandel.
Es gibt derzeit wegen Bauarbeiten eine kleine Umleitung, weg von dem hier promenadenähnlichen Weg erst einmal durch das Gelände des Benjamin Franklin Krankenhauses.
Berlin baut, jaaa: DAS muss niemand einem Berliner sagen, auch wenn es keine bezahlbaren Wohnungen gibt.
Zwischen Krankenhaus und Schlosspark Lichterfelde (unbetretbar verwildert zum NSG) dann auch gleich 2x deutsches Schicksal. Für Paul Schwarz wurde zusätzlich ein Gedenkstein errichtet und der Obdachlose kann später einmal wippen.
Obdachlose werden vielleicht aber auch eines Tages ausgelagert wie die Versuchstiere aus dem “Mäusebunker”, das marode Tierversuchslabor der FU-Berlin aus den 70er Jahren. Deren anstößiger “Inhalt” wurde inzwischen nach Berlin Buch verlegt – mit über einer Million Tiere. Das ist der Stand unserer Forschung. Da brauchen Schulkinder keine Computer, sondern Messerchen. Da dürfen Medienräume ohne Administratoren vor sich hinschlummern.
Das Betonmonster, künstlerisch als eine Skulptur begriffen, ist inzwischen historisch bedeutungsvoll: ganz besonders brachial. Bestückt mit den blauen Belüftungsrohren braucht es nicht viel Phantasie, um sich experimentelle Medizin vorzustellen.
Vattenfallrohre am linken Ufer und am rechten ebenfalls irgendwelche Rohre
Fürsorglich ab hier für die Jogger jedes Steinchen, jedes Würzelchen umpinselt. Die Aneinanderreihung solcher Fotos ergäbe ein kartografisches Kunstwerk.
Obwohl das folgende Halbinselchen ein wunderschöner Pausenort ist, geht es kurz vorher auf einer quittegelben Brücke über den Stichkanal und ab jetzt der Natur näher als bisher – seit dem Mauerfall.
Jetzt wird es landschaftlich schön!
Der Grenzverlauf hat ab Schönow bis Kleinmachnow und Stahnsdorf allzu nahe, in die Natur eingreifende Verschandelung verhindert.
Am Buschgraben verlief die Mauer zwischen Ost und West und trennte Kleinmachnow so gut wie völlig ab von seiner Hauptstadt, auch wenn das damals nur die “der DDR” gewesen war.
Nein, ich möchte mir nicht dieses durchgängige Naturstück verderben. Und doch haben das einige Grundstücke etwas abseits vom Kanal geschafft. Keine Ahnung, wie ich dahin geraten bin. Jedenfalls sind die Bürokraten, die mit Gesetzesrecht oder zu Unrecht (menschlich gedacht) den Schaden verursacht haben, hier auch noch nicht gewesen. Vergammelte Schilder hängen an den vergammelten Gartentoren: “Das war mal ein Wohnhaus, jetzt eine Ruine… Dank der Gemeinde… …Klein-Moskau…”.
Wurde nach dem Mauerfall ein kleines Eckchen von verdrängten Kreuzbergern okkupiert ? Oder erinnerten sich die Nachkommen eines Ostberliner Urgesteins? Meine Phantasie kann sich viel vorstellen. Ein grünes Kleinod ist ersatzweise nicht entstanden.
Der Graureiher am Ufer fühlt sich in seinem Wohnbereich sicher. Er dreht und wendet sich, wenig Schritte vorwärts, wenige seitwärts. Hals recken, langsam wieder einziehen. Ach, wie er damit doch hierher, zu der über ihm und zwischen den entlaubten Bäumen sichtbaren Hakeburg passt!
In der Reihe Brandenburgische Historische Hefte 6 untersucht Hubert Faensen deren Geschichte ausführlich unter dem Titel “Geheimnisträger Hakeburg”: Rittergut, 1938 Grundstück der Deutschen Reichspost, Forschungsanstalt, Parteihochschule der SED, Gästehaus der DDR, vereinigt natürlich ein Hotel – ein Ort wo sich Ideologien und Wirklichkeit nach allen Seiten recken und strecken, drehen und wenden und die Menschen damit besser als ein kleines Fischlein überleben.
Richtung Schleuse, wenig unterhalb der Hakeburg der Gedenkstein für den norwegischen Dichter Nordahl Grieg, der hier 1943 als mitfliegender Journalist beim Abschuss eines britischen Bombers starb. Bis zum Stahnsdorfer Südwestkirchhof sind es keine 6 km mehr. Meine Erinnerungen an dieses und jenes sind ausreichend strapaziert. Ich steige an der Schleuse in den erstbesten Bus.
Der Teltowkanal mit all seiner Ufer- und Randbebauung ist bestens im Internet beschrieben. Viel Spaß bei eigenen Entdeckungen – sportlich lohnt sich die Strecke. Genießer leiden.
Etappe zwei
Kanalauenweg und Ufer-Rundweg Stahnsdorf
Auf dem Kanalauenweg bis zur Autobahnbrücke: rechts der Teltowkanal, links die versumpfte Aue.
Obwohl die Wasserqualität des Teltowkanals keinen guten Ruf hat – wie selten sonst ist zu sehen: der Schwanenhals dreht und windet sich schlangenartig nach Futter.
Auch “mein” Graureiher von voriger Woche fischt jetzt zwischen den Steinpackungen, weiter oben ein zweiter.
Die Wildschweine sind überall zu ahnen und der Biber hat sich ausprobiert.
Ich kann sagen: ziemlich viel los auf der kurzen Strecke!
Der Abzweig Uferrundweg Stahnsdorf ist kaum zu erkennen, selten begangen. Nahe der Autobahn illegale Abfallentsorgung.
Die Managementplanung → Teltowkanal-Aue ist gescheitert, das Gebiet ist kein Regionalpark geworden und ohne bedeutet eben auch ohne Achtsamkeit = bezahltes Engagement. Trotzdem: ein Schwarzspecht hämmert und fliegt auf.
Letzter Blick zurück zum Teltowkanal
Stiller Friedhof der unbehauenen Steine
Noch ein Stück die Alte Potsdamer Landstraße entlang, dann biege ich in den Wilmersdorfer Waldfriedhof ein, angelegt von dem Gartenarchitekten → Erwin Barth. Wenn ich auch für mich eine passende Altersresidenz weder erhoffen noch planen kann, wenigstens dieser stille Friedhof der unbehauenen und wild überwachsenen Steine – würde er mich aufnehmen?
Jetzt, nach Totensonntag, ein einziges Grab in all dem wundervollen Grün mit einem teuren, trotzdem stinkehäßlichen Grabstrauß für Hans Baluschek. Wahrscheinlich sind Grabsträuße immer stinkehäßlich. Wäre der Maler Hans Baluschek mit seinem Werk wirklich bei den Menschen im Gedächtnis geblieben, für die er gemalt hat, wäre ein anderes Gebinde entstanden.
Aber, es wird niemand glauben dieses Märchen der Seelenwanderung: direkt aus dem dichten Gebüsch hinter dem pflichtgemäß bieder gepflegten Berliner Ehrengrab springt der Hase der Prinzessin Huschewind – ich habe für sein klopfendes Hasenherz wohl einen Moment zu lange verweilt. Er wird zu → Hans Baluschek wiederkommen, ich weiß es.
Wenn nicht nur der Tod quält
Besuchermagnet → Stahnsdorfer Südwestfriedhof, trotz des regnerischen Adventssonntags: die anonymen Urnengräber geschmückt mit Liebe wie sie die Schlager vorsingen, wie sie der Blumenladen in Schleifen knüpft und wie sie als rotes Herz ewig zu glitzern versucht.
Es fällt mir schwer, alternativ am fremden, verlassenen Grab diese bunte Billig-Norm zu vergessen, mich nicht zu quälen mit dem Gedanken, anderes niemals bezahlen zu können. Doch, eine Grabstätte darf und sollte immer → individuell sein – jeder darf alles.
Aber diese Urnengräber-Art einverleibt zu werden, spricht dem Begriff der Sepulkralkultur und dem Totengedenken Hohn. Übrigens: deren gärtnerische Gesamtgestaltung quält gleichermaßen. Der Friedhof als historischer aber wird verglichen mit Venedigs Toteninsel San Michele, dem Wiener Zentralfriedhof und Père Lachaise in Paris.
16.11.2018 ca. 20 km von Jacobsdorf nach Sieversdorf und Klostermühle gepilgert, nach Briesen am nicht mehr begehbaren östlichen Ufer des Petersdorfer Sees gestolpert und geklettert
Im Odervorland: Jacobsdorf und die WKA
Nach drei oder vier Jahren (wie die Zeit vergeht…) möchte ich am Petersdorfer See nach den Baumfällungen der Biber gucken. Warum nicht auch im großen Bogen über Sieversdorf pilgern… Der Unterschied zu meiner Art des Wanderns dürfte gering sein.
An der Kirche Jacobsdorf eine herzliche Einladung zur Besichtigung. Aha: der Herr Pfarrer. Ist ziemlich neu hier in seiner schlichten Kirche. Ziemlich jung und irgendwie verschmitzt sympathisch ebenfalls. Ich frage mich wie sich seine Predigten in diesem 21. Jahrtausend anhören – vielleicht sogar mit lutherischem Humor, sicher etwas weniger deftig und heftig.
Leuchtend schön die farbige Verglasung der drei wehrhaft schmalen Fenster in der Ostwand.
Die karge Innenausstattung nach der Kriegszerstörung und dem Wiederaufbau ganz im Stil der Kirchenkunst um 1960, anknüpfend an expressionistisch bis kubistische, figürliche Vereinfachung. Doch der betsaalähnlichen Einfachheit ist anzumerken: sie ist ein Fremdkörper in dem ganz dörflichen, sorgfältig gefugten Feldsteinquaderbau des frühen 13. Jahrhunderts. Ich sehe den Raum geschmückt mit einem Altarbild wie in Gelliehausen* vor mir. Aber das ist eben viel Phantasie. Und wie entsteht innere Stille?
Am Ortsausgang beginnt der Windpark Odervorland. Angepriesen als sauberste Energiequelle des Landes Brandenburg. Mit „Repowering“ im Frühjahr 2017. Weitere 7 WKA sind geplant. Das gleichmäßige Sausen der Rotorblätter erinnert an Autobahn. Noch schlimmer: für das Recycling von zerstörten Turmrohren – eine gesetzliche Pflichtaufgabe für die Eigentümer – fühlt sich wohl niemand in der Lage.
Vor Eiswurf wird gewarnt: im Schatten von Türmen und Wald liegt bereits Raureif. Das Mikroklima wird deutlich beeinflusst. Nichts ist so eindeutig umweltverträglich, dass es unseren alltäglichen Ressourcenverbrauch entschuldigen könnte.
Pilgern nach Sieversdorf
Das Betreten der Windparkflächen: verboten. Ich biege aus Vorsicht und simpel denkend falsch ab an Wegweisern, die nach rechts ausgerichtet sind, aber den Pfeil nach links haben. Vorbei an Hügelgräbern oder vergessenen Kriegsgräbern – wahrscheinlich beidem – führt der Weg weit in den Frankfurter Stadtwald bis ich weiß: in dieser Richtung komme ich hier niemals raus.
Nordwestlich muss ich wieder das Goldene Fließ erreichen. Streckenweise vertrocknet, kann ich an vielen Stellen überspringen. Vorher eine alte Hausstelle – romantisch verfallen. Endlich auch unbestellte Felder – allerdings ohne die mir in Erinnerung gebliebenen, bearbeiteten und unbearbeiteten Feuersteinreste. Knochen en masse. Ich stapfe in das jetzt nahe Sieversdorf durch den Duft von überall blühender Kamille.
Sieversdorf wirkt ausgestorben. Freundlich wird mir letztendlich doch die Kirche aufgeschlossen. Sieversdorf ist auf Pilger und – ich sehe und hab es gesehen auf meinem Pilgergang – auf Jäger eingestellt. Gerade wurde beim Hubertusgottesdienst der Segen dafür geholt.
Auffällig und besonders reizvoll in dem Kirchlein die Harmonie der ungewöhnlichen Farbzusammenstellung in der Apsis, dazu ein zartes Blaugrün der hölzernen Einbauten. Kurz überlege ich, die Treppe zur Orgelempore hinauf zu steigen. Im Eingangsbereich sieht es kirchenprivat aus – ich verzichte. Dumm, ich hatte doch gelesen: dort oben sind Reste mittelalterlicher Wandmalerei.
Auf dem Friedhof: die Ruhestätte der Familie von Bredow aus dem Hause → Friesack. Die hatte ich nun gar nicht erwartet, obwohl das berühmte Adelsgeschlecht höchst verbreitet in Brandenburg war.
Es ist bereits weit nach Mittag. Mit zügigem Schritt jetzt durch Felder und Wald. Nicht zu vergessen: einen Parasol, einen Tintling und drei süßsaftige Äpfel habe ich inzwischen im Rucksack. Was für rote Früchte dort am Baum hängen, weiß ich nicht, fühlen sich um diese Jahreszeit immer noch steinhart an.
Stolpern am östlichen Ufer vom Petersdorfer See
Klostergut und klappernde Klostermühle kenne ich: geeignet nur für kräftig zahlende Besucher. Ich steige gleich in den mit Radständern verbarrikadierten Weg östlich des Petersdorfer Sees ein. Erkennbar ist er noch, jetzt eher ein vom Wildschwein gespurter Pfad mit sumpfigen Löchern, Abbrüchen, vom Biber und vom angestiegenen Wasser gefällten Bäumen.
Irgendwann muss ich mich am Steilhang hochziehen, um nicht im Sumpf zu landen. Wieder ein schmaler Pfad. Die Sonne geht gleißend langsam unter. So breit habe ich den Petersdorfer See nicht in Erinnerung. Noch einmal nach unten und haarscharf am oder mit halbem Fuß im Sumpf vorbei. Zum Fotografieren im Wasser ein bizarrer Baum nach dem andern. Ich hätte längst weiter sein müssen. Am Horizont immer noch See, erst dort geht es direkt hoch zu Schule und Bahnhof.
Ich werde nervös. Noch ein sumpfiges Risiko kann ich nicht eingehen, schlage mich zur asphaltierten Straße durch – ätzend gerade. Kurz vor Vier und kurz vorm Dunkelwerden bin ich in Briesen.
Deprimierend das Kaff, sagt am Bahnhof eine Pilgerin zur anderen. Ich schließe jedenfalls aus ihren Worten, dass sie beide der heut morgen vom Pfarrer gesegneten Gruppe angehörten; eine elektrische Zahnbürste beginnt auf Rucksackdruck zu surren. Abgekürzt werden sie von Alt-Madlitz gekommen sein.
So unterschiedlich ist das Erleben und das Fazit also sogar beim Pilgern. Allerdings reichen meine Gedanken auch noch bis 2012 zurück mit aller- allerbesten Erinnerungen an viele Kinder und viele andere aus Briesen.
*→ Altarbild in der niedersächsischen Gemeinde Gelliehausen; vorstellbar ist für mich auch eine Wandmalerei. Meditieren über die “Farbe” Weiß in unserer Zeit – in Abwandlung viel zitierter Zweifel: …nach Hiroshima und Nagasaki
** dazu auch die Wanderung durch das → Booßener Gehege vom 25.10.2018
14.11.2018, Erlebnishunger treibt mich noch einmal nach Treuenbrietzen: Findlinge finden.
Muss es unbedingt der Bischofstein sein? Ja, es muss. Absolutes Ziel der Wanderung in Begleitung mit gleichem Interesse.
Funde und Fundstellen
Der Weg von Treuenbrietzen nach Rietz oberhalb des Mühlbaches an einem sonnigen Novembertag durch Felder, Wiesen und Wald.
Zunächst finden wir anderes als Steine: Achtlosigkeit, Ignoranz, Unverantwortlichkeit – ursächlich menschengemacht.
Ansonsten präsentiert sich Rietz pikobello und gepflegt mit viel Kulturangebot, wahrscheinlich gibt es aktuell grad keines und wir werden ungewollt und unerwünschte Zeugen vom Alltag jenseits des eigenen Vorgartens.
Später im Wald ein Feuerlöschteich mit offenem, nachlässig nicht wieder eingehängtem Tor. Der blaue Himmel im Wasser verlockt – und ein Stein… Genauer sollte man nicht hinsehen. Das Tor einzuhängen schaffen wir nicht, wenigstens lehnen wir es schräg an.
Findlinge
Eine saaleeiszeitlich geformte Landschaft, der Wald mit hauptsächlich Kiefernmonokultur selten naturnah, einzelne Flecken oder Waldränder erinnern mit alten Eichen an die ursprüngliche Waldgesellschaft. Überdauert haben die riesigen → Findlinge. Ein geologischer Lehrpfad müsste uns sicher führen: die Steintour 2 (Nr. 1 ist im westlichen Teil des Hohen Flämings zu finden) – vorbei an etwa 8 in den Landkarten* eingetragenen Findlingen.
Uns führt der Weg vor allem “vorbei”: etliche Male verlieren wir ihn, einige Male finden wir ihn wieder, lustlos, nun wieder nach rückwärts zu gehen. Namenlose Findlinge geraten in unser Blickfeld. Nur nicht der Bischofstein. Aber: wir wollen, wollen, wollen ihn finden.
Überrascht stehen wir am Heerweg (aha!) an den Schwedensteinen, die nach anderen Quellen angeblich auch (mit der Elle gespaltener) Schneiderstein heißen und daher von uns mehrfach gesucht werden, aber eben nur so gefunden.
Ein Wegweiser zum Bischofstein führt zunächst zum Oken – was immer das sein könnte. Vom Stein ist dort nicht mehr die Rede. Hinter Neu-Rietz im Wald drehen wir einige Kreise. Endlich der inneren Stimme folgend, haben wir ihn – also wohl doch ein Stein mit geheimen Kräften…
Grau verschmutzt sieht er aus, vom Granit ist unter der Kruste nicht viel zu sehen. Mehrere christliche → Zeichen, sogar noch ein heidnisches und die Jahreszahl 1590 sollen zu erkennen sein. Die Kreuze wirken nachgekratzt, die beiden Näpfchen auf der oberen Kante – nun ja, Kerzenhalter?
Vor lauter Begeisterung – mehr über unser Finden als über den Stein – vergessen wir den Quittenlikör “frutta de la jutta” zu opfern.**
…nichts mehr zu suchen, das war unser Sinn
An einem der nächsten Wegweiser sollen es noch 22 km auf der Steintour bis Treuenbrietzen sein. Wir sind umsonst tapfer mit insgesamt drei Taschenlampen im Gepäck. Schlussendlich landen wir an der Gasleitung – irgendso einem Verdichterhäuschen, was mich auf der vorherigen Wandergruppentour (ohne Bericht) die Bohne interessiert hatte, jetzt aber meine Warnlampen aktiviert: keinesfalls nach rechts! Denn in schlechtester Erinnerung: rücksichtslos zerfahrene Waldwege parallel zu Rietz, Rietz-Bucht und Rietz-Ausbau – absolut unmöglich zu gehen.
Also schrammen wir wieder einmal 500 m am Luisenstein vorbei mit Blick auf die vermaledeite Landwirtschaft von Rietz, erreichen querfeldein den romantischen Mühlenweg und landen verführt von der verschmusesten Katze, die ich in meinem ziemlich langen Katzenverehrungsleben kennen gelernt habe…
…auf dem riesigen Gutsgelände der alten Buschmühle: Teiche und Gräben noch von einer früheren Forellenzucht, zwei alte Mühlsteine.
Eine herzliche Bekanntschaft mit nicht nur 9 Katzen endet mit einem Erntegeschenk. Etwas querfeldein geht es weiter bald auf bekanntem Weg. Einen struppigen Rassehund mit seinem Frauchen begrüßen wir auch zum zweiten Mal. Und der Zug kommt wie gerufen: adios Treuenbrietzen.
*In Rietz gibt es eine von Wein überwucherte Lageskizze als Wandmalerei. Wir sind unterwegs mit 2 unterschiedlichen Wanderkarten, einer dem Internet entlockten Beschreibung, einem Kompass. Es wird trotzdem eine Menge Schlauberger geben, die uns als wandernde Greenhornes belächeln. Bittschön, → hier ist noch eines.
**Ich würze mit dem Teufelszeug jetzt das Schreiben dieses Berichtes – höchst animierend zu später Stunde…
8. November 2018, knappe 15 km durch das Bruch zwischen Brandenburg, Göttin und Schmerzke, entlang am Bruchwald Rosdunk und durch die Zingelheide zurück
Siedlungsgebiet Stadt Brandenburg
Richtung Schmerzker Busch (Zingelheide) führt erst einmal nur Autostraße. Entgegengesetzt Richtung Göttin bin ich vor ewig langer Zeit einmal gegangen. “Ewig” bezieht sich in der Erinnerung auch auf den Weg entlang der zersiedelnden Kleingartenhäuslebauten. Mal sehn.
Auf der vergessenen, südlichen Bahnhofsseite gehen alt und neu, klein und groß, arm und reich, einheimisch und zugezogen durcheinander. Aber es wird. Vielleicht bald mehr als gewünscht in der ländlichen Idylle, vielleicht auch nicht, denn hier beginnt das Landschaftsschutzgebiet Mittlere Havel.
Das Breite Bruch lässt keine Wahl, obwohl manchmal die Traktorspuren durch die Wiesen locken. Entlang Pumpergraben auf Beton quer durch, etwas an der Bahnlinie entlang, dann unterhalb der alten Strecke Richtung Reckahn.
Da die Natur im Bruch sowieso keine ursprüngliche Natur ist, kann ich mich auch am ruinösen Beton erfreuen: unser Zeitalter geht mit seinen Errungenschaften schneller zu Ende als irgendein mittelalterliches Objekt zerfällt.
Weit entfernt steht ein Reiher, fast bewegungslos im kurzen Riedgras. Das dichte Schilf könnte sein Domizil sein. Aber die stehen gelassene Schilfinsel ist bereits einen Meter breit ringsum dezimiert und neu eingegrenzt durch Mähen. Methode Störfall Baum? Entasten bis ein Telegrafenmast steht und das Gesetz nicht mehr greift?
Mehrfach ziehen Gänse am Himmel, ein einziges Mal noch Kraniche. Der Zaunkönig fliegt so oft wie man ihn während der dicht belaubten Zeit nie sieht. Meist flattern aber nur Krähen auf und erinnern trotz der milden Temperatur an den November.
An den Wegrändern Plastik-Tüten und -Behältnisse. Drei Farbeimer nicht viel mehr als 500 Meter vom frisch gestrichenen Haus. Hätte ich solche Unverfrorenheit geahnt, hätt ich wohl alles bis dorthin zur Tür getragen. Alle Gassigeher aus Richtung Göttin sind sicher schon einige Male bis zu diesem letzten Gebüsch gekommen bevor die Wiesen sich bis zum Horizont erstrecken. Ich belasse es bei einem anderen Bild, farblich und mit wahrscheinlich kräftigem Wurf fotogen arrangiert.
Google maps, das nie so will wie ich laufe, zeigt etwas über 5 km. Jetzt aber möchte ich den Bruchwald Roskund sehen. Wegweiser übrigens Fehlanzeige. Nach Südost überquere ich zweimal den Bruchgraben mit nirgends verzeichneten Möglichkeiten.
In der Ferne sind die beiden Naturschutzgebiete Bruchwald Rosdunk und Zingelheide als bewaldete Hügel zu sehen. Die Landwirtschaft ist an diesem Wochentag mit viel Maschinen zu Gange. Flächendeckend die Gräben mit frischem Aushub. Muscheln müssen nicht abgesammelt werden: der Schlamm rabenschwarz, alles Pflanzliche abgestorben. Die keinesfalls schonende Entwässerungsmaßnahme entzieht den Wiesen völlig das Wasser. In den Trockenzeiten unseres Klimawandels wird das kein Futter geben. Was für Tatsachen sollen hier schnell noch geschaffen werden? Wie umdenken? 2017 lag das Gewässerentwicklungskonzept „Mittlere Havel“*** noch nicht vor. 2018?
NSG Bruchwald Rosdunk und Zingelheide
Der Bruchwald Rosdunk ist von einem einzigen Weg durchzogen, von außen nicht begehbar. Ringsum ein Graben, das Überqueren wäre nordwestlich möglich: die Grundwasserabsenkung ist extrem durch das trockene Jahr und die nun neu, tief und breit ausgehobenen Gräben. Der Schilfgürtel gestört, in den Erlenbestand wuchert eine Krautschicht. Die Auseinandersetzungen zwischen Naturschutzbehörden und tradierter Landwirtschaft kann man sich unschwer vorstellen…
Ab und zu werfe ich auch hier einen Blick in den Schlammaushub der umlaufenden, geräumten Gräben. Zwischen 2010 und 2012 wurden am Rand der Schmerzker Heide (Zingelheide) Rastplätze der Havelländischen Kultur erforscht. Nicht seit jeher war nämlich die Talsandebene von gestautem Grundwasser vermoort. Aber in dem schwarzen Flüssigbrei ist mit den Augen niemals etwas zu entdecken.
Die Bauern und das liebe Vieh
Nein, ich gebe keine Daten zum Standort dieser handzahmen Tiere, die allesamt zutraulich mich Menschen beehren. Die Schafe und Ziegen werden von den Gänsen bewacht, das Truthahnpaar ist auch nicht von schlechten Eltern. Autos und Fahrräder, offene Türen mit zumindest schwerhörigen Bewohnern – wenn überhaupt. Ich fühle mich aus der Zeit gefallen – hinter dem Bruch also ist noch manches möglich.
Über den Neujahrsgraben hinweg liegt geradeaus der Bahnhof Brandenburg, die Straße Richtung Schmerzke und eine weitere Rinderherde. Geradeaus wäre die optimale Möglichkeit, die ich auf dem Hinweg nicht gefunden habe.
Es geht optimal, allerdings durch Elektrozäune und den Privatbauernhof mit Rinderstall. Ein Boxer – Bulldogge? – springt mir entgegen, um mich Wild(erin) zu packen. Wahrscheinlich ist der Hund artgerecht fürs Treiben des Viehs abgerichtet. Ich werde zum Herrchen geleitet: eine alteingesessene Bauernfamilie, wenngleich ein sonnengegerbt über Achtzigjähriger gerade als einziger mit einem Gleichgesinnten ackert. Ja – alles um die Wirtschaft drum herum nur noch im Bereich des eigenen Zaunes denkend…
Ich kann das nur bestätigen, hab es während meiner Wanderung gesehen. Was ich von Beruf gewesen bin – ach so… aber ab und zu pflanze ich Bäume – wenigstens…
Jetzt darf ich mich neben dem sich flussbreit schlängelnden Jakobsgraben ebenfalls in die Siedlung schlängeln. Noch vor dem Bau der Eisenbahn dürfte das ein Nebenarm der Havel gewesen sein. Ich denke die historische Zeit in dieser Osthavelniederung: eine sich ständig verändernde, märkische Heimat.
***demnächst vielleicht ein Link: die Dokumente sind informativ – geradezu spannend, aber im Bereich mittlere Havelniederung finde ich nicht diese zu Potsdam-Mittelmark gehörenden Flächen. Für geschickter gegoogelte oder spezifische Hinweise bin ich dankbar.
10.11.2018, meinerseits kein Bedarf mehr nach Information, ich hab’s:
Ausbau der B102 zwischen Schmerzke und der Autobahn 2
zitiert nach MOZ.de, 26.01.2017“Die gute Nachricht zuerst! Die Ortsumfahrung des Brandenburger Ortsteils Schmerzke wird gebaut… Verkehrsaufkommen von 23600 Fahrzeugen am Tag, darunter 2600 LKW… Das Vorhaben verursacht anlagebedingt Waldrodungen auf einer Fläche von 16.540 m² mit einem Anteil von 3.900 m² Wald mit Schutzfunktion. Die Fällung von 132 Bäumen soll durch 346 Neupflanzungen kompensiert werden. Weiterhin werden hochwertige und sehr hochwertige Grünlandbiotope beansprucht. Etwa 4.455 m² artenreiche Frischwiesen und 2.080 m² Seggenrieder fallen den Baumaßnahmen zum Opfer. Insgesamt werden durch das Vorhaben 53.400 m² von Böden allgemeiner Bedeutung neu versiegelt. Die Vorbereitungen und umfangreichen Rodungen haben schon begonnen.”
Baubeginn 2020. Die Reaktion Schmerzker Bürger: “Na, dann haben wenigstens unsere Kinder was davon.”
Fragt sich nur was. Vom Sessel ins Auto. Lärmschutzwände am Haus – an die Landschaft angepasst. Lärm. Ich kenne den vom Wandern zwischen Bad Saarow und Rauen. Und nicht nur das.
Wollten wir nicht notwendig anders leben?
3.11.2018, durch das Vogelschutzgebiet Rhin-Havelluch 4 Stunden auf der ehemaligen Eisenbahnstrecke von Paulinenaue bis Neuruppin gerollert und 1/2 Stunde zum Bahnhof Rheinsberger Tor gelaufen.
Der Zug 6:30 ab Berlin nach Wittenberge hält 7:08 in Paulinenaue – so gut wie mittendrin in den Feldern. Kranichzeit: Sonnenaufgang. Davon ist nichts zu bemerken. Es gibt keinen Himmel. Von Sonne nichts zu sehen, von Kranichen nichts zu hören. Bei so dichtem Nebel erwachen die Vögel sicher nicht pünktlich.
Falsch gedacht: ein einziger Kranichzug fliegt noch über meinen Kopf hinweg. Die ersten acht Kraniche perfekt, der übrige Schwanz muss wohl lernen… Sehr viel später höre ich die Massen schreien. Sie stehen längst auf den Feldern. Wie weit weg das sein könnte, kann ich nicht schätzen.
Es ist einsam. Ein Auto vom Leibniz-Institut kurvt zwischen Versuchsflächen – wozu? Sonderfutter für Kraniche? Die haben offensichtlich auf anderes Appetit. Erst vor Lobeofsund stehen sie beidseitig. Aber diese scheuen Vögel fliegen beim geringsten, fremden Geräusch auf. Tief vor den Bäumen sind sie einfach nicht auf’s Foto zu bannen. Lauern und neu beunruhigen möchte ich nicht. Dabei dauert es nicht lange, da kommen aus östlicher Richtung ungeordnete, wahrscheinlich auch aufgescheuchte Schwärme. Sie scheinen alle jedes lohnende Feld zu kennen.
Dumpfe Schüsse*** sind ständig und überall zu hören. Es nervt, auch wenn ich mich halbwegs sicher fühle direkt auf dem Damm. Wahrscheinlich gelten die Schüsse dem Rehwild, das mich wie angewurzelt beobachtet. Ein-, zweimal fliegen Gänse über mich hinweg.
Kraniche also noch und nöcher gesehen und gehört. Nun muss ich eine Rückfahrgelegenheit finden. Richtung Nauen oder Friesack gibt es nur Straße oder Panzerplattenbeton und in Fehrbellin zum Wochenende keine Aussicht auf einen Bus. Zum Glück ahnungslos, was für eine öde Strecke mich erwartet, rollere ich durch bis Neuruppin. Der Belag ist besser als bisher. Zu sehen ist außer Autos so gut wie nichts. Schöner wäre ein Radweg Richtung Wustrau gewesen, den gibt es nicht. Die sogenannte “Stille Pauline” ist wohl den Eisenbahnfans gewidmet, diesbezüglich 2011 in umgekehrter Richtung → mit Bildern beschrieben. Bis auf die jetzt durchgehenden Ergänzungsstücke sieht es überall noch genau so aus.
***Am 3. November gedenken die Jäger ihres Schutzheiligen Sankt Hubertus. Der Überlieferung nach war Hubertus, Pfalzgraf von Burgund (655 – 727 n. Christus), ein zügelloser Jäger. Die Begegnung mit einem Hirsch, der ein leuchtendes Kreuz zwischen seinen Geweihstangen trug, bekehrte ihn zur Jagd als Dienst an der Natur. Diese „Achtung vor dem Geschöpf“ ging als Waidgerechtigkeit in die Verhaltensgrundsätze der Jägerschaft ein. Waidmanns Heil zum heutigen Tag!
30. September 2018: ca. 12 km Solo geschlendert von Fangschleuse durchs Löcknitztal nach Klein-Wall und Mönchwinkel, von dort zwischen Straße und Spree ein Wildwegversuch nach Hangelsberg
Durch das Naturschutzgebiet Löcknitztal führt einer der schönsten Wanderwege in Berlin-Nähe. An Wochenenden keinesfalls einsam, geht es Richtung Anglerparadies Klein-Wall – eine Forellenanlage mit Fischrestaurant. Die Masse der sich dort tummelnden Fischliebhaber reist aber doch lieber per Auto oder Fahrrad an.
Pilzsuche in diesem Jahr ist keine Option. Aber siehe da: nach einem jungen Rotfussröhrling lässt sich ein echtes Rotkäppchen finden.
Später als Augenschmaus eine mir unbekannte Spezies, dem ungenießbaren, sparrigen Schüppling ähnlich. Nicht gesammelt, aber gegoogelt hab ich nun diese: Goldfell-Schüpplinge (Pholiota aurivella, syn. Ph. cerifera). Parasiten oder Saprobionten (von totem Material lebend) an lebenden und frisch gefällten Stämmen. Nicht sehr schmackhaft, aber als Mischpilze zu verwenden – das wär was gewesen…
Zwei echt große, sandbraune Röhrenpilze sind aber hinzu gekommen, für mich nicht genau bestimmbar. Leider nicht fotografiert, dafür sahen sie zu gewöhnlich aus. Google weiß es: der Parasitische Röhrling, eine seltene Pilzart, die ausschließlich an Kartoffelbovisten wächst und in manchen Gebieten in den Roten Listen gefährdeter Großpilze geführt wird. Genau! Den schon dunkel vergammelten, auch riesigen Kartoffelbovist hatte ich zuerst entdeckt.
Insgesamt: kein Wunder, wenn mein Abendessen nicht nach Pilz geschmeckt hat. Aber hinterher gab’s drei Tassen leckerste Birkenporling-“Fleischbrühe”!
Ab Klein-Wall Richtung Mönchwinkel und Hangelsberg wird es für mich eine Entdeckungstour. Zur Sprunggelenkschonung verdammt, verzichte ich sehr schnell auf die Gestrüppmöglichkeiten in Nähe der Löcknitz. Nun gibt es allerdings nichts anderes als den mit rotem Strich markierten Forstweg, zum Wandern eine Zumutung. Erst nach Überqueren der Bahnlinie und Straße wird es landschaftlich reizvoll mit Blick in eine längst trocken gelegte Schleife der Spree. Wegelose Möglichkeiten, das Tal jenseits der einzigen Straße und durch den Wald bis Hangelsberg zu durchqueren, gibt es. Ich ziehe zur Orientierung dies Mal nur kleine, straßennahe Bögen. In jedem Fall ist es gesünder, sich streckenweise durchzuschlagen als den Straßenrand dieser Landautobahn zu nutzen.
Vor Hangelsberg wechsle ich zur Spreeseite. Suchet, so werdet ihr finden. Die Wandersleut können sich anstelle auf einem Radweg wahrhaftig auf dem Berg entlang hangeln. Steil (für den echten Märker) fällt es hier zur Spree hin ab und zur Straße hin ebenfalls.
Auf diese Art und Wanderweise ist freilich kein im Voraus berechneter Zug zu erwischen. Mich entschädigt das Gefühl des Abenteuers. Ungesehen von der Straße aus geht es zum Schluss auf einer Art Trampelpfad sogar noch vom ersten Haus am Berg bis ans Ufer der Spree. → Unvollendete Privatisierung.
Das Enteignete, das Verlassene, das Verfallene, das Gekaufte, das Gerettete, das Versperrte. Das Verfeinerte und das Gewöhnliche. Die Gleichgültiglkeit und die Achtsamkeit. Das Volkseigentum, das Privateigentum. Das Eigene und das Fremde. Die Gerechten und die Ungerechten oder umgekehrt. Die Nostalgie hat viele Facetten in sehr weitreichenden Dimensionen.
7. September 2018, zwei Ziele, aber nur eins als Wanderung: die Krähenrummel mit oder ohne Wolf und weiter zur Lesung von Ingo Schulze in die Bibliothek vom Gasthof Moritz in Rädigke
Mit dem Bus von Bad Belzig bis Niemegk. Es unterhält sich nett mit dem Busfahrer, vor allem über Wölfe*. Pfefferspray soll schon vom Geruch her wirken, sogar wenn ich im ersten Schreck gegen mich selbst ziele.
Das Adda-Tal bei Niemegk liegt noch im Nebeldunst vom nächtlichen Regen. Zwischen den letzten Kleingärten springt wenige Meter neben mir ein wohlgenährtes Wild hoch, vielleicht sogar eine Hirschkuh – riesig und graufellig. Schlussfolgerung: nirgends Wölfe.
Ich trau mich ins dichte Erlengebüsch vom Springebusch – Spring, der Name für Quelle. Aber der kurze, renaturierte Adda-Bach verbreitert sich noch vor der Waldgrenze zum sumpfigen Quellgebiet.
Meine Wanderung geht Richtung der relativ unbekannten Krähenrummel und Krähenborn (richtiger wahrscheinlich nur Kräh…), beide kenne ich noch nicht. Stopp. Meinen Abzweig ziert kein grüner Wegweiser, sondern ein gelbes, unmissverständliches Schild. Die Zeitungsmeldungen der letzten Tage tickern durch mein Gedächtnis: Lokales Potsdam-Mittelmark, 17.08.2018, Treuenbrietzen, 21 tote Rinder.
Auf der Suche nach einem spießspitzen, stabilen Knüppel: eine Hundespur, eine Dachs-, eine Iltisspur? Haha, ihr Daheimgebliebenen. Nein, diese Spur geht quer und gerade und nirgends sonst noch wie ein netter Haushund. Abstandshalter her. Ich rekapituliere meine wenigen, nicht ernsthaft betriebenen Tai Chi Unterrichtsstunden mit kurzer Stockwaffe. Langstock wäre wohl die bessere Option gewesen. Eventuell kann ich mit dem Rucksack auf der Stockspitze wedeln und mit Größe erschrecken. Weit weg werden die angeblich menschenscheuen Karnivoren nicht stecken nach diesen Waldbränden. Treuenbrietzen liegt nicht viel mehr als 10 km entfernt.
Keinesfalls jetzt direkt zur Krähenrummel. Woher und wohin die Markierung Flämingwanderweg Nr.43 führt, ist nicht gesagt, aber ich weiß, lt. Karte haben Richtung Hohenwerbig wenigstens Wolf und ich viel freie Sicht.
Beruhigend schleicht hinter mir ein Auto des Forstes. Komm schon – warum hält der so lange mit eingestellten Scheinwerfern? Ah! Auch mir geht das Licht auf. Ich präsentiere mich beruhigend frontal, bekomme zwei Doku-Fotos auf mein Handy – das hier veröffentlichte der Situation angemessen. Der nette Forstmensch hat zusätzlich ein harmloses Lächeln eingespeist – mit Sicherheit gehört er nicht zu den Befürwortern „wolfsfreie Zone“.
Ich werde mit Hinweis auf die alte Poststraße und „die tun ihnen nichts zum Freitag“ verlassen. Sieben Wölfe sollen es sein in dieser Gegend, nach anderen Berichten fünf oder vier. Egal, über den Wochentags-Satz denke ich noch heute nach. Abend sollte es jedenfalls nicht werden.
Erst in Pflügkuff gibt es den eindeutigen Wegweiser: Krährummel mit Brunnen (Krähborn) 1,0 km, Treuenbrietzen Rathaus 12,4 km. Weit über die Grenze “Treuenbrietzen Rathaus 11 km” hinaus suche ich noch einmal um jede mit Laubbäumen bestandene Stelle in jede Richtung.
Es rummelt heute nach dem Regen mit langsam versickernden Bächlein in krähtiefen Rinnen von allen Seiten. Nur vom Brunnen keine Spur. Nein danke, jetzt nicht zurück und quer durch die einzig noch verbliebene, total verbuschte Tiefe. In ein Gehölz mit einem vielleicht sogar von Feuer oder “Feuern” halb versengten, verendenden Wolf möchte ich – schon überall sonst zittrig durchgestiefelt – nicht geraten.
Ohne Krähenborn schlunze ich nach Hohenwerbig – hallo, da fährt der Forstmann gerade wieder von seinem Hof.
Vor Neuendorf nicht nur rassige Pferde, sondern auch eine ganze Bagage gezähmter Zuchtwölfe – Abkömmlinge von unserer ersten menschlichen Großtat.
Schon in frühgeschichtlichen Zeiten scheint der Wolf also sehr schnell nicht mehr soo menschenscheu gewesen zu sein wie behauptet. Freilich erinnern die in C-Dur kläffenden Tierchen außer mit ihrer instinktiven Bissigkeit in nichts an das Raubtier. Uns zum Trost wird die Bissigkeit als pur hündisches Verhalten beschrieben. „Haben Sie Angst vor Hunden?“ werde ich beim Ausweichen vor einem ähnlich aussehenden Nachfahren gefragt. Nicht direkt. Dass ich mit jedem Wolf mitfühle, der durch den Zaun hindurch so Abartiges verbeißen möchte, verschweige ich.
Zwar frage ich auch nach einem Fußweg über die Autobahn, aber die nördlich gelegene Wildbrücke wird mir erst im Gasthof Moritz genannt. Das wäre ideal gewesen.
Jetzt nur einige Umwege hinter der Autobahn und neben der pikobello geradlinigen Straße (deren Sanierung machte den Zeltplatz Rädigke eine Zeit lang unerträglich). Der Verlauf von Waldrändern ist immer ein spannendes Rätsel. Auch vor Rädigke lockt ein inselartiger, alter Baumbestand in der Feldflur: einstiges Wasserloch als wilde Müllkippe verfüllt und/oder – wahrscheinlich alles zusammen – vor- und frühgeschichtlicher Ort. Ich scheuche eine kleine Herde Damwild auf, fast weiß. Immerhin. Ansonsten heißt die fachmännische Auskunft zur diesjährigen Brunftzeit zumindest des Rotwildes: “Es hat sowieso sehr nachgelassen, warum auch immer.” Ich ahne: die Wölfe sind satt – von was auch immer. Und dort, wo die Bestände noch dicht sind, wolln die Jäger keine Fremden zur besten Jagdzeit.
Mein Wanderbedarf ist gedeckt. Im Gasthof Moritz bringt mich ein Kaffee zu neuem Leben, die Lesung von Ingo Schulze “Peter Holtz” zu neuen Lesersichten und: eigentlich wollt ich kein Fleisch, schon gar nicht von den göttinnengleich großäugigen und zutraulichen Rindern (mit Grimm vom Fuchs, nicht den Wölfen lernen: die Menschen sind falsch!). Dann greif ich nämlich doch – eingeladen vom Schriftsteller – nach einer Roulade made in Gasthof Moritz: zart, wie wolfsfrisch gerissen…
* Natürlich gibt es viele nette Wolfsberichte. Ob es Jägerlatein ist, dass die Wölfe nach dem Schuß blitzschnell die schweißende Beute klauen? Meine eigenen Gedanken sind zwiespältig mit nicht zum Wolf passenden Wünschen, zumindest was die Anzahl der Rudel betrifft.
** Es gibt keine sichere Interpretation von Schalen- oder Näpfchensteinen. Die lineare Regelmäßigkeit der Löcher mit den linearen Kanten kann ich mir nur als Bearbeitung vorstellen: mühseliges Abspalten für eine gerade Oberfläche des Steines wie er für Megalithgräber verwendet wurde.
27. August 2018 von Angermünde über Augustenfelde, Herzsprung, Bölkendorf, Parstein, Pehlitz, Rundblick vom Drumlin Kleiner Rummelsberg, nach Brodowin und Chorin.
Ohne Abwege 8 Stunden unterwegs abzüglich kurzes Schwimmen im Parsteiner See, Falläpfel sammeln und eine ¾ Stunde am Bahnhof Chorin auf den Zug warten. Bin zu langsam mit einem seit Tagen schmerzenden Knöchel jetzt trotz oder wegen vorwiegend Asphalt, von der Belastung Mönchspflaster zwischen Brodowin und Chorin ganz zu schweigen.
Von Angermünde nach Herzsprung
Nee, nicht erst Futter kaufen, es wird Äpfel und Pflaumen geben. In Angermünde knurrt doch der Magen. Also ein Stadtgang mit Bockwurst. Ich flaniere richtungsfühlend am Markt vorbei – Bäcker wäre die bessere Wahl gewesen. Die Richtung ist auch falsch: Stolpe. Kehrtwende bei den stelzenden Steinkunstwerken zwischen Ober- und Unterwall. Durch die Kleingärten wird es verzwickt. Zurück und mit den Autos raus. Links biegt der Bärbel-Wachholz-Weg aus dem Nichts ins Nichts. Google maps kennt den Weg nicht. Aber ich war schon einmal hier, erinnere mich neu an mein erstes „Open-Air-Konzert“ Ende der 50er Jahre. Schlager live! – in Thüringen. Ansonsten sind wir mit dem Ohr ins „Radio Luxemburg“ gekrochen.
Der Weg nach Herzsprung wird zum perfekten Flachland-Fahrradweg. Sumpfig ist das Land zwischen Bahndamm und Straße, mit nur einer Möglichkeit in westlicher Richtung zu queren. Äpfel purzeln vom Wind geschüttelt von den Bäumen – auch in meinen Rucksack. Die Schlepperei hätte ich mir sparen können, die Straßenränder geizen nirgends mit Äpfeln oder Pflaumen.
Je näher ich Herzsprung komme, desto mehr häufen sich am Straßenrand die Steine zerstörter Großsteingräber. Alles Herz hinterlässt Sprünge. Die Reste der Reste der Großsteingräber sind auf dem Anger noch einmal zwar nicht behauen, aber ameisenfleißig verarbeitet. Einen Nachfahren Ehm Welks “M. Grambauer” hat es nach Herzsprung verschlagen. Und jetzt schon sprengt und später springt die Fontäne…
Zum → FKK-Baden in Herzsprung geht es über einen Betonplattenweg made in GDR. Das Wasser des Parsteiner Sees ist eine Wohltat, bei stürmischem Wind ein Highlight meiner Wanderung.
Zeitlich wird es knapp. Die Hälfte der geplanten Zeit für 30 km insgesamt ist bereits rum. An die 20 km sind es noch.
Vom Parsteiner See geradewegs nach Bölkendorf, Parstein und Pehlitz
Ein kurzer Blick in die Senken am Paddenpfuhl – weder Padden (niederdeutsch: Kröten, Frösche) noch Wasser sind zu entdecken. Hier soll eine eisenzeitliche Siedlung gelegen haben. Jetzt gibt es eine Kleingartenanlage – nix mit Permakultur oder Unkraut.
Geradewegs bedeutet Straße nutzen. Die abgeernteten Felder sind schwierig zu betreten: die Schuhe versinken in staubigem Lehm. Es gibt immer nur ein einziges Feld in alle Richtungen bis zum Horizont, dazwischen gestreut kleine Sölle – Restlöcher der Eiszeit. Zwar begegnen mir auf der Straße kaum Autos, aber irgendein Pfad an dem freilich höchst unregelmäßig verlaufenden Ufer des Parsteiner Sees wäre spannender.
Am Krummen See vor Bölkendorf bestätigt ein Einheimischer: es gibt eine Möglichkeit jenseits der Straße. Auch ab Bölkendorf geht es mit der Radmarkierung nach Parstein durch Feld und Wald. Ich entscheide mich noch einmal für 3 km Straße.
DAS sollte niemand machen. Es würde sogar lohnen, Parstein ganz zu umgehen. Schwere Laster brettern durch den Ort Richtung Oderberg. Zwei Kinder stehen am Straßenrand vor einem halbtot zuckenden Kätzchen. Ich will nicht nachdenken: Hätte ihnen selbst oder mir passieren können.
Auch am Parsteiner See zwischen Krötenzaun und Straße gequetscht zu gehen, kann man sich sparen. Der See ist wegen des Parsteiner Campings nicht zu sehen. Umwege durch den Wald lohnen bis man auf Höhe von Pehlitz Werder auf einen perfekten Fahrradweg stößt.
Kleiner Rummelsberg rundum
Am Waldrand Höhe Pehlitz Werder sind bereits die Drumlins der Weichseleiszeit zu sehen – bei dem trüben Wetter mit grauen Schleiern. Der Weg führt ganz nahe vorbei und ich werde ab heute im Streit immer der Drumlin-Fraktion folgen: diese kleinen Moränenbuckel entsprechen äußerlich ganz der → Definition. Die Drumlins und der Rundumblick vom Kleinen Rummelsberg sind der zweite Höhepunkt meiner Wanderung.
Jetzt so schnell es mein schmerzender Knöchel erlaubt zum Bahnhof Chorin. Geradeaus, geradeaus… Amtssee rechts herum. Doch, ich hätte es geschafft, noch einmal zu schwimmen. Ich hetze umsonst. Aber dieses Minuten-Risiko gibt es immer Richtung Chorin historischer Bahnhof.
Diese Wanderung gehört als eine Art Fortsetzung zu Bericht und Wanderung → Wege in die Nacht.
18.08.2018. Solo auf der Suche nach den Quellen von Polsbach und Klein Briesener Bach: ca. 12 km in 4 Stunden im Fläming zwischen Ragösen und Klein Briesen
Zum Ausschlafen: 10h mit dem Zug nach Bad Belzig, sofortiger Anschluss mit Plus-Bus Richtung Brandenburg bis Ambulatorium Ragösen. Achtung, Ragösen ist ein Straßendorf: jetzt nur nicht die ätzende Briesener, sondern vorwärts, gleich links zum Waldrand, am Ende abbiegen auf den Burgenwanderweg zum Bullenberger Mühlenteich. Kein Mühlrad klappert, aber die Mühle selbst ist noch eine imposante, gepflegte Zäsur zwischen Wohnplatz und Natur.
Sitzt der Angler am Teich, ist Baden unerwünscht. Was für ein Glück: auf meinem Rückweg kommt die herzliche Einladung einer Radlerin – ja, es geht ohne alles! Ein wunderbarer Abschluss plus einige Falläpfel am Wege. Die taffe, coole Busfahrerin vom Morgen (wer würde das dieser blutjungen Type im „richtigen“ Leben zutrauen???) braust um die Kurve, hält für mich zwei Sec länger – rennen, springen, fahren – ein perfekter Tag, jetzt im Einzelnen:
Quellkessel Polsbach
Auf dem Hang entlang, linksseitig vom Fließ, geht es am schnellsten vorwärts. Auf den ersten Blick eintönig, aber den Waldumbau sehe ich nach meinen Bergwaldprojekten inzwischen mit Interesse.
Nach Queren des Polsbaches der Abzweig zum Biotop Quellkessel. Ein Blick über das Feld Richtung der eigentlichen, wasserreichen Quelle, dann zurück und die Jagdschneise abwärts – vorsichtig, aber laut genug, um das Wild nicht zu verschrecken. Die große Stille. Herzklopfen kostenlos. Tritt der Jäger erbost hinter einem Baum hervor oder der verzauberte Prinz? Es ist ernüchternd. Nicht einmal ein Vogel warnt. Die Hänge hinunter fließt nichts, vielleicht sickern einige Tröpfchen unsichtbar unter Wurzeln hervor in die letzten Lachen. Rückwärts blickend erschreckt die Monokultur. Mit Sicherheit saugen die Kiefern zu viel des kostbaren Wassers aus dem Berg.
Zwischen Buckau und Rottstock liegt der produktivste Quelltopf nicht nur des Flämings, sondern im ganzen Land Brandenburg. Eine Forellenfischerei lebt davon. Nein danke. Ich warte mal den Frühling ab.
Die Kursächsische Grenze
Weiter zum Quellgebiet Klein Briesener Bach. Klein Briesen wird im Jahr 1375 erstmals im Landbuch Karls IV. erwähnt. Bis 1815 gehörte es zur Mark Brandenburg, das benachbarte Groß Briesen zum Herzogtum Sachsen mit Burg und Amt Belzig. Die kursächsische Grenze ist eine der ältesten gekennzeichneten Trennlinien in Mitteleuropa, damals Heiliges Römisches Reich. Die Grenzsteine zwischen Erzbistum Magdeburg, Brandenburg und dem Herzogtum Wittenberg (Kursachsen) um den besonders umstrittenen Bereich Brück – Ragösen – Großbriesen wurden bereits 1580 gesetzt. Erst auf dem Wiener Kongress 1815 kam das Territorium zum Königreich Preußen.
Die aus sächsischem Sandstein gefertigten Blöcke sind teilweise erhalten. Sie tragen auf sächsischer Seite das Wappen der Wettiner und die Aufschrift „Sachsen“, auf ihrer anderen Seite das Brandenburger Wappen bezeichnet mit „Brandenburg“.
Direkt am Klein Briesener Bach steht neben einer Info-Tafel ein Stein, schon schwer beschädigt. Den besser erhaltenen finde ich beim Umkreisen der für mich so furchterregenden Betonruinen*.
Das Rittergut derer von Thümen
Klein Briesen besitzt in den meisten Zeiten nur wenige Hofstellen. 1582 verkauft Kurfürst August von Sachsen eine Mahlmühle zusammen mit der Schäferei „Forwergk am Bolenberg“ an das märkische Adelsgeschlecht derer von Thümen. Die damals angeblich am Zusammenfluss von Klein Briesener Bach und Polzbach gelegene Mühle ist heute ein Rastplatz mitten im Wald. 1608 entsteht ein Rittersitz derer von Thümen in Klein Briesen.
Das Geschlecht derer von Thümen erscheint erstmals 1281 urkundlich in einem Tauschbrief des Herzogs von Sachsen und Burggrafen von Magdeburg. Blankensee, Gut Caputh mit Schloss, die Güter Neu-Langerwisch und Stücken gehörten ebenfalls der Familie. Theodor Fontane erwähnt in seinen Wanderungen durch die Mark Brandenburg den bedeutenden Grabstein in Blankensee.
Bevor Klein Briesen erreicht wird, führt der Weg vorbei an einem sehr einfachen Wandgrab derer von Thümen vom Ende des 19. Jahrhunderts: ein dreiseitiges, rechteckiges Klinkermauerwerk, mittig drei Segmente. Alle Inschriftentafeln fehlen, alles am Boden unter dichtem Bewuchs, umgestürzte Bäume – ungeklärte, späte Geschichte, die in der Folge von Hauptmann und Batallionsführer Joachim Richard Franz von Thümen, gefallen im 1. Weltkrieg, als Ritter dargestellt auf dem Gedenk-Epitaph an der Gutskirche, in ihrer Zwiespältigkeit nur zu ahnen ist: Ordensritter + preußische Tradition…
Die Gutskirche im Ort ist eine der kleinsten Brandenburgs, ein Fachwerkständerbau aus Eichenholz mit backsteinernen, später verputzten Gefachen. Das Baujahr 1692 findet sich auf dem Sandsteinrelief mit dem Wappen derer von Thümen. Die Kirche kann laut Infotafel besichtigt werden – wahrscheinlich lohnend: einiges Inventar ist erhalten geblieben.
Ein artesischer Brunnen
Gelbrotes, eisenhaltiges Wasser tritt aufgrund des Eigendruckes an die Oberfläche der einstigen Viehtränke. Die hydrologische Besonderheit reicht hier allerdings nur für einen Mini-Sprudel aus dem schützenden Findlingshaufen und fließt als Bächlein ins Gebüsch. In diesem trockenen Jahr ist im Umkreis alles versickert. Überhaupt der kleine Umkreis – die Vergangenheit lässt grüßen mit Beton.
Da schweigt der Molch
Der Bach geht meinen Augen in Klein Briesen verloren. Am ehemaligen Stallgebäude des Gutshauses (luxuriös zum Wohnen umgebaut) vorbei, verzweigt der Weg hinter einer Grundstücksruine. „Da geht es nicht weiter“ erhalte ich Auskunft aus einem Auto von dort, wo es nicht weitergeht. Nach links künden auf dem breiten Forstweg vertrocknete Tannenreiser an verfallenen Holz-Unterständen von großen Jagden. Mittig geht es zum Juliushof – Waldkammergut, einstiges Vitalhotel, EU gefördert in Zusammenhang mit dem Europäischen Bildungswerk für Beruf und Gesellschaft. Das verkündet ein Billboard, verhängt von Blattwerk.
Google meldet viel „Seite nicht gefunden”. Bilder gibt es ohne copyright-Hinweise und „Star World Hotels“ / „Holidaycheck“ mit dem Text: „Die Bewertungen sind älter als 2 Jahre oder das Hotel hat sich grundlegend verändert. Waren Sie kürzlich dort Gast?“ Nee, aber gesehen habe ich diesen „Geheimtipp, das absolute Romantikhotel für Mädels-Wellnessurlaub” oder “slowakische Woche in Brandenburg” und “…verwöhnen Sie sich mit einer Kosmetikbehandlung, Ayurveda- Behandlung, Entgiftungskur, Massage, Sauna, Solarium, Whirlpool … 510 ha Waldgebiet, Wandern, Radfahren, Sonnenbaden, Picknicken… Die ehemalige Jagdhütte bietet außerdem auf dem Privatgelände Möglichkeiten zur Jagd.“
Aha.
Aktuell scheint das Gelände eingekreist von versumpftem Wald. Ich krieche durch den Naturheil-Pfad „Juliushof“, der das Naturheilverfahren nach Kneipp und chinesische Fuß-Reflexzonen-Massage einst verbunden und das Wasser des Klein Briesener Baches sicher ausgiebig abgezapft hat. War mit dem 2003 ausgewiesenen NSG Bullenberger Bach/Klein Briesener Bach das Ende des Vitalhotels beschieden? Oder war die EU einfach nur ausreichend geschröpft worden?
In den Amtsblättern Bad Belzig google ich lieber nicht mit meinen ostdeutschen Vorurteilen. Sicher war alles gut gemeint und ist nun dauerhaft ein privater Rückzugsort. Ohne Weg und Steg entdecke ich eine kleine Steinpyramide, gewidmet MCMXCIV zu einem 60. Geburtstag und 2008 ergänzt: In MEMORIAM … In Nativitate Beatae Mariae Virginis.
In das Feuchtgebiet dringe ich nicht weiter vor. Quellen in Brandenburg sind in der Regel flächenhafte Grundwasseraustritte. In diesem moorigen, eiszeitlichen Tal entspringt nicht nur der Klein Briesener, sondern auch der Briesener Bach. Der ist begradigt und entwässert in anderer Richtung!!! nach Verlorenwasser bei Wollin.
Der Weg am Klein Briesener Bach
Auf dem Rückweg folge ich brav dem Oberlauf Klein Briesener Bach auf Burgenwanderweg und E 11 durch das Fauna-Flora-Habitat-Gebiet und NSG Bullenberger Bach/Klein Briesener Bach.
Mit dem Namen des Baches ist es schwierig: erst einmal verschwindet das naturbelassene Flämingfließ dem Blick als Klein Briesener Bach in sumpfigen Wiesen. Im Frühsommer war der Wiesen-Waldpfad nicht zu erkennen unter den gestürzten Bäumen. Heute ist freigeschnitten bis auf einen Riesen, der auch gleich das Gewässersystem durcheinander gebracht hat.
Zwischen Klein Briesen und Bullenberg nimmt der Klein Briesener Bach den Polsbach auf (nach alten Karten: Polzbach). „Die stark mäandrierenden, sommerkühlen, naturnahen Bäche besitzen eine hohe Wasserqualität.” ist zu lesen. Nun, das war vor dem Klimawandel. Vier Kilometer östlich Klein Briesens erreicht der Bach (zur Zeit eigentlich nur das Wasser Polsbach) den Mühlteich am Bullenberg und wird im unteren Verlauf zum Bullenberger Bach, der begradigt in die Temnitz mündet.
6. bis 7. August 2018, ein Abend, eine Nacht und ein Morgen
Ein intensives, erlebnisreiches Solo auf der Suche nach Hünengräbern im Rückland des Endmoränenbogens Chorin, ca. 20 km. Die kleinen Bilder sind mit Klick zu vergößern
Glückliche Hügel wo der Himmel die Erde küsst*
Die alten Waldstraßen sind gleichmäßig gepflastert mit Feldsteinen. Oder doch oft keine Feldsteine und pur Findlingsstücke, sondern Ergebnis mühevoller Steinschlägerarbeit an Steinen von Gräbern, die eine jahrhundertelange, dichte Besiedlung anzeig(t)en? Eigenartig kleine, dicht von Efeu überwucherte Hügel gibt es gleich bergauf von Liepe aus. Von denen, die ich im Ort treffe, hat noch nie jemand von hiesigen Hügelgräbern gehört. Ich bin hoffnungsvoll. Und siehe da, den Pfingstberg brauche ich gar nicht.
Da liegt eine erste Steinsetzstelle erst kürzlich herausgewühlt aus der Bergkuppe für einen Miniteich, der in dieser Sommerhitze längst stinkende Pflanzen ausgebrütet hat. Die unmittelbare Grube für eine Bestattung dürfte sich immer leicht ausheben lassen – vielleicht nur nicht tief genug, um zu erschrecken, wo man in seinem Feriendomizil sonnenbadet. Unterhalb am Hang ein riesiger Wächterstein, als bloßer Findling aufgerichtet unter weißen Maulbeerbäumen. Seine Ausrichtung West – Ost dürfte noch stimmen. Auch hier restliche Steine für einen längst versickerten und überwucherten künstlichen Tümpel genutzt.
Mein Blick ist nun geschärft für die Besonderheiten dieser Landschaft und wird mehrfach traurig belohnt: ahnungslose, achtlose Zerstörungen von Steinsetzungen seit Jahrhunderten. Nur kurz vor Brodowin sieht es einmal aus wie versuchte Raubgrabung. Ich bücke mich nach winzigen grauen Scherbensplittern. Ein größerer, dickwandiger Scherben mit deutlicher Gefäßwandung und einem kleinen Buckel – Rest einer Musterung. Schwarzgraue, geglättete Oberfläche. Handgemacht, die Innenwandung ist unregelmäßig, grob, rauwandig, kalkhaltig – völlig undenkbar für einen anderen Gebrauch als eine Urne für den Leichenbrand. Direkt daneben ein Glückssteinchen. Es werden alle abwinken: kein Artefakt. Wenn keine kultische Grabbeigabe so doch ein kreiselndes Zaubersteinchen für mich von den Geistern…
Noch ist es zu früh, um hier ein Nachtlager zu wählen. In Brodowin lasse ich einen letzten Tropfen Kefir ayurwedamäßig wirkungsvoll mit Wasser auffüllen, bringe die Verdauung mit halbreifen Pflaumen auf Trab und gerate auf meiner Spurensuche auf unverhoffte Verbindungen von Vergangenheit und Gegenwart: ein Stein am Wegesrand – dem Schriftsteller Reimar Gilsenbach 1926 – 2001 von seinen Brodowiner Freunden gewidmet. Das passt – eine Erinnerung auch an Lyalya Kuznetsova und die Rom, das wandernde Volk.
Ich bin weder im Totalreservat Plagefenn noch im NSG und doch / gerade daher in einer Bilderbuchlandschaft. Ach je, Bilder- und Kinderbuch: “Wie die Vögel das Zicklein retteten” von Sergej Michalkow – sehe die Wölfe blutrünstig bereits über die Oder schwimmen… Noch stolzieren allerdings an die 20 Störche nahrungssuchend auf dem Feuchtgrünland hinter einer Mähmaschine. Etwas zu früh der Schnitt für die Futterqualität, aber der Klimawandel erfordert auch hier flexibel zu entscheiden. Woher ich das weiß? Vom Spitzen-Landwirt aus Brodowin. Wenn ich geahnt hätte, wer da auf seinem Rundgang mit einer Praktikantin nun zufällig auch mich so kenntnisreich und unterhaltsam zu informieren weiß… Aber mein Interesse an Brodowin war bisher höchst gebremst von den Preisen der biologisch-dynamisch erzeugten Ökodorfprodukte.
Jetzt erfahre ich vom überraschenden Aufblühen eines Sommer-Adonisröschens nach dem Mähen (also nicht das, zu dem im Frühjahr an die Oder gepilgert wird), einiges über die geologischen Strukturen vor meinen Augen, über die veränderte Landschaft nach der intensiven und großflächligen DDR-Landwirtschaft. Erstaunlich: der so natürlich wirkende Verbund kleiner Biotope durch Hecken und Gehölze ist nachträgliche Pflanzung. Die Kleinteiligkeit der Landschaft war längst zerstört. Vergessen zu fragen hab ich, wohin die Gülle der vielen Rinder fließt, wenn nicht auf die Felder.
Die gestörte Achse
Schon nach 20 Uhr bin ich gänzlich allein auf dieser höchsten Erhebung mit Blick Richtung Brodowinsee, weit und breit vollkommene Stille, höchstens ein Kranichruf. Schade, genau auf diese kahle (fast Berg-)Kuppe wurden 2000 und 2004 zwei Bäume gepflanzt. Freilich, es ist kein ausgewiesenes Naturschutzgebiet. Die Landschaft darf verwandelt werden im Sinn und nach dem Vorstellungsvermögen von uns Kulturmenschen. Deren Nacht ist nur noch denkbar für Disco, den abendlichen Naturfilm und den ungestörten Schlaf hinter zugezogenen Fenstern (ohne Hundegebell wie mir später am Bahnhof erzählt wird), ab und zu ein Lagerfeuer der Jugend. Mit dem kleinen Gartenblick wird also die Natur für das zivilisierte Humankapital und mit den Biedermeiervorstellungen à la Ludwig Richter domestiziert: verbaut ist genau die Lichtschneise von Sonnenaufgang nach Sonnenuntergang, die unsere längst vergessenen Vorfahren als heilig empfunden haben dürften. Und der Magerrasen beginnt zu leiden.
Bis auf die frei gelegten Kuppen der gegenüber liegenden Hügelhöcker (die Bezeichnung als Drumlins ist umstritten) bin ich nicht gekommen. Auch da bin ich sicher – sie korrespondieren ursprünglich alle nicht nur im geologischen Aufbau und mit den Besonderheiten ihres kontinentalen Trockenrasens miteinander, sondern ebenfalls mit den kosmologischen und astronomischen und von daher mit der ganz anderen sozialen Funktion, die diese Hügel einst für vor allem frühe slawische Siedler gehabt haben werden.
Die Nacht nicht nur der Sterne
Eingeschlossen bin ich auf der Hügelkuppe von einem hellen, grauen Ring über dem Horizont. Lichtverschmutzung oder an diesem Tag, zu dieser Jahreszeit, eine nicht voll dunkel werdende Nacht? Nordost begrenzt der rot blinkende Mauerzaun der Windräder die Unendlichkeit wie ein billiges Spielkasino. Das ist gleich hinter dem Parsteinersee, diesseitig schützt das Biosphärenreservat.
Stoßweise kommt der kalte Wind als bewege nicht ein Schmetterlingsflügel das Universum, sondern das jeweilige Flugzeug am Himmel über mir. Die Flugzeuge sind in der absoluten Stille der Nacht zu hören, obwohl die meisten nur Pünktchen sind wie kleinste Sterne.
Über Eberswalde quält sich ein Hubschrauber langsam vorwärts: auch nur ein kleines rotes Lichtlein, trotzdem: battabatttabata. Kürzlich gab es auf wetter.de eine Grafik von der dauernden Dichte der Flugzeuge über der Erde. Immerhin, ich sehe noch die Sterne.
Mittig über mir teilt die Milchstraße wie ein erzgebirgischer Schwibbogen den Himmel in zwei Hälften. Im Laufe der Nacht löst sie sich auf in stumpfgraue, kosmische Nebelhaufen.
Ab und zu schlummere ich ein wie eine Maus unter einer behütenden, dunklen Käseglocke. Der Meteoritenschauer der Perseiden bleibt aus: selten zwischen einer ganz seltenen Sternschnuppe ein ganz seltener, leuchtend heller Meteorit. Zum Wünschen zu wenig und zu plötzlich. Vielleicht gut so. Ich erinnere mich an den 13. August 1961 an der Ostsee: sie fielen massenhaft, schreckerfüllt: Mauerbau…
Als irgendwann nach Mitternacht tief über dem Horizont wie doppelt aufgeklappt und rotglühend eine Scheibe am Himmel erscheint, schreien die Kraniche auf. Sonnenaufgang? Nee, ein roter Mond – irgendwie gefährlich. Ich denke sofort an Klimawandel und die angekündigten 40°. Was macht die Sonne da gerade mit dem silbernen Mond?
Das Chaos am Nachthimmel kann ich nicht ordnen. Neben dem Baum rechts steht die ganze Nacht ziemlich bewegungslos der Große Wagen – klar, letztlich fehlen ihm die Räder an den Achsen. Den Arabern soll das Sternbild einen Sarg bedeutet haben, dem die Trauernden voraus gingen. Höchst einleuchtend und passend zu meinen Gedanken in dieser Landschaft der zahllosen Steinmale und Urnenfunde.
Das wilde Denken
Die Morgendämmerung färbt den Himmel wie der frühe Abend noch einmal zu einem Aquarell von unzähligen und unvergleichlich zarten Pastelltönen. Schon von weitem kündigt sich mit Geschrei ein Schwarm Graugänse an, erst nur Punkte in der Schneise des südwestlichen Waldes. Meine nicht mehr gänzlich kahle Hügelkuppel scheint auf ihrer regionalen Leitlinie zu liegen. geradewegs Richtung Sonnenaufgang. Als ich abends als Störpotential stand, drehten die scheuen Gänse sofort ab. Jetzt fliegt schon wieder ein zweiter Zug nicht viel mehr als einen Meter über mich hinweg. Das Sausen der Schwingen ist zu hören. Mythologische Wesen auf unsichtbaren Linien und auf der Reise zwischen Diesseits und Jenseits?
Logik und naturwissenschaftliches Wissen schalten sich zumindest bei mir aus – den Göttern sei Dank. Emotionen, für deren Entstehen nicht nur die Chemie noch unzureichende Erklärungen hat, sind stärker. Wo Empathie weit gefächert ist, kann es nicht schwierig sein, sich in einen Tierkörper hinein zu spüren – jenseits von esoterischen Kaspereien.
Wie oft nur unklar sind in meinem Gedächtnis aus dem Archäologischen Landesmuseum Brandenburg kleine Gänse aus Ton gespeichert, als Grabbeigaben und wohl auch als Pfeifen – mit Vorsicht interpretiert als Kinderspielzeuge. Mir fallen das Märchen von der goldenen Gans und Nils Holgersson ein: das Gefühl, das durch den ganzen Körper zieht – fort, fort von hier – mit den Wildgänsen in eine bessere Welt – kosmische Vorstellungen und irgendwann religiös-schamanistische, nichts personifiziert. Bei den Ukrainern erhielt sich die mythische Vorstellung von einem glückseligen Lande, in das die Vögel im Herbst fliegen und in dem die Toten wohnen (zitiert nach dem Ethnologen S.A. Tokarew, Die Religion in der Geschichte der Völker. Dietz Vlg. Berlin 1968, S. 260). Dem ägyptischen → Gott Amun werden zwei Tiere zugeordnet: der Widder und die Gans. Vermutlich zeigt die Gans ihn in seiner Funktion als Urgott.
Die glücksbringenden Störche – Götterboten bei den Germanen – müssen schon länger munter sein. Kräftesparend tief und unhörbar sind sie weit unter der Hügelkuppe heran geglitten und grasen bereits wieder die frisch gemähten Wiesen ab.
Rotwild am Morgen: Fehlanzeige, obwohl der Wind vom Wald her weht. Nur der Fuchs schnürt seitlich vorbei, mich witternd und ohne Beute gen Wald. Aber dort muss er ziemlich frisch eine Hohltaube (keine Berliner Flugratte) abgeschleppt haben. Oder hatte ein Raubvogel zugeschlagen? Die Federn habe ich nicht untersucht.
Zu Haus google ich nach dem Wildgansschrei, einem Gänsepfeifchen, einem archäologischen oder auch einem zur Jagd. Es wird mir ein geschmettertes Soldatenlied angeboten, enstanden 1917 an der Westfront, gesungen von einer Wehrmachtsformation 1936, eine andere Version von Heino – der schafft das allein. Kein Wunder, wenn es den Deutschen zwar nie die Sprache, aber doch seit fast 80 Jahren (also wohl auf ewig) das Singen verschlagen hat.
Nee, dazu kein Link. Aber etwas anderes gefunden, → Wer hören kann, der höre HIER!
*leicht abgewandeltes, geflügeltes Wort der Rom
Mein Rückweg verläuft ähnlich wie → HIER.
6 Stunden ca. 25 km von Vetschau zur Krabat-Schleuse bei Burg, vornehm über Kurfürstendamm! und mit einem Blick auf den Barfußpfad zur Dubkow-Mühle, dann nach Leipe, von hier aus durch mein angestammtes Paddelreich zwischen Hauptspree und Südumfluter über E-Kanal, Semisch, Bancerova und Uska Luke bis Lübbenau.
Griesegrauer Himmel schüttet Regen aus. Fenster zu, Türen zu. Verteufelt: es ist Ferienzeit! Wetter.de zeigt Richtung Cottbus “regenfrei” plus a bissel Sonne neben der Wolke. In Burg/Spreewald mal nach SUP* sehen, eine tragbare Alternative zum Boot?
Es schüttet. Der Zug schüttet in Brand Richtung Tropical Island aus. Die Übriggebliebenen kennen sich, mir wird Schokolade angeboten. Wer in diesem Regen unterwegs ist, kann nicht fremd sein. Es schüttet – auch in Wětošow/Vetschau (Raduš ist schon lange als Bahnhof gestrichen). Zu spät: kein Bus, das wusste ich. Es gibt nur die viel befahrene Straße, aber es fährt wenig. Ein Wohnauto mit Beschriftung braust durch die Pfützen: “Des Campers Fluch: Regen und Besuch”… Muss schon seit gestern schlimm sein.
Auf der Wiese zwei Rehe mit Kitz, sie gucken nur – per pedes kommt hier wohl nie jemand vorbei.
Hinter Njabožkojce/Naundorf hab ich die Allee für mich allein – denk ich so. Vielleicht doch nicht. Eine hochschwangere Katze, ein wahrscheinlich Marderhund und ein Schlegel dachten das auch. Sieht im strömenden Regen nicht animierend aus, ich überlege abzubrechen. Die Hosenbeine sind vollgesogen bis über die Knie, in den Schuhen glitscht es. Völlig unmöglich, einen Wiesenweg einzubiegen. Sowieso führen im Spreewald nur noch Sackgassen nicht über Bitumen oder Wasser.
Menschenleer ist alles. Der SUP-Unternehmer in Burg bastelt an seinem Auto; Städter und Touris haben abgesagt. Die Spreewaldkähne stehen voller Wasser. Die Fließe haben ordentlich Strömung bekommen. Ein Zeichen des Himmels auf dunklem Spiegel: unendlich. Unendlich Regen.
Die nassen Hosenbeine klatschen warm an, die Stille und das Regenrauschen machen glücklich. Vögel zwitschern im slawischen Urwaldgrün. Ab und zu Kulturlandschaft.
Warum die unromantische Schleuse am Leineweberfließ Krabatschleuse heißt, erschließt sich nicht. An den Wegen gibt es Informationstafeln – vor üppigem Blättergrün lese ich über winterliche Spinnstuben. Ich denke an → Storms Regentrude und die sorbische → Mittagsfrau. Ach, der Unglaube und das Blindsein vor dem, was unmittelbar vor Augen liegt… Wenigstens einen Fischpass gibt es. Graue Spinngewebe hängen wie Gardinen über der Kammerwand.
Erste, schwarz-reife, zuckersüße Brombeeren neben einem Staudenknöterichwald. Der aus Richtung Myšyn/Müschen unmarkierte, richtige Feldweg ist gesäumt von Brombeeren. Aber auch Staudenknöterich wurde verschleppt, noch nur junges Grün – vielleicht sollte ich mir ein Häulein kaufen… Danach wieder Bitumen und Straße. Es stört mich nicht, ich hab Rechts und Links und Mitte für mich allein. Zwei Radler begegnen mir erstmalig Richtung Dubkow-Mühle. Hecht in der Gaststätte, nur das nicht. Ich hab bereits den Rucksack voller Augustäpfel und mich selbst von madenlosen, riesigen und überreifen Fallpflaumen ernährt: Dank dem Regengebraus.
Auf den Wiesen sind die ehemals schottischen Hochlandrinder (falls ich mich richtig erinnere) einer Pferdezucht gewichen. Doch alles Mode und Geschäft und weniger Leidenschaft?**
Über Lipje/Leipe nach Lubnjow/Lübbenau sind es auf geradem – sehr geradem Weg keine 10 km. Um der Eintönigkeit zu entkommen, muss der Blick ebenfalls sehr und genau ins Grüne abtauchen. Ich versuche beim Zählen der Brücken Hoffnung zu schöpfen, aber hab ich → mit dem Kajak wirklich jemals so viele Kanäle gekreuzt?
Die Füße beginnen zu brennen, einige Biker haben sich auf den Weg gemacht – klaro, Schwyzerdeutsch ist auch zu hören in dem “endlich mal Flachland”. Meine Sehnsucht nach dem Dahingleiten auf dem Wasser wächst.
Aber eins ist für mich sicher: der Spreewald ist nur bei Regen oder eben schlechtem Wetter zu genießen.
* SUP: Stand Up Paddling und: die sorbischen Ortsnamen wie Bórkowy/Błota für Burg/Spreewald usw. sind zwar vor Ort, aber schon nicht mehr auf den heimischen Internetseiten zu finden – traurig, traurig.
** Biosphärenreservat bedeutet Fauna-Flora-Habitat-Schutz in der einmaligen Kulturlandschaft Spreewald. Die Wiesen-Splitterflächen zu pflegen oder mit nur wenigen Tieren zu beweiden, kostet Mühe und ist ein Zuschussgeschäft. Dann auch noch Hof und historisches Bauernhaus? Da bleibt schnell nur ein Freilichtmuseum mit drei altwendischen Bauernhöfen übrig, zumal der Tourist neben sauren Gurken etc. in der Regel auch Wellness erwartet.