Zwischen Wusterwitz und Ziesar

11. März 2018, der sonnigste Sonnentag!
Geplant ist Potsdam, aber der Zug fährt über Golm – klar, weiß jeder… ich auch. Egal jetzt: der Sonne entgegen müsste ich auch ohne Karte, ohne Getränk und ohne Essen von Kirchmöser nach Ziesar kommen.

Schwedischer Osterbrauch
Schwedischer OSTERBRAUCH: der Osterstrauß wird mit Federchen geschmückt. Natürlicher, zollfreier Brauchtumsimport im EU-Vogelschutzgebiet Fiener Bruch, 11.3.2018

Südwärts

Auf der östlichen Seite vom Wusterwitzer See meide ich jeden Ort. Laut krakelende und trompetende Graugänse fliegen über mich hinweg, hin und her zwischen Schilfgürtel und gedecktem Mittagstisch auf dem Feld. Am Horizont stehen sie vor dem blauen Himmel wie die Gesandtschaft uralter Götter.
Kurz darauf treibt mich der Baumarkt-Landhaus-Stil eines Bollywoodmöchtegerns den Berg hinauf. Ich trällere “an mein Hauserl stehn viel Lamperl” hinterher. Dann gibt es nur noch Wald und Feld, hügelig und einsam. Es zippt,  girrt, tsits und piept. In hohem Singflug tirillieren die Lerchen. Aus weiter Ferne grüßen Kirch- und Ziegeltürmchen. Einmal spürt mir ein  knatternder Freestyle Motocrossathlet nach. Ich springe ins Feld  und nehme die Dankesbezeugung seines Wheelie-Zirkushighlights bewundernd entgegen. Der blaue Ninjago Jay verschwindet ostwärts.  Mir zeigt die Sonne: ich bin zu weit westlich, vielleicht schon an der Landesgrenze zu Sachsen-Anhalt.

Eine Landstraße, beidseitig in die Unendlichkeit – solche Querung birgt immer die Gefahr der falsch eingeschlagenen Richtung. An einer vermüllten Wegegabelung gerate ich schließlich auf den „Bunten Dörferweg“ zwischen Wusterwitz, Viesen, Rogäsen, Zitz, Warchau und Gollwitz. Meine erste konkrete Orientierung. Rundkurs oder Ziesar? Keiner der Wege wirkt einladend. Richtung Zitz geht es entsprechend durch eine Halde, als Baustelle bemäntelt.

Graugänse bis zum Horizont
Graugänse bis zum Horizont
Schickimicki
Wunderland im Havelland
Vogelnest
Das erste Vogelnest
Schäferwagen am Wusterwitzer See
Es war einmal am Wusterwitzer See
Am Hang
Wegelos am Hang
Alter Pilz
Goldgelber Zitterling vertrocknet
Wanderweg
Kreuzung – Niemandsland für Umweltignoranten
Feldweg an der Waldkante
Feldweg im Hügelland

Zitz

Vor mir kämpft eine Mutter mit Kinderwagen durch Schlamm und durch den wahrscheinlich sehr ereignislosen Dorfsonntag von → Zitz. In der Dorfmitte die Kirche mit zwei, jeweils dem Bismarck und dem Kaiser (? – ich hab nur flüchtig gelesen) gewidmeten Linden, darunter Blüte an Blüte goldgelb leuchtende Winterlinge und summende Bienen. Mir gefällt’s.
Ein Denkmal mit Eisernem Kreuz habe ich friedlich gestimmt links liegen gelassen. Jetzt nachgelesen: 1813 kam es bei und in Zitz zu Kämpfen zwischen preußischen und französischen Einheiten. Leider damit den Zusammenhang zur wenig späteren → Schlacht bei Hagelberg verpasst…

Richtung Fiener Bruch führt eine mit Ackersteinen bunt gepflasterte Straße hinunter. Ich hoffe, diese Straße wurde unter Denkmalschutz gestellt: eine seltene Schönheit, die mir ein liebenswürdiger Dorfengel (weiblich) zeigt – eine unübliche, gastfreundliche Möglichkeit, für aussterbende Dörfer zu werben. Der Engel bestätigt: „Da kann man einen Hut durchs Dorf werfen und es kommt keiner zur Tür raus.“  Ich stutze. Nie gehört. Langsam dämmert mir eine Verbindung zwischen “einen Hund hinter dem Ofen vorlocken” und “eine Sau durchs Dorf treiben”. Vielleicht muss ich auch nur zum Ohrenarzt.

Zitz, vom Fiener Bruch aus gesehen
Das Rundlingsdorf Zitz auf dem Berg
Windpark
Windpark Zitz-Warchau

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Winterlinge
Winterlinge
Gedenktafel und Stein aus diversen Zeiten
Zitzer Kirche: Stein aus diversen Zeiten

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Alter Bahndamm Zitz
Alte Bahnstrecke Rogäsen – Zitz – Karow
Kirchturm hinter den Gedenk-Linden
Kirchturm hinter den Gedenk-Linden

Durch den Fiener Bruch nach Ziesar

Melioriertes Urstromtal: Gräben und Bach. Ich bin in leiser Eile. Trotzdem tönt und zeigt sich kein einziger Vogel in diesem Vogelschutzgebiet. Der Fiener Bruch zieht sich als unendliche Ebene hin, extra für Großtrappe, Brachvogel und Kiebitz fast ohne Baum und Strauch.

„Südöstlich von Genthin und südwestlich von Brandenburg, von beiden Ortschaften gleichweit entfernt, liegt das Städtchen Ziesar, dessen Schloss einst als eines der festesten im ganzen Lande galt.“
Karl May “Ritter und Rebellen. Wildwasser”, Kap. 1

Neben mir sprengt urplötzlich ein Reiter vorbei. Auf dem Sand wie ein Geisterritter – doch, vor mir ist er jetzt zu hören. Ach ja, hier entlang sind sie vielleicht gejagt, die bischöflichen Mannen in den Vernichtungsfeldzügen gegen die Quitzows und wieder zurück zur eingenommenen, einst slawischen Burg „civitas Ezeri” = slawisch „za jezero”, gesprochen Zi-e-sar – „Ort hinter dem See” (der wurde trocken gelegt). Aufs Pferd hat mich der proppere Ritter nicht genommen. Ich bin aber sicher, er gehört zu der Mannschaft, die am ersten Juni-Wochenende 2018 die Feierlichkeiten zum 1070. Jahrestag der Stadt Ziesar* historisch ausschmücken wird.

Für mich reicht die Zeit gerade noch für einen Blick auf den Querturm der einstigen Zisterzienser-Klosterkirche St. Crucis. Hilfsbereite Menschen weisen mir den Weg zur Bus-Haltestelle. Hoffe, dafür verbrennt nicht der Sonntagskuchen (aus der Tür duftet es nach Weihnachten und Geburtstag zusammen).

Lieber zu früh als zu spät: cooles Jungvolk von der Tankstelle ist ebenso hilfreich wie der Busfahrer, der mich – sichtlich abgehetzt – bereits am Frauentor aufsammelt. Kurze Wartezeit am → Bahnhof ohne Schienen. Mit diesem nachmittäglich letzten Bus sammelt und setzt der Fahrer dann ab, wie und wo es gewünscht wird. Was für ein Service! Nach seinem Nettolohn frage ich lieber nicht.

Kühe
Rinderzucht im Fiener Bruch
Schlammweg
Schlamm und “Schienen” auf dem Damm

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Fiener Bruch
Weites Land
Graben
Fiener Bruch

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Ziesar
Ziesar, Querturm von St. Crucis
Reiter Richtung Ziesar
Richtung Ziesar: Raubritter?

Abendstimmung in Wusterwitz

Noch strahlt der Himmel. Ich kippe in Wusterwitz aus dem Bus. Der getränkelose Tag wirkt. Die dringende Flüssigkeitszufuhr gelingt im erstaunlicher Weise sonntags geöffneten Getränkemarkt.
Die Luft streichelt immer noch warm.  An der sumpfigen Verbindung zwischen Wendsee und Wusterwitzer See locken die Weidenkätzchen silbern und samten. Nirgends aber eine Biene. Vielleicht ist es zu spät am Tag.
Für mich reicht die Zeit, um in abendlicher Stimmung zum Bahnhof Kirchmöser zu spazieren, ca. 6 km. Mindestens 25 Kilometer werde ich insgesamt geschafft haben.

Wusterwitzer See Richtung Süd
Wusterwitzer See Richtung Süd
Zwischen Wendsee und Wusterwitzer See
Zwischen Wendsee und Wusterwitzer See

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Abendstimmung
Abendstimmung
Sonnenuntergang
Sonnenuntergang

Später lese ich: 27 km lang ist der Rundkurs „Bunter Dörferweg“ ab Bahnhof Wusterwitz. Klingt gut – falls auch außerhalb von Wusterwitz einmal ein kleines Gartenlokal geöffnet hätte. Zu empfehlen sind derzeit solche Wanderungen nicht. Dass in den westlichen Zipfel Brandenburgs an den Wochenenden Busse nur 2x täglich zwischen Bad Belzig und Brandenburg fahren, ist ein Risiko.
Und wer sich auf der Rückfahrt in den Zug Magdeburg – Berlin fallen lässt, um selig seinem Ziel entgegen zu schlummern, der landet ohne Blick auf die Bahnsteiganzeige uninformiert direkt von Brandenburg aus wieder in Kirchmöser (manchmal). Von Potsdam nur mit Weiterfahrt per S-Bahn ganz zu schweigen.
Inwieweit Schweigen und Ohrenstöpsel in Kirchmöser anderweitig notwendig wären oder gerade öffentlichen Protest über den Bahnhofsdurchgang hinaus erfordern würden, kann ich nicht endgültig beurteilen. Augen zu und durch? Jedenfalls hat Wandern durch “Heimat” manchmal nicht nur Dornen, sondern auch Haken, die für Fremde nicht immer offensichtlich sind.

Kirchmöser vs. Kirchmöser
Interna von Kirchmöser

*Die 1070. Jahresfeier Ziesar vielleicht wieder mit einem → Bezug zu Karl May, ansonsten → hier bei mir.

Bilder bitte mit Mausklick vergößern.

Der Brocken im Winter

17. Februar 2018 im Eilschritt durch Ilsenburg, schlitternd durch das Ilsetal, auf vereistem Pfad abenteuerlich hoch zur Hermannsklippe, jappsend auf dem Hirtenstieg zum Kleinen und Großen Brocken

Steinmassen und Menschenmassen im Frühjahr, Sommer und Herbst. Im Winter sind die Menschen auf Schusters Rappen selten. Man sieht sich und erkennt sich auf dem Rückweg oder der Rückfahrt im HEX wieder.

Steinbrocken, bedeckt mit eisigen Pilzhüten
Steinbrocken, bedeckt mit eisigen Pilzhüten

Die Wetterstation grüßt in voller Pracht vom Brocken.
Die Ilse plätschert neben mir mit weit weniger Wasser als vor zwei Wochen. Anstelle der hängenden Eiszapfen sitzen auf den Steinen nur noch breite Eiskappen. Manche Steine tragen ganz und gar schon eine frühlingshafte, kreisrunde Tonsur für ihren Sonnengott.
Hals- und Beinbruchgefahr allerdings beidseitig im Ilsetal: Stöcke haben keine rettende Funktion. Die Schuhe rutschen rückwärts und auf dem Rückweg ständig erschreckend vorwärts.
Auf schmalem Pfad gen Brocken erweist sich am sichersten das Steinbett eines flachen Bächleins oder der Tiefschnee, von dem man selten ahnt, wie tief er ist.

Drei und eine halbe Stunde haben die lt. google maps angezeigten rund 13 Kilometer ab Ilsenburg Bahnhof zum Bergscheitel gekostet. Nur zwei Stunden dagegen abwärts bis zum Ortseingang – das dürften bis zur Stempelbuche 6 km/h gewesen sein. Die Straße nach Ilsenburg aber wurde wieder zum Seiltanz.

Hermannsklippe
Hermannsklippe
Blick vom Hirtensteig
Blick vom Hirtensteig

Ab Hirtenstieg läuft es sich flott auf getretenen Spuren – falls die Kondition trainiert ist und falls man auf Fahrrad oder Langläufer verzichtet hat…
Der Panzer-Betonplattenweg ist unter Schnee begraben, weitgehend auch die Granitbrocken des “Blocksberges”. Die Notdurft zu verrichten erweist sich als schwierig, nahe am Weg sind die Bäume rar. Ich rutsche ab und mache ein Sitzbad – eine interessante, gar nicht betrübliche Erfahrung mit nacktem Hintern bei wahrscheinlich keinem einzigen Minusgrad.

...mit kleinen Bröckchen
Der Kleine Brocken mit kleinen Bröckchen
Hinter mir die Brockenbahn
Spielzeugland

Schneebehangner Scheitel,
Den mit Geisterreihen
Kränzten ahnende Völker.

Johann Wolfgang Goethe, aus “Harzreise im Winter”.(1749 – 1832), G.Poetische Werke (Berliner Ausgabe), Band 1. Berlin und Weimar 1972

Der Brocken in erreichbarer Nähe!
Der Brocken in erreichbarer Nähe, ab und zu in Wolken verschwindend!
Windgebeugt am Brocken
Windgebeugte Geister

Der Gipfel zeigt sich harmlos. Fast windstill wirkt es. Die Handschuhe lohnt es nicht hervorzukramen. Um den Berg wechselt neblig dichte Atmosphäre unmerklich mit offenen, weiten Wolkenlöchern. Die Sicht ist unspektakulär gut bis zur Eckerntalsperre mit einer wahrscheinlich dünnen Eisschicht. Ringsum dunkle Wälder.
Es war wohl das letzte, weiße Winterwochenende im Harz.
Die Sehnsucht nach dem wieder ausgefallenen Winterzelten, nach Schlittschuhlaufen auf einem See oder der Spree mischt sich mit der Melancholie des Abschieds.

Brockenstation I
Brockenstation
Brockenstation II
oder Mondlandung? Na gut: Kennt man alles und fotografiert jeder…

Lob des Winters

Verzeiht, ihr warmen Frühlingstage,
Ihr seid zwar schön, doch nicht vor mich.
Der Sommer macht mir heiße Plage,
Die Herbstluft ist veränderlich;
Drum stimmt die Liebe mit mir ein:
Der Winter soll mein Frühling sein.

Der Winter bleibt der Kern vom Jahre,
Im Winter bin ich munter dran,
Der Winter ist ein Bild der Bahre
Und lehrt mich leben, weil ich kann;
Ihr Spötter redet mir nicht ein;
Der Winter soll mein Frühling sein.

Johann Christian Günther, 1695 – 1723, Gesammelte Gedichte. München, Wien 1981

 

Der Brocken im Winter
oder der Tag als der Hex über den Brocken fuhr

Anruf-Konversation im Zug:
“Wo warst du?”
“Auf dem Brocken.”
“Was hast du dort gemacht?”
“Nichts.”
Reaktion der mithörenden Wanderer: “Gute Frage!”
Der HEX – wenigstens er an diesem Abend von den Geistern geritten – möchte in diesem Moment zu einem berichtenswerten Event beitragen. Er hebt sich mit Donnergetöse kurz hoch aus den Gleisen, kippt leicht samt allen lose und locker liegenden Dingen, wirft die Schlummernden aus dem Schlaf. Die Schreckensnachricht verbreitet sich: keine Verletzten, keine Felsbrocken auf den Gleisen, aber der Brocken eines wilden Schweines wurde platt gemacht. Nothalt und Inspektion des Zuges in Brandenburg. Schnell entschlossene Anwohner können ihre Fahrzeit mit Sprung verkürzen – hatten die das Schwein bestellt??? Ansonsten kleben wohl nur einige blutige Borsten am Zuglack.

→ Die Ilse im Schnee – meine Wanderung am 4.2. durch das Ilsetal

Freiheit, die ich meine…

16.2.2018
Von Wannsee zur Revierförsterei Dreilinden, Bensch-Grab, Scout Troop Berlin, Königswegbrücke und Grenzübergang Dreilinden, Mauerweg, Hundeauslaufgebiet Düppel, Stammbahn, Krummes Fenn, Mexikoplatz

Irgendwas ist immer. Zum Beispiel Zugausfall. Einfach so. Der nächste Zug fährt entgegengesetzt. Ohne Begeisterung morsen die Grauen Zellen: Wannsee Richtung NO, Kleinmachnow (Fontane: „Ein reizend gelegenes Dorf…“) und Stahnsdorf. Wenigstens bis dorthin für mich unbekanntes, einstiges Grenzland der zwei Systeme, heute noch die Grenze zwischen Berlin und Brandenburg.

Das wird nix...
Das wird nix…

Die Welt des Lärms

Wald wird an der Potsdamer Chaussee sichtbar. Einige Meter auf Stufen hoch und die Forsten samt Waldschule Zehlendorf versprechen Naturschutz. Bis in die fünfziger Jahre stand noch die Villa des Prinzen Friedrich Karl von Preußen (1828 – 1885). Unterhaltsam und ausführlich → nachzulesen bei Fontane.
Fontanes Spuren folgten andere begeistert → in neuer Zeit. Ich sehe nichts Berichtenswertes. Das Jagdschlösschen ist abgerissen. Andere preußische Gepflogenheiten haben den Sieg davon getragen mit explosivem Schießlärm über großen Radius hinweg. Es pfeift, knallt und schallt hochenergetisch. Manchmal im Sekundentakt. Dann wieder knistert das Schweigen im Ohr bis neuerlich das moderne Waffengeklirr einsetzt. Das Gelände ist flach und ohne Schirmung. Der Schall breitet sich ringsum aus. Erträglicher als geradeaus wäre es links, wird mir von einem Vorüberkommenden empfohlen. Sein Wort in Gottes Ohr, aber dessen Existenz kann zumindest diesbezüglich nicht bewiesen werden.
Noch weiter links biege ich am Wegweiser “Bensch-Grab” ab (auch dazu bei Fontane). Als Weg ist nichts zu erkennen. Der Wald ist nicht alt, licht und von den letzten Stürmen noch mehr gelichtet. Der Grabstein ist zu finden. Zwei moosbewachsene Bänke bringen vage den sehnlichen Wunsch nach einer solchen Ruhestätte in Erinnerung.
Im Schießstand für Jäger, Sportschützen und Behörden wird weiter gefeuert.

Überlebenswille
Überlebenswille
Das Bensch-Grab
Das Bensch-Grab
Der Forst
Der Forst

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Gruene Buckel-Tramete
Grüne Buckel-Tramete
Flechten
Flechten
Baumpilz
Baumpilz

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Adventure Berlin
Scout Troop
Camporee
Berlin Camporee
Konkurrenz Waldschule
Waldschule

The adventure continues – dachten beide Seiten…

Einen Schlag der heimischen Kiefernheide ließ der von Forst- und Waldkultur begeisterte Prinz 1871 von französischen Kriegsgefangenen mit Eichen umbauen. Von dieser gerühmten Wohlgestalt des Waldes ist im Umkreis nichts zu entdecken. Fotogen erweisen sich die Grünen Buckel-Trameten und cyanblaue Blattflechten.
Ein “Wander-Highlight Revierförsterei Dreilinden”, das kann ich nicht sagen. Die Mitarbeiter der Waldschule, mit Kindern auf einer abenteuerlichen Lichtung, bestätigen: ziemlich langweilig Richtung Zehlendorf…

“Wild Free” aber ging es bis zum Mauerfall mit Sicherheit zu in dem vergessenen Waldeseck von Berlin Camporee.
Dite isn Ding!
Ostdeutsch sozialisierte Wanderer, Thälmannpioniere und GSTler → unbedingt informieren und nachträglich Bruderküsse tauschen! Allzeit bereit! Always prepared! Immer bereit!
Und ich freue mich während ermüdender Waldes-Knüppelei auf meine → Wes Anderson-DVD.

Über mir die spitzen Liebesschreie eines Bussardpärchens (Sch… wo blieb der Winter???) bis neu Lärm, wenn auch gedämpft, in die Ohren dringt: Mauerweg, Autobahn und Königswegbrücke mit Blick auf die Raststätte Dreilinden / Checkpoint Bravo. Gänsehaut über meinem Rücken. Denen, die Berlin geteilt nicht erlebt haben, dürfte das denkmalgeschützte Ensemble alltäglich vorkommen.

Mauerweg
Mauerweg
Dreilinden
Checkpoint Bravo
Königswegbrücke
Königswegbrücke

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Mauergedenken
Mauergedenken
Liebe Natur
Liebe Natur
Hundeauslauf
Hundeauslaufgebiet

Für den brausenden Autobahnlärm fühle ich mich zu dünnhäutig. Dann eben im Bogen um Kleinmachnow durch das Hundeauslaufgebiet. Da ist sie schon: die Trasse der einstigen Stammbahn. Gerade, gerade, gerade Richtung Düppel. Rechts von mir die Häuser von dem dahinter boomenden Kleinmachnow.

Die Welt der Zäune

Gegen eine Wiederinbetriebnahme der Stammbahn wehren sich die Anwohner. “Klein, aber mein” – der Spruch am früheren Jagdhaus Dreilinden wurde volksbeliebt. Mauern und Zäune aller Art… jeder will seine Natur. Und Ruhe. Gegen den Flughafen Tegel wird auf der anderen Seite demonstriert.
Privat vs. Bürgersinn. Mensch vs. Politik. Es geht mich nichts an. Die ganze Gegend geht mir am Arsch vorbei, gerade weil ich für mich nichts dieser ganzen Geschichte ausblenden kann.

Grenzliebe
Grenzliebe
Stammbahn
Stammbahn
Grenzerinnerung
Grenzerinnerung

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Goldgelber Zitterling
Goldgelber Zitterling
Krummes Fenn
Krummes Fenn
Erste Blüten
Klein ist fein

Erste Schneeglöckchen, wahrscheinlich wirklich wilde Pflanzen. In Düppel den → Goldgelben Zitterling entdeckt (vor einem Zaun)! Im Krummen Fenn Wildschweinsuhlen. Kein Wunder, wenn die Tiere in der Stadt erscheinen – überall ist Stadt ohne DIE Mauer.
Mag sein: der Frühling wird mehr vom Lärm schlucken. Wald und Zäune werden nicht mehr durchsichtig sein, wenn das Grün sprießt. MEINER Vorstellung von „kleinen Fluchten“ entsprechen Wanderungen durch die Stadt nie. Irgendwas ist (un-)natürlich immer: Laufstrecke, Fahrradstrecke, Hundeauslauf, vermeintliche Paradiese hinter den Zäunen, Gittern und Garagentoren… Ermüdend alles. Ich tue mich schwer mit diesem Bericht.

Esel?
Zäune mit Tier
Häuser
Barrikaden
Schafe
Alles Schaf

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Gespieltes Leben
Gespieltes Leben
Angesagte Gegend
Angesagte Gegend
Grenzzäune
Andere Grenzzäune

Freiheit, die ich meine…

Freiheit
Endlich am Mexikoplatz. Himmelszelt Freiheit

Freiheit, die ich meine…
Magst du nie dich zeigen
Der bedrängten Welt?
Führest deinen Reigen
Nur am Sternenzelt?

Aus einem Gedicht von Max von Schenkendorf (1783–1817), 1815 im Eindruck der Befreiungskriege geschrieben.

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Die Ilse im Schnee

Sonntag, 4. Februar 2018

Die Morgensonne vom Hex aus gesehen
Die Morgensonne vom HEX aus gesehen

Ein Tag, der glücklich macht: raus aus der Berliner Tristesse und mit dem HEX günstig hin und zurück in den HARZ. Freudig erwartungsvoll und entspannte Stimmung, eine andere Gemeinsamkeit als mit der DB. Der Zug proppenvoll mit Skiern, Schlitten, Hunden. Alle kleinen Menschen verschlafen den Sonnenaufgang und abends wieder den Sonnenuntergang. Aber die Zeit dazwischen!!!…

Ein Jahr früher mit einer zielsicheren Brocken-Gruppe in Hast die Ilse entlang – ohne zu fotografieren. Das möchte ich nachholen. Gelungen ist es nicht, diesen kurzen, aber vielleicht schönsten Harzer Wanderweg festzuhalten. Die Ilse rauscht, tost, plätschert zuallererst in und für die Ohren und entwindet sich weniger als zarte Prinzessin, denn als ein listiger Kobold in Sonnengefunkel oder tiefem Dunkel.

Strömend
Strömend
Kreisend
Kreisend
Frischer Quarzitabbruch am Ufer
Blutig-frischer Quarzitabbruch (granatführend) am Ufer
Kaskaden am Oberlauf
Kaskaden am Oberlauf
Chaotisch
Chaotisch
Wild
Wild
Zwischen den Steinen
und zwischen Steinen
Spurlos
Zwischen Buchen

Wie muss sich diese Ilse anhören zur Zeit der „Wilden Jagd“, mit Blitz, Donner und Orkan über Wald und Wasser hinweg, wenn ringsum die Bäume wie Streichhölzer knicken?
Ilse gurgelt unter den Stämmen und die deutsche Sprache bringt mich zum Grübeln.
Am Anfang ist „die“ Quelle, dann wird es „der Bach“. „Das“ Bächlein besitzt dazu eine gewisse Logik, bald aber ist der Bach zwar „der“ Fluss, statistisch jedoch eindeutig eher eine „sie“ als ein „er“.
Auch den zart besaiteten (glaubt man seinen Gedichten) Heine* hat DIE leise plätschernde Ilse verlockt, zur „Blümchenzeit“ allerdings und mit Flausen in seinem jungen Kopf. Der schmale Pfad entlang der Ilse heißt heute touristisch lockend „Heinrich-Heine-Weg“.

Seitlich vom Felsen ein Zufluss
Seitlich vom Felsen ein Zufluss
Überlebenskampf gegen Stein und Wasser
Überlebenskampf gegen Stein und Wasser
Versteckt
Versteckt
Unter den Stämmen
Unter den Stämmen
Nicht für jeden machbar
Dazwischen drüber – keine andere Möglichkeit!
Baumstamm an Baumstamm
Baumstamm an Baumstamm
Der Weg, gangbar
Trotz Baum gangbar, sogar trocken…
Die Ilse im Wald
Die Ilse im Wald

Die Ilse zur jetzigen, frühen Jahreszeit gleicht eher einer Loreley als einer süßen Gefährtin. Auf fast neun Kilometern stellt sich Prinzessin oder auch Wasserfee Ilse als das Gegenteil dar von dem, was kleine Mädchen in perlenbestickten Spitzenkleidchen erträumen. Wenn die Sonne mit ihrem weißen oder goldenen Licht das Wasser schmückt, mag eine Erinnerung daran aufblitzen. Aber die Ge-fähr-tin birgt deutlich eher Gefahr. Ilse gleitet nirgends seidenweich über das Gestein, manchmal entzieht sie sich leicht kräuselnd. Dann aber schlägt ihr Wasser schroff gegen die Steine, jagt und sprudelt hier hinab und da prallt es gegen das Ufer, zerstäubt in Tröpfchen langsam zu Eiszapfen, wenn nicht wieder das Wasser von und mit allem fortreißt. Der Fluss wühlt und schäumt mit Getöse in seinem (oder ihrem?) Bett wie der erymanthische Eber, den erst Herkules besiegen konnte.
Heine wurde wohl eher becirct von einer täuschenden Ilsebilse…

Vielfacher Scheideweg, hier zum Brocken
Vielfacher Scheideweg, hier zum Brocken

Bis zu den oberen Ilsefällen und der Bremer Hütte reicht mir. Weg und Anstieg zum Brocken sind mühselig. Also noch einmal die Ilse abwärts, diesmal bis zum Ortsausgang bei den ehemaligen Hüttenwerken, wo Wanderer selten hinfinden.
Vorher lohnt das Abbiegen auf die Berge über Ilsenburg und zu dem über 1.000 Jahre alten Kloster hoch über dem Tal des Flüsschens. Das Kloster befindet sich auf dem Gelände der ehemaligen Jagdpfalz Elysynaburg, vermutlich von König Heinrich I.** gegründet. Elysium als sofortige Assoziation, die Insel der Seligen, vom Okeanos oder eben der Ilse und den vom Brocken her ziehenden Nebeln umflossen… Als an dieser Stelle das Benediktinerkloster*** entstehen sollte, wurde die Burg auf den Ilsenstein verlegt.

Blick Richtung Brocken
Blick Richtung Brocken

Seit 2000 werden die Klostergebäude saniert. Die Architektur ist sehenswert, aber weder ad hoc noch mit dem überreichten, dilettantischen Wegezettel zu erschließen. Im Dormitorium ein informativer Raum zur Reform der Wernigeröder Forsten**** und das Modell der Straße der Romanik, beides würde lohnend mehr Zeit in Anspruch nehmen.
Die Klosterkirche als letzte Station des Rundganges trotz baulicher Veränderungen in ihrer strengen, großartigen Einfachheit ein in vieler Hinsicht bedeutendes Erlebnis .

Klosterkirche Ilsenburg mit barocker Altarwand und Kanzel, 1706
Klosterkirche Ilsenburg mit barocker Altarwand und Kanzel, 1706

Über der Apsis eine Ende 16. Jh. datierte barock bemalte Holztonne – wie der bewegte Himmel über dem Harz, darunter eine geschnitzte Altarwand von bedeutender Qualität und Pracht und ohne Fassung, Kanzel und Taufengel dagegen farbig. Teile des Estrichs sind mit Ritzzeichnungen erhalten: lebensgroß wirkend ein Hirsch mit anspringendem Hund.

Fußboden der Klosterkirche Ilsenburg, Ritzzeichnung
Jagdszene auf dem Fußboden der Klosterkirche Ilsenburg, Ritzzeichnung

Inzwischen glüht der Himmel goldfarben über den Bergen von Ilsenburg und spiegelt sich in allen Pfützen und Gewässern. Ein letzter Blick auf die Ilse von der Stahlwerkbrücke hinter dem Bahnhof. Die Brücke wurde um 1905 zusammen mit dem Siemens-Martin-Stahlwerk gebaut, das wurde bereits 1911 wegen Unrentabilität wieder stillgelegt.

Die Abendsonne an der Stahlwerkbrücke
Die Abendsonne an der Stahlwerkbrücke. Nicht nachträglich eingefärbt!!!

*Heinrich Heine, Harzreise, 1824,

**Heinrich I. (der Vogler) war Herzog von Sachsen und von 919 bis 936 König des Ostfrankenreiches.
Geboren: 876 n. Chr., Memleben
Gestorben: 936 n. Chr., Memleben; bestattet: Stift Quedlinburg
Memleben ist MIR wichtig: die Pfalz wurde regelmäßig während der Pfingstwanderfahrten auf der Unstrut besichtigt.

***Kloster Ilsenburg

**** um 1765 in Ilsenburg Gründung der ersten deutschen Forstlehranstalt als Meisterschule
durch Hans Dietrich von Zanthier

Die Ilse hat mich genarrt, ich finde in den Bildern nur Stückwerk,
der Fluss wirkt zerbrochen/gebrochen wie das Holz, aber sie war doch ständig ganz lebendig neben mir!?

Plaue-Pop

28. Januar 2018
3 Stunden ca. 12 km von Wusterwitz nach Plaue und Kirchmöser

Plaue, Schlosspark
Blick vom Plauer Schlosspark Richtung Brandenburg und Kirchmöser

Von Wusterwitz nach Plaue

Wieder einmal ungeheizt im Beton von „Deutsche Wohnen“. Flucht zur DB, die hat Signalstörung: kein Halt hier und da und der „Hex“ Richtung Harz fällt aus. Ich lande in Wusterwitz – vielleicht eine gute Gegend für Winterpilze. Die Ausbeute bleibt später bei einigen angeblich kalbfleischähnlich schmeckenden Austernseitlingen, die so viel undefinierbaren Streuseldreck in der Huthaut haben, dass es einem gedopten Kalb gleich kommen dürfte.
Ich marschiere Richtung Woltersdorf (nicht verwechseln mit der Woltersdorfer Schleuse bei Erkner) und Quitzows Burg Plaue*, die zeitgleich mit der Friesack-Feste fiel und verfiel. Als Wanderin zu früh am Morgen begegnen mir gleich einige „ganze Kerle“ mit Spürhund. Ein Forstauto sammelt sie (wahrscheinlich samt blutigem Opfer) ein. Ich lege ausreichend zu, um nicht konfrontiert zu werden.

Naturerlebnis gibt es abgesehen vom Wasser nicht – von dem wird man sogar jenseits aller Markierungen verlaufssicher gelenkt: zuerst über den Elbe-Havel-Kanal, ein bissel Wendsee, dann über die Schleusenbrücke vom Woltersdorfer Altkanal. Vor mir steht unverkennbar Silver in blauer Uniform, der Steuermann aus der „Schatzinsel“. Inwieweit die allgemeine Belesenheit unter- oder überschätzt wurde, ist fraglich: Silver steckt bis zum Holzknie in der Erde – halbherzig (besser: halbbeinig) zum Havelschiffer geschrumpft. Hab keinen Bock auf touristische Erlebniswelten, nicht mal als Foto. Ich ahne noch nicht – das soll sich bald ändern…

Jetzt die Straße geradeaus und rechts zum Wendseeufer von Plaue, um noch etwas Wald zu sehen. Gegenüber von der Chausseestraße hätte ein Sumpfgebiet gereizt (die im Frühling sicher lohnende Große Freiheit bei Plaue) , aber ohne Karte und an einem der dunkelsten Tage dieses dunklen Winters…

Plauer Schloss und Park

Hoher Wasserstand
Hoher Wasserstand
Der Plauer See im Gegenlicht
Im Gegenlicht
Irgendwo doch ein Stein von Quitzows Burg?
Irgendwo doch ein Stein von Quitzows Burg?
Blick zur Kirche
Blick zur Kirche

An der Seegarten-Brücke ufernah in den Schloss- oder Stadtpark. Der wirkt als Landschaftspark eng, es sei denn der Blick schweift über den See. Kirchmöser grüßt mit Schornsteinen – mit dem ersten Krieg im 20. Jahrhundert hat hier die Industrie gesiegt.
Aber das sollen wir vergessen: der Plauer Fontane-Weg lenkt jetzt den kulturbeflissenen Menschen.

Und wer ahnt es nicht? Zwischen einer sorgfältig ausgewählten Baumgruppe steht er, der sprachgewaltige, große Dichter in Vitrinenformat. Ein Nippesmännel in Bronze auf weiß getünchtem Betonsockel. Ich kenne die Entgegnung: mach es besser. Besser machen könnte heißen gar nicht machen in Respekt vor dem, was ohne Zutun ist und bleibt. Wie gern würde ich jetzt den kühl humorigen Fontane selbst hier flanieren sehen. Ganz unmerklich bin ich nämlich eingetaucht in die bunte Kreativszene von Plaue.
Ich lasse Schloss und Park hinter mir, die Lämpchendeko und einen gerade aufgebauten Empfang – die entsprechende Veranstalter-Webseite lockt mit Verfallsambiente und zum Schloss ist dort alles Wissenswerte nachzulesen.

Dichterehrung
Dichterehrung
Naturverehrung
Naturverehrung
Aaach-ach-tung für Analphabeten
Aaach-ach-tung
Lappenkunst und Flechtwerk
Lappenkunst und Flechtwerk
Die alte Brücke
Die alte Brücke
Alte Steine
Alte Steine

Noch ein Blick über die alte Plauer Brücke – dieser Weg bis Brandenburg** scheint riskant. Die frühere Straßenbahnverbindung ist wegen Baufälligkeit der Brücke gekappt. Anstelle an den für mich sehenswerten Ort eines slawischen Gräberfeldes gerate ich vielleicht an den Komplex des berüchtigten Brandenburger Zuchthauses…  Also durch  Plaue Richtung Bahnhof Kirchmöser.

Plaue-Pop

Über Geschmack lässt sich streiten, aber nie siegen.

Uralte Platane und Knallerbsen
Uralte Allee-Platane und Knallerbsen
Märchenhaus
Märchenhaus
Fenster zur Straße
Präsentation
Türen
Eingänge zum Innenleben
Das ist zu wenig...
Das ist zu wenig…
Schneidermeister: bescheiden schön
Schneidermeister: bescheiden schön
Kleinkunst
Kleinkunst
Große Kunst
Große Kunst im Hintergrund
Farbrevolte II
Farbrevolte II
Farbrevolte I
Farbrevolte I
Farbrevolte IV
Farbrevolte IV
Farbrevolte III
Farbrevolte III

Ach ich weiß, warum ich mich einst nur und nur der Natur zuwendete. Auf dieser Wanderung hat es mich wieder am Wickel: das alltägliche Kreativitätspotenzial im Kampf mit dem sozialen Notstand. Und die Akteure schaffen das!
Das Straßendorf entpuppt sich als grellbuntes Feuerwerk gegen Dunkeldeutschland. Mit postmoderner, kollektiver Heimatpflege und Farbe wird der ärmlich dörfliche Charakter einkassiert. Eine zaghafte Sprayerrevolte läuft ins Leere. Das ostdeutsche Grau findet sich nicht einmal mehr unter abblätterndem Putz; aus gleicher Zeit stammende Kachelsockel glänzen trashig gegen Gott und die Welt. Natürlich darf der Dorfbewohner auch ganz privat mit Farbe in und an Fenstern, Türen, Treppen und Briefkästen bekränzen, beblumen, bebildern und möbilieren***. Die erhaltene, beeindruckend schlichte Bauweise gibt dafür allerdings den wenigsten Häusern Raum. Jahreszeitlich reizt momentan ebenfalls kein Anlass. Ich gehe verunsichert durch die Deko-Historie. Allet Kulisse oder wat? Aus Sicht der Wahrnehmungspsychologie höchst spannend, würde unter diesem Aspekt das kollektive Leben in Plaue unter die Lupe genommen.

Konditorei
Bäckerei oder Westernkulisse?

Längs des Waldes und der geraden Königsmarckstraße eine Wald-Siedlung, für seine Gartenstadt ist Plaue ebenfalls berühmt – von daher sicher die Anregung zur Farbe in der Hauptstraße. Dann das stahlgraue Wunder der Seegartenbrücke zwischen Plaue und Kirchmöser. Kirchmöser empfängt mit den roten Ziegelbauten der Königlich-Preußischen Pulverfabrik. Die Ausdehnung dieser Industriearchitektur beeindruckt. Was sich im Winkelturm verbirgt, habe ich nicht gefunden**** – der fällt in seiner kegeligen Bombenform eigentümlich aus dem Rahmen.

Funktionale (Er-)Lösung
Funktionale (Er-)Lösung

Es ist unangenehm regnerisch.
Weder die Signalstörung der Bahn ist nachmittags behoben noch heute, am 30.1., 11 h zum Abschluss der Ergänzung dieses Beitrages der Heizungsausfall im Haus der “Deutsche Wohnen” (Berlin). Eingedenk der eben bewunderten und einst aus dem Boden gestampften Industriearchitektur unserer deutschen Vorfahren, der aktuellen Desaster von Flughafen Berlin Brandenburg oder Stuttgarter Hauptbahnhof kommt mir der Gedanke, dass vieles nur in Vor- und für Kriegszeiten zu boomen und funktionieren scheint. Und ich ertrage meine Eishändchen gern.

Der Winkelturm von Kirchmöser
Der Winkelturm von Kirchmöser
Kirchmöser: Platz vor der Seegartenbrücke
Kirchmöser: Platz vor der Seegartenbrücke

→ *Quitzow und Karl May in der Mark Brandenburg

** Brandenburg als Stadt gehört für mich zu den ganz besonders lebenswerten Städten –
eine weit gefächerte, gut tuende Mischung von Vergangenheit und Gegenwart, etwas zu sehr zersiedelt an den wenigen “Fluchtstraßen” in die Natur.

*** moblieren, möbilieren, möbelieren und tirilieren – alles erfreulich!

**** Nachtrag: Hochbunker der Bauart Winkel

…und wer die Bilder nicht klickt, sieht nichts…

Gezielt wild zur Silberquelle

23. Januar 2018 von Kirchmöser nach Wilhelmsdorf
Fünf Stunden um und im Gränert herum

Auf rot markiertem Wanderweg in den Gränert. So erfolgsversprechend hätte ich mich nicht noch einmal auf die Suche nach der Silberquelle gemacht, man schrammt an der wilden Natur des Gränerts vorbei. Diesmal aber mit Wanderführer, Karte, Kompass und Hund. Das passt.

Der Gränert – nun zum dritten Mal in kurzer Zeit* – scheint als Wandergebiet unerschöpflich. Der Faule See zeigt sich von der Seite einer Knüppeldammbrücke in nebliger Schönheit. Zahllose Stämme ragen aus dem Wasser, zumindest in Teilen verursacht vom Biber. Seine Burg steht weit vom Ufer entfernt.

Führung mit Karte und Kompass
Mit Karte und Kompass
Im Gränert: der Faule See hinter Schilf
Der Faule See hinter Schilf
12 Jahre monogam auf dem Faulen See
12 Jahre schon monogam auf dem Faulen See
Biberburg im See
Biberburg im See
Fast trockenen Fußes (aber nur fast!)
…fast trockenen Schuhes (aber nur fast!)
Zur anderen Seite
Zur anderen Seite
und das Rückwärtskrakenkarussell
und das Rückwärtskrakenkarussell
Hechtgraben
Hechtgraben

Der Kompass weist auf die gegenüberliegende Seeseite. Ich versuche das erste Abenteuer bildlich festzuhalten und mich gleichzeitig über ein Wässerchen zu bringen. Die Mütze hängt in der Heckenrose. Affenartig hocke ich auf einem Stamm, langarmig an ein handbreites Aststück geklammert. Ich fühle genau wie ich aussehe. Ein weiterer Ast entpuppt sich als lose Wippe. Meine akrobatischen Fähigkeiten sind am Ende. Man(n) könnte mich ja mal von Handy und Mütze befreien… Der ist schon durchs Wasser. Ein Versuch des Erbarmens schlägt fehl. Man(n) rutscht ins nasse Holz und entfernt sich (dann ist das eben so – diese Weiber – und ich werde die Wanderung unter Single ordnen ;))). Ich fummle Handy und Mütze einhändig in die Jackentasche, weiterhin hockend und anderarmigeinhändig hängend. Schwung aufwärts verdreht (die Heckenrose!): nun gut, ein Schuh im Wasser. Gelohnt hat die Prozedur nicht: wir sind eingekesselt. Die entfesselten Gräben haben wahrscheinlich auf immer der Karte einige moorige Striche beschert. Die Kraniche rufen umsonst. Noch einmal die Prozedur plätschernder Bach. Ein paar Äste ins Wasser und diesmal trockenen Fußes zurück.

und ein unbekannter Riese
und ein unbekannter Riese
Zunder - üppig
Zunder – üppig
...nicht in die Suhle!
…nicht in die Suhle!
...da lang...
…da lang…
...dann bricht alles zusammen
…dann bricht alles zusammen
Es geht grad noch so über die Grütze...
Es geht grad noch so über die Grütze…
...hinter all den Spuren von Donner und Doria
…hinter all den Spuren von Donner und Doria
Ziel in Sicht
Der Kundige weiß jetzt das Ziel

Westwärts, nordwärts, ostwärts, südwärts, einen mir schon bekannten Weg kurz ins Tal hinein. Ich verliere die Orientierung. Der Wanderführer hat sie wegeverwachsen vage. Sumpfige Taleinschnitte, Berg oder Hügel – für Hügel geht es zu steil bergan, die Gesamthöhe wiederum dürfte 50 m nicht übersteigen. Der Hund wetzt umher. Wildschweine, Rehwild – es gibt keinen Meter Moos oder Erde in denen nicht die Spuren zu sehen wären.
Ein Stück des offiziellen Wanderweges hat seinen Reiz entlang eines moorigen Tales. Eine lange, von den Wettern zertrümmerte Knüppeldammbrücke führt quer darüber, im Knick weiter zum Diebesgrund. Von hier oben wäre sie schon zu erspähen, wenn man es wissen würde (sonst wandert man weiß/rot vorbei):

DIE SILBERQUELLE

Die versiegte Silberquelle im Gränert, 1905

Romantisch aus Feldsteinen gemauert und bezeichnet: Silberquelle 1905. Das von Buchenblättern bedeckte Wasser dürfte Schneeschmelze sein. Anstatt Silber wachsen mir im Spalt einer Buche kleine Judasohren** entgegen (die knuspere ich jetzt beim Schreiben knackig frisch und roh).

Die Silberquelle am Berg
…wie einst die Quelle
...abwärts
Abwärts
Vitalpilz Judasohr
Vitalpilz, das Leben aus der Buche saugend
In voller Kraft der frühe Tod
In voller Kraft oft der frühe Tod
in Richters Grund
in Richters Grund
Der alte Weg
Der alte Weg
Halali sautot
Halali sautot
Mit dem Schwarzwild wieder ins Wasser
Mit dem Schwarzwild wieder übers Wasser

Wir gehen zurück durch Richters Tal, das sich weit und reich an allen möglichen Gewässern durch den Gränert zieht. Einst führte hier nicht nur der Wanderweg, sogar ein Fuhrweg entlang. Die Zeit hat ganze Arbeit geleistet. Ein Kilometerstein und ein verblasstes Zeichen am Baum – auf dem Hang der neue Weg: breit und gerade als Schutz gegen Stolpern, Umknicken, Lahmen und Absaufen. Aber so oder so: Nordost endet an der Buckaubrücke.

Zur Neuen Mühle
Zur Neuen Mühle
Über Entfernung hin leuchtend
Über Entfernung hin leuchtend
Fischtreppe an der Neuen Mühle
und Fischtreppe an der Neuen Mühle
Neues Wehr vor der Neuen Mühle
Neues Wehr

Mit gelber Markierung geht es weiter an der Buckau entlang bis Nobelrestaurant Neue Mühle.
Der Hund trottet desinteressiert hinter uns. Bis auf einen leuchtend orangegelben Pilz*** kaum sehenswert Naturbelassenes. Vor der Neuen Mühle Orkanchaos – zum Restaurant kommen die mit Geldsäckel und die fahren auf der anderen Straßenseite Auto…

Noch 2 ½ km Wanderweg bis Wilhelmsdorf. Der Hund trottet weiterhin ohne Witterung aufzunehmen. Pilzwald ja, ansonsten herrscht hier wahrscheinlich sogar Insektentod.
Das Timing aber ist perfekt. Punkt 14h an der alten Magdeburger Heerstraße – von dieser Historie ist nichts zu spüren. Ab Wilhelmsdorf mit dem Bus bis Brandenburg jeder Quadratmeter öde zersiedelt – der blanke Horror, ganz ohne einen Witz mit Scherenhänden. Meine geliebte Plane überqueren wir – trostlos wie hier ihre Umgebung…

Aber der Gränert: das war eine Wanderung der Extraklasse! Danke an Karte mit Kompass!

…und wie immer: mit Klick die Fotos bitte ansehnlich vergrößern!

*→ Im Gränert I
und → Im Gränert II

**→ Judasohr

***→ Goldgelber Zitterling, immunstimulierend – aber zu schön, um ihn zu essen!!!

Mit Habakuk durch den Gränert

17.1.2018
Kreuz und quer auf den Schleichwegen von *Räuber Habakuk durch das Naturschutzgebiet Gränert bei Kirchmöser

Durchblick zum See

Der Tag verspricht Himmelsgrau und dustere, braunschwarze Eintönigkeit – natürlich mit Regen, eventuell Schneeregen (auch nicht besser). Ich operiere an meinem Wanderplan: verkürzt auf geradem Chausseeweg in den Gränert, einmal den Weg mit rotem Kreuz auf weißem Grund rund und nach ca. 10 Kilometern nix wie bis Mittag zurück sein in Berlin. Das wäre die Ergänzung zu meiner ersten Wanderung auf den Spuren von Habakuk im Gränert.

Ab Werder überzieht die Felder ein leichter Schneefilm. Dann vielleicht doch die offene Landschaft von Wusterwitz? Vor Brandenburg plötzlich sind die Bäume und der Wald weiß.

Waaahnsinn! Ich hab den Winter erwischt!
Plus Sonne!

Ein Gefühl von Winter
Ein Gefühl von Winter
Der Möserscher See am 17.1.2018
Der Mösersche See am 17.1.2018
Tümpel
Tümpel
Schneeblasen über moorigem Wasser
Schneeblasen über moorigem Wasser
Spuren von Tropfen und meinen Schuhen
Spuren von Tropfen und meinen Schuhen
Die Wellen vom See
Die Wellen vom See

Direkt an dem alten, natürlich auch verfallenden Bahnhofsgebäude von Kirchmöser kurz durch eine dörfliche Straße geht es zum Möserschen See. Wen interessiert dieser Winter? Eine junge Frau nutzt das Smartphone, zwei Hunde halten Frauchen und Herrchen fit. Dann beginnt Einsamkeit. Das alles wird im Sommer anders sein, sogar an den verschwiegensten Stellen werden Angler hocken.

Auf dem See wimmeln schattenschwarze Blesshühner. Ihr weißer Schnabel hebt sich in der Helligkeit des Tages nicht ab. Ein Reiher auf Lauer, Gänsesäger, Graugänse, Schwäne und in der Ferne eine Kolonie Silberreiher.
Der Weg biegt ab und verspricht nicht viel parallel zur Bahn. Hinter einer kleinen Brücke entlang des Bachufers nur die Ahnung eines Pfades auf diese Halbinsel oder Landzunge wo die Silberreiher stehen. Klar, da gehe ich!

Das Zarte
Versinken mit allen Sinnen, nur nicht mit Füßen!
Ufer
Kunst, von der Natur gemacht
...und das Bachufer Richtung Gränert
…und der Bach Richtung Gränert
Das Seeufer
Das Seeufer

Der Pfad verliert sich sofort zwischen umgestürzten Bäumen, Tümpeln, wässrigen Senken. Das Gebiet gehört zum Gränert. Riesige Brettwurzeln alter **Ulmen erinnern an Mammutbäume. Wilderes in unseren Landen kann ich mir in diesem Moment nicht vorstellen. Ein Wildschwein rast auch durchs Gebüsch – ich höre es nicht trotz seiner Schnelligkeit. Ohne Schnee hätte ich es niemals zu Gesicht bekommen. Irgendwann stolpere ich über Ziegel und Grundmauern (ein früheres Forsthaus). Die Silberreiher habe ich wohl vertrieben. Zwei Kraniche mitten auf einer Wiese schreien als würden sie abgewürgt, erheben sich erst spät, aber so niedrig vor dem Hintergrund der Bäume, dass sie sich trotz Nähe für ein Bild nicht deutlich genug abheben.

Gefallen
Gränert
Gesperrt
Naturschutzgebiet
Drehwuchs
Drehwuchs
Brettwurzel der Ulme
Brettwurzel der Ulme

Über den Hechtgraben geht es ein Stück zivilisiert bis zur Mündung der Buckau in den Breitlingsee. Jetzt gibt es die Wahl: weiter betoniert, wegelos die Schienen überqueren oder unter der Brücke hindurch. Ob es am Ufer der Buckau überhaupt weiter geht, ist fraglich – ein Blick über den Bahndamm und dann natürlich gleich auch drüber…

Eisenbahnbrücke über die Buckau
Eisenbahnbrücke über die Buckau
Hinter dem Schilf die Mündung der Buckau
Hinter dem Gebüsch die Mündung der Buckau
Buckau
Mehrmals unpassierbar
Buckau
Buckau-Mäander
Grabenmündung in die Buckau
Grabenmündung in die Buckau
Buckau
Buckau, Blick aufwärts

Ich wusste es: die Buckau ist ein naturbelassenes Flüsschen wie ich es liebe. Das Wasser strömt flott und hoch bis an die Kante des Uferpfades. Nichts ist freigeschnitten von den letzten Stürmen.

Buckau

Aus den zwanziger Jahren gibt es ***Berichte von Befahrung mit Kajak; inzwischen ist dieser Abschnitt der Buckau dafür gesperrt.
Der Gedanke tut weh: nicht viel weiter westlich quält sich die Plane kanalisiert durch ihre seither eintönige Umgebung. Sicher, erst die Entwässerung hat in diesen sumpfigen und moorigen Gebieten die Ansiedlung (Deutsche vs. slawische Heveller) möglich gemacht. Längst wäre der Rückbau solcher mittlerweile Sünden fällig – es bietet sich an als Ausgleich für Windkraftanlagen. Den Landschaftsschändern fällt halbherzig vom Schreibtisch aus jedoch nur unaufwändig Naheliegendes ein, gern eine schnurgerade Hecke…

Hohenzollern-Denkmal
Hohenzollern-Denkmal
Buckau-Brücke über die Magdeburger Heerstraße
Brücke über die Magdeburger Heerstraße
Zum Diebesgrund
Zum Diebesgrund?
Steil hinunter zum Habakuk
Steil hinunter zum Habakuk
Im Dunkel verborgen
…im Dunkel verborgen
Bei Habakuk
Räuberrot leuchtend und lockend
Bei Habakuk
und gevierteilt
Bei Habakuk
Am Ende aber aufgespießt

Wo der Magdeburger Heerweg die Buckau kreuzt, geht es schräg hinein wieder in den Gränert. Moore Bäche, Hügel, Hänge, Laubmischwald und der Diebesgrund, das Versteck vom Habakuk. Bis auf kurze Strecken alles wegelos, wahrscheinlich ist auch wegen des Schnees nichts zu erkennen. Nur der nicht sehr einladende, rings um den Gränert führende Hauptweg ist beräumt.

An der Spitze von Gränertweg und Heerstraße steht eine kleine Natursteinpyramide – der alte Quitzow würde sich im Grabe rumdrehn: von hier aus haben die Hohenzollern Brandenburg übernommen, erobert, zivilisiert oder weiß der Geier was – bitte das Problem mit ****Fontane erörtern…

Die Silberquelle war trotz der Geradlinigkeit des Wegweisers nicht zu finden – immerhin soll sie in Stein eingefasst sein. Der bezeichnete Weg führt forstmäßig breit zum Gränertweg und biegt einzig zwei Mal dorthin ab – das kenne ich von meiner ersten Suche. Der Wegweiser muss verdreht sein, obwohl der Pfahl fest wirkt. Nun gut, ohnehin soll die Quelle nicht mehr Wasser geschweige denn Silber sprudeln.

Adios Habakuk sagt da die Räuberbraut!


*HIER ist meine erste Wanderung im Gränert verlinkt.

Und bitte dran denken: die Fotos können mit Klick qualitätvoller in neuem Fenster geöffnet werden!

**Die Flatterulme (Ulmus laevis) ist die einzige Baumart Mitteleuropas, die Brettwurzeln ausbilden kann.

***Friedrich Eduard Keller (1859-1929), Autor des ersten deutschen Wassersportführers. Die alten Schilderungen locken immer mit ihrer Begeisterung. Sogar für’s wilde Fußwandern sind sie genau und durchaus ergiebig. Nur die im Oberlauf mäandernde Plane bin ich bereits mehrmals gewandert – für diesen Blog vorerst nicht noch einmal, aber ein Bild-Link als Beweis.

****Fontane zum Problem der Geschichtsschreibung, speziell der Quitzowzeit

Erst nach der Tour erfahre ich: im Gränert wurde lt. MAZ vom 7.2.2017 ein Wolf gesichtet und andere Wolfsgebiete sind nicht weit…

Baruther Nebelzauber

10.1.2018 im Nebel durch den Baruther Schlosspark, ohne Karte über Pechhüttner Weg in Richtung Wildpark bis Klasdorf: 4 Stunden, ca. 15km

Wald bei Baruth
 

Viel ist nicht zu berichten. Es sollte ein geradliniges Trainingswandern bis Luckenwalde werden. Die Wanderkarte habe ich wie immer genau zu diesem Gebiet nicht gefunden (dafür die Klinkenmühle, nach der ich vergeblich für die Silvesternacht gekramt hatte); und immer schneiden die Karten dort ab, wohin es gehen soll…

In Baruth wie in Berlin dichter Nebel. Direkt vom Bahnhof aus führen zwei Alleen auf das Baruther Schloss zu, die zweite ursprünglich vom privaten Bahnsteig zu diesem Schloss der Familie von Solms. Ich verliere mich in der Schönheit des Hochgräflichen Schlossgartens, 1838 nach Plänen von Peter Joseph Lenné als Landschaftspark entlang der Stadtkante angelegt.
Es kann kein besseres Licht geben als es der heutige Nebel und die kalte, weiße Sonne durch die Bäume streuen. So bin ich hier länger als gedacht. Weit und breit niemand sonst.
Es ist zu spüren: dieser uralte Baumbestand kann nicht mehr lange in seiner Pracht überdauern.
Die Parkanlage soll so gut wie in ihrem ursprünglichen Zustand erhalten sein, aber kein Sommer könnte das alles so zauberhaft zeigen. Auf dem Teich liegt eine dünne Eisschicht.

...im Nebelweiß
…im Nebelweiß
Baruther-Nebelzauber
Das weiße Licht der Sonne
Baruther-Nebelzauber
Vergeblichkeit
Baruther-Nebelzauber 3
Grabmal, Mahnmal, Naturmal
Baruther Nebelzauber
Das Ferne im Nebel
Das Vergehen
Gar nicht so unsichtbar wirkt die Zeit
Baruther Schlosspark, erstes Eis auf dem Teich, 10.1.2018
Frühlingsgaukel über dem Eis
Baruther Nebelzauber
Baruther Nebelzauber

Ein Wanderzeichen weist Richtung Kirche: siehe da, auf der langen Straße ganz unscheinbar, wie in alten Zeiten direkt nebeneinander, zwei Läden: ein Bäcker und ein “Landfleischer”. Das klingt gut, auch wenn ich kaum dran glauben kann. Doch es duftet verführerisch und die Auswahl wird mir schwer gemacht. Also eine Boulette und ein Stück Knackwurst. Was soll ich sagen: die Knackwurst war bestens. Aber die Boulette…! Ich habe mit mir schon beim ersten Bissen gerungen: gehe ich noch einmal zurück? Zweiter Bissen: ich sollte zurück gehen. Dritter Bissen. Wenn ich jetzt zurück ginge, würde ich noch 3 kaufen und alle sofort auffressen (und könnte gar nicht mehr wandern)… Es bleibt das Schlüsselerlebnis des Tages (ohne Foto): LANDFLEISCHEREI LEHMANN: MERKEN!

Ungern muss ich noch ein Stück durch die Stadt. Es brettern Schwerlaster mitten hindurch. Hinter dem Bahnhof Baruth liegt ein ausgedehntes Industriegebiet u.a. mit Holzverwertung; der Kiefernwald ringsum ist Nutzwald. Den habe ich aus dem Sommer unerträglich trocken und heiß in Erinnerung und auf eben dieser Seite um das Museumsdorf Glashütte trotzdem voller Mücken.

Sonnennebel
Sonnennebel
Nutzwald
Nutzwald
Richtung Pechhüttnerweg
Richtung Pechhüttnerweg
Wald bei Baruth
Laubbaum im Kiefernwald
Kambrium
Kambium
Das erste Eis
Jugendstilornament

Jetzt ist der Waldboden feucht und satt grün. Die Sonne zaubert im weißen Nebel immer neue Bilder. Ich entscheide mich für eine kleine Runde – die hätte nach zwei Stunden kreuz und quer schief gehen können. Eine glückliche Eingebung führt mich zurück aus dem Wald zu den wenigen Häusern am Pechhüttner Weg, parallel zum Wildpark. Die Zeit reicht nicht mehr für einen ausgedehnten Wildparkspaziergang, für ein knappes Stündchen wär es zu teuer. Ich genieße den weiten Blick über die Koppeln und den schon wieder stärker aufkommenden Nebel. Alles bestens…

Abend an der Koppel

Die Fotos sind mit Klick zu vergrößern

Weidmannsruh & Weidmannsheil

6. Januar 2018, von Oehna nach Weidmannsruh zum Neujahrskonzert mit den Jagdhornbläsern aus Langenlipsdorf und der Feuerwehr von Gölsdorf

Die Lipsdorfer Jagdhornbläser, 6.1.2018
Die Langenlipsdorfer Jagdhornbläser, 6.1.2018

Die Tristesse eines Berliner Morgens, die kalte Verlassenheit im Potsdamer-Platz-Bahnhof, in Oehna* das “Mordhaus” unendlich trauriger schon wieder als im Sommer, dann der Fläming-Skate durchs platte Land: hier beklagten sich einst Schweizer Radler über die Ödnis der Landschaft – ich konnte nur auf den Hohen Fläming verweisen.
Weidmannsruh aber kann ich diesmal nicht verfehlen, der weithin sichtbare Sendemast ist Ziel.

Rainfarn gegen Mücken
Später Rainfarn (gut gegen Mücken)
Die Natur wehrt sich, Fläming-Skate-Belag
Fläming-Skate: die Natur wehrt sich
Felder, Felder, Felder
Eintönige Weite: an russische Filme denken…
Oehna Richtung Weidmannsruh
Oehna Richtung Weidmannsruh
Der Sendemast von Weidmansruh
Der Sendemast von Weidmannsruh
Irgendwie doch noch russisch
…oder alles jenseits von Nahrungsmitteln?

Früher Sperrgebiet: die Russen… Voller Wild soll der Wald noch von daher stecken. Vor mir traben zwei Tiere – die Größe von Wölfen, ich denke: zu niedrig für Rotwild, für Wildschweine zu schlank und hochbeinig. Wer weiß – so ohne Brille… Die Dächer von Weidmannsruh schimmern bereits durch die Bäume, ich fühle mich sicher. Und bis 14 Uhr ist massig Zeit. Also den Wildpfad entlang. Spuren: weder Wolf noch Schwein. Überall sich kreuzende Pfade. Hier müssen gewöhnlich große Rudel stehen: zahllos die niedergedrückten Graslager und aufgewühlte, runde Plätze…

Die Spuren im Gras
Kreuzung
Spuren-Recherche
Spuren-Recherche
Lager des Rotwildes
Unter Dornen
Lagerfläche
Die Lagerflächen sind von beachtlicher Größe
Scharfe Spuren im Sand
Messerscharfe Spuren im Sand
Geweihstange eines Losers
Bruchstange: ein junger Loser…

Dann umkreise ich das ehemalige Gut Weidmannsruh. Mehr Häuser als ich dachte, einiges verfallen. Bienen werden gehalten und zwei große Hunde. Ringsum Anpflanzungen von Buchen und Eichen – die flächendeckende Kiefer-Monokultur wird also umgebaut. Wie es aussieht als Nutzwald für die Jagd…

Die Spuren am Fuchsbau
Die Spuren am Bau
Fuchsbau mit Spuren
Fuchsbau
Zaunrest des kalten Krieges
Zaunrest des kalten Krieges
Junge Buchen im Schutz gegen das Rotwild
Buchen mit Schutzzaun gegen Rotwild
Eiche, schon ohne Einzelschutz
…ein Neophyt mit dicken, fetten Eicheln
Laub der Roteiche
Die Roteiche

Im Wald, an den Feldrändern – ein Ansitz am anderen. WeidmannsRUH dürfte selten herrschen. Ich denke an Hirschschinken (ja, ja, nur der von Aldi) und bin’s zufrieden …ein bissel essbares Wild wär jetzt ganz passend.

Ansitz Richtung Mark Zwuschen
Hochsitz Richtung Mark Zwuschen
Ansitz unter Lärchen
Ansitz unter Lärchen
Ansitz mit Salzlecke
Hochsitz mit Salzlecke
Salzlecke am ehemaligen Gutshaus
Salzlecke am ehemaligen Gutshaus

Durch den Wald kommt eine Schar Sachsen-Anhaltiner mit Kind und Kegel zu den brandenburgischen Nachbarn gezogen.
In Weidmannsruh ist das Bier längst eingetroffen, die Bratwürste (echt Thüringer Qualität – falls ich überhaupt einen Vergleich wagen sollte) sind bereits knusperbraun. Hühnersuppe gibt es – vermutlich von glücklichen Hühnern. Das Feuer braucht noch, aber die Jagdhörner sind zu hören und nicht zu überhören.

Das Schüren des Feuers
Das Schüren des Feuers
Aus Richtung Sachsen-Anhalt
Aus Richtung Sachsen-Anhalt
Parforce-Jagdhorn
Parforce-Jagdhorn
Jagdhorn
Zünftig

Etwas mehr applaudierenden Beifall könnten die Dörfer dem Konzert zollen. Wissen alle, was für ein verbindendes Ausnahme-Zusammensein so ein Neujahrstreffen heutzutage ist? Aus Zellendorf wird mir vom dortigen Weihnachtsbaumverbrennen erzählt – das ist bereits abgesagt…

Die Gölsdorfer Feuerwehr bringt mit einigem Aufwand den Holzstapel zum Lodern, die Flammen züngeln hoch: ein riesiger, dreidimesionaler, feuriger Raum öffnet sich dem Blick.
Für längeres Bleiben wird mir als Abfahrtsort Niedergörsdorf empfohlen. Weiter als bis Oehna ist es.

Beste Qualität
…allerbeste Qualität (mit Klick zu mehr)
Ohne Wurst nur für Minis
Ohne Wurst für Minis
Loderndes Feuer
Es lodert!
Feuerwehr von Gölsdorf
Die Feuerwehr von Gölsdorf in Aktion

Oh oh: leider schnurgerade Straße. Ein Auto hält: es gibt keinen Grund, diese Eintönigkeit per pedes auszukosten, ich steige erleichtert ein. Gölsdorf, ein wunderschönes Straßendorf hätte ich freilich gern in Ruhe angesehen. Der Leader der Jagdhornbläser drückt aufs Gas. Das Auto rast. Den Sinn verstehe ich erst als ich schon den Zug nahen sehe. Bahnsteig entlang, Treppe runter, Tunnel durch, Treppe hoch – ein freundliches Lachen begrüßt mich: geschafft! So sind sie im Fläming zu Fremden.

Die Bilder können mit Klick vergrößert werden.
*dazu auch: → 2017 auf der Suche nach Weidmannsruh

Im Zootzen und Bruch

6.Dezember 2017
Auf den Spuren von Karl May im Friesacker Zootzen und Bruch

Landstraße von Friesack in den Zootzen
Landstraße von Friesack in den Zootzen

Der Straße von Friesack in den → Zootzen ist nur mit Gedanken an den phantasiereichen Karl May etwas abzugewinnen. Immerhin hält ein Auto mit dem Angebot „wohin“, was bei der absehbaren Länge eine Gelegenheit bedeutet. Aber ich will → Karl May, Suteminn und Dietrich von Quitzow folgen, auch wenn der Weg jeder Gefahr entbehrt.

Alter Rhin
Schon nach dem Kanal, am alten Rhin, werde ich belohnt.
Dürer-Landschaft, 6.12. 2017
Es wird mittelalterlich wie auf einer Dürer-Landschaft, 6.12. 2017

Der Zootzen ist – glücklicherweise ohne die von Karl May aufgezählten Biester – genau so wie beschrieben. Zwar sollen die Wege nicht verlassen werden und sind in einfachster Weise kartiert, die Realität der diesjährigen Oktoberstürme ist darüber hinweggefegt. Bis auf Ausnahmen ist es ein relativ junger Wald, trotz allem: hier ist derzeit Urwalddickicht.

Friesacker Zootzen, 6.12.2017
Friesacker Zootzen, 6.12.2017
Der Friesacker Zootzen
Karl May selbst war im Friesacker Zootzen sicher so wenig wie an den Orten seiner anderen Abenteuer

Wege sind streckenweise nicht mehr auszumachen. Ringsum knarren und knarzen einzelne Bäume für mich unangenehm zwischen diesen umgeworfenen Stämmen. Mehr Karl May werde ich im Zootzen niemals wieder finden. Von meinen Fotos ist allerdings kein einziges Panorama gelungen.

Baumkronen auf den Wegen
Undurchdringlich: Baumkronen auf den Wegen

Die Schwedenschanze aus dem Dreißigjährigen Krieg an der Straße zwischen Friesacker und Klessener Zootzen, einen altslawischen Burgwall und eine slawische Fluchtburg, beide aus dem 9. Jahrhundert, verfehle ich: von ausgeschilderten Wanderwegen ist wohl kein Baum mehr erhalten.

Umgestürzte Bäume
Die Lust auf einen Weihnachtsbaum ist mir angsichts der umgestürzten Bäume vergangen

Eine kurze Wanderung über den Bruchboden“ gehe ich ebenfalls à la Karl May, wenn auch nicht in Richtung Dechow, sondern zurück über Kressener Zootzen wieder zum Bahnhof Friesack. „Kein Problem, alles Plattenweg“, klärt mich ein Dorfbewohner angesichts meiner Gummistiefel auf. Platte und auch sonst schutzlos platt: ein starker Westwind orgelt mich an.

Fliederhorst

Die Platten führen schließlich zur Straße, die ich hinzu parallel gegangen war. Das muss nicht sein, geradeaus geht der Weg ebenfalls – bis zum Bahndamm und eine Schneise durch eine unglaubliche Müllkippe zum letzten Haus am Bahndamm. Zwei seltene Enten im Stall, ein wilder Hund und etwas graue (offensichtlich ökologisch korrekt) Wäsche auf der Leine. Ich kann mich durchs Gebüsch drücken – so wie bei Karl May beschrieben: „…da das dicht verschlungene Gewirr der Gesträuche der unerbittlichen Kälte hatte weichen müssen.“ Ich lande wegelos vor der Bullenweide. „Lebensgefahr“ las ich vorhin, das Gatter war aber offen. Nix wie durch zur Straße in der Ferne und im steten Wechsel von Grasbüschel und tiefem Schlammloch. Tief meint stiefeltief oder knietief, ca. 40 cm exakt ausgemessen: Ich stecke im Sumpf mit einem Stiefel und leichter Panik fest. Die ist berechtigt, denn Bruch ist nur die veraltete Bezeichnung für → Gleye mit vielleicht bis zu 80 cm Tiefe.

Fußabdruck im Bruch
Fußabdruck im Bruch

Vor mir springen graubraune Haufen (weniger panisch als ich) wie schneeweiße Blumen davon. Meine Augen sind nicht mehr für die Jagd geeignet. Immerhin sage ich mir: wo diese Blumen durchkommen, komme auch ich durch; einen Ausgang können die Gräben von mehr als 2 m Breite nicht gänzlich versperren. So ist es.
Den Rest des Tages rutsche ich freilich in meinem Stiefel in schlabbriger Schlammsuppe herum: über den Bruch sollte man auch heutzutage nur bei hart gefrorenem Boden gehen.

Trügerische Weide
Trügerische Weide

Den Zug habe ich knapp verpasst. Friesack anzusehen, ist nicht zu schaffen. Bis zum Mühlenberg, von wo aus die „faule Grete“ 1414 die Burg der Quitzows in Schutt und Asche geschossen hat, sind es 3,5 km. Die → Burg lag vom Bahnhof aus gleich rechter Hand auf einem heute mit einigen alten Bäumen bestandenen, weder als Berg noch als Burg erkennbarem Hügel.

Bahnhof Friesack, 6.12.2017
Bahnhof Friesack, 6.12.2017

Der griesegraue Himmel wird dunkler. Ich vertreibe mir die Zeit so wie die Zeit hier alles ins Nutzlose vertrieben hat. Ein Hund verbellt mich von einem anscheinend noch bewohnten Haus am Bahnhof im Nirgendwo. Bellende Hunde gibt es auf all diesen verlassen wirkenden Gehöften. Die Leute sind zur Arbeit außerhalb, zu den anderen kommt der Pflegedienst. Der Mann in Kressener Zootzen erklärte es mir mit leichter Alkoholfahne, nicht betrunken, aber genau so wie hier wohl viele den Tag zu überstehen versuchen. Ich glaube das Land von Erzählungen meiner Großmutter noch anders zu kennen. Die märkische Sprache aber ist unverkennbar die gleiche – klangvoll im Vergleich zur polternden thüringischen und dort als fremd ausgegrenzt. So klein war die Welt einmal. Auf solchem Bahnhof ist sie mir gänzlich abhanden gekommen. Ich tauche mit → Karl May ab.

Nüchtern betrachtet: der Gränert

28.11.2017, durch den Gränert bei Kirchmöser
3 1/2 Stunden, ca. 10 Kilometer quer (meist bin ich schnell, also weiter – schwierig messbar)

Blick zum Großen Wusterwitzer See
Blick zum Großen Wusterwitzer See

Viele Wünsch-dir-was in einem noch nie gewanderten Gebiet: die Mündung der Plane, die Mündung Verlorenwasser, die Mündung der Buckau. Alles für den heutigen Tag zu weit entfernt. Am Horizont müsste der Wald um Ziesar zu sehen sein. Von dort aus wurde Brandenburg befriedet, wurden die Quitzows besiegt. Die Heerstraße Brandenburg – Magdeburg wollte ich ansehen, aber die scheint es nicht wie die Bernauer zu lohnen.

Weg von Westen Richtung Gränert
Weg von Westen Richtung Gränert

Ich komme von Westen, auf einem überwucherten, dammartigen Weg von sparrigem Obstbaumbruch gesäumt, teilweise ein Feldweg, ein Pfad, stellenweise mit Beton ausgegossen, die frühere Nutzung ist unklar. Auf dem Feld kreischen einige versprengte Kraniche. Vom Zug aus waren bei Krielow ganze Felder besetzt. Am Waldrand vom Gränert eine Einzäunung, den Betonweg im Wald versuche ich zu meiden, ohne die Richtung zu verlieren. Das kostet Zeit.

Der Gränert urig
Der Gränert urig

Immer wieder Senken, stellenweise alter Baumbestand. Die Sonne wärmt: ein guter Pilzwald. Immerhin noch drei Maronen landen am Abend in meiner Pfanne. Unterwegs ein Kirchmöser auf dem Rad. Seine Wegbeschreibung zum Habakuk* begreife ich nicht und die Silberquelle soll kein Wasser mehr führen. Und ja, die Maronen sind alle schon madig (bis auf meine 3) und Pfifferlinge waren die letzten an Stellen wo sonst niemand hinkommt. Ach ja, ins Moor sollte ich besser auch nicht und im Ernstfall anrufen. ??? Die 112. Traut er mir alles oder nichts zu?

Geheimnisvoller Wegweiser, © Karla Brandler
Nüchtern bleiben!

Also bis zur Heerstraße. Nach meiner Karte könnte es schon die Mahlenziener sein. Ins Naturschutzgebiet gehe ich nicht mehr. Der Sinn von “Wo sonst niemand hinkommt” erschließt sich: Das Naturschutzgebiet wirkt zumindest an den Rändern der Straße von Zivilisationsabfall belastet. Bis dahin kommt “man”. Ich bin bereits über zwei Stunden unterwegs und hab kein Gefühl, wie weit der Rückweg sein wird.

Hexenwacht
Hexenwacht im Sonnenlicht

Kurz vor Kirchmöser stoße ich auf dieses schon auf der Karte ominöse, natürlich verbarrikadierte Gelände: Vorsicht Hunde. Es regt sich nichts. Hier wäre der gerade, wegelose Weg Richtung Kirchmöser. Fatal, die Hunde sind aufgewacht. Das klingt nicht gut. Mit noch weniger Weg also durch zur Straße Richtung Bahndamm und See.

Bewachte Hinterlassenschaft
Bewachte Hinterlassenschaft

Ein letztes Stück dort im Wald hindurch gestolpert: eine Frau verschwindet über die Schienen auf die Seeseite. Nein, ich nicht: da braust der RE1 durch, dem bin ich schon einmal leichtsinnig bei Werder von der Schienenschippe gesprungen.
Meinen Zug kurz vor 14h erreiche ich knapp.

Nur unter Lebensgefahr zum Moeserschen See
Nur unter Lebensgefahr zum Moeserschen See

*Gebrüder Grimm, Der Räuberbräutigam – das heimliche Lieblingsmärchen meiner Kindheit, eine ausgeschmückte Variante zur Sage vom Räuberhauptmann Habakuk Schmauch aus dem Gränert. Heimlich: dass solcher Lustgewinn nicht zur Kindheits-Vorstellungswelt der Erwachsenen passt, weiß ein Kind.
Später: Vorsicht vor solchen abartigen Omas!

Ergänzung: Die Wanderung habe ich am 17.1.2018 im NSG Gränert fortgesetzt.

Richtung Grenzbaude und Bergwaldprojekt

Von Bad Schandau nach Kleingießhübel Forstmühle zum BERGWALDPROJEKT
15. – 21. Oktober 2017 im Sachsenforst Sächsische Schweiz

Elbe bei Bad Schandau
Elbe bei Bad Schandau

Von Bad Schandau linkselbisch (von der Fließrichtung aus gesehen) erst einmal Straße Richtung Krippen, später rechts durch einen Fußgängertunnel. Im Bergwald verläuft ein Weg parallel zu Ort und Elbe bis…

Unverhofftes Ende eines echten Weges
Unverhofftes Ende eines echten Weges oberhalb von Krippen

…bis der Weg einfach in Gestrüpp und merkwürdigen Anpflanzungen endet: eine Barrikade von denen, die in Hanglage nicht gestört sein wollen. Ich ziehe mich jappsend von Baum zu Baum einen 90′ Berghang hoch. Hier geht es parallel weiter.

Mutige Entscheidung in die richtige Richtung
Mutige Entscheidung in die richtige Richtung

Den ganzen Weg entlang versperrt im Hintergrund eine Felswand die Luftlinie meiner eigentlichen Richtung. Endlich biegt rechtwinklig etwas Gangbares ab. Ich wage mich in den dunklen, tief liegenden Pfad. Das könnte schief gehen; so nah am Einstiegsort hatte ich noch nicht mit Orientierungsproblemen gerechnet.

Felswand mit Nisthöhle irgendwo
Felswand mit Nisthöhle irgendwo

Na prima: vor mir die Felswand. Zwei, drei Meter stehe ich davor. Aus dem Fels fliegt tief schwebend ein großer, braunweiß gefiederter Eulenvogel direkt an mir vorbei ins dunkle Dickicht. So nah, dass ich die Flügelspannweite nicht abschätzen kann. Wie bei den Hirschen in der Glücksburger Heide: der Überraschungseffekt ist zu groß, um etwas Genaues zum Bestimmen zu registrieren. Nein, ein Flattern war nicht zu hören. Nach links knickt aber die Wand ab, es gibt eine Spalte ins Helle.

Das Glück: ein offizieller Weg
Das Glück: ein offizieller Weg

Dahinter lande ich auf echtem Wanderweg (TK14 TK17 TK19) und Rundweg Richtung Kellerfels.
Beunruhigend rund…

Waldrand und Dorf und Sicht
Waldrand und Dorf in Sicht

Dann doch ein Waldrand mit Abzweig wieder in meine Richtung. Die Erde ist auch hier draußen trocken – zum Glück. Die Bauern nämlich überpflügen wie die in Brandenburg alle Wege. Die beiden Solitär-Berge könnten lt. Karte Papststein und dahinter der Gohrisch sein. Aber das Dorf?

Pferd bedeutet Orientierung
Pferd bedeutet Menschennähe

Die Häuser sind wie ausgestorben. Ich klopfe an ein Fenster. Zu spät die Geräusche. Das war eine Störung in der Stille eines beonderen Örtchens. Trotzdem: der Mann erbarmt sich nach dem erbetenen Wartemoment: “Kleinhennersdorf”. Na gut, das war ein Umweg.

Abwärts am Bach
Abwärts am Bach und sogar ein Kajak unterm Dach

Richtung Koppelsdorf am Bach entlang. Ein Kajak unterm Dach weckt Sympathien zu diesen Bergbewohnern. Ich grübele über die Möglichkeiten von echtem Wildwasser. Man scheint seit Generationen die Sintflut berechnet zu haben: das Haus liegt hoch am Hang.

Bach am Malerweg
Der Bach am Malerweg

Ein Schild “Malerweg”: mit dem hatte ich nicht gerechnet. Ein einsamer Wanderer kommt mir entgegen – es bleibt der einzige auf meinem Weg.

Aussicht
Aussicht

Hier hoch hatte ich von Kleinhennersdorf abkürzen wollen. Das wäre aber lt. Aussage des Einheimischen wegelos gewesen. Noch weniger bin ich auf Stierkampf aus…

Noch schönere Aussicht
Noch schönere Aussicht

Es gibt ab Koppelsdorf nur Straße. Vom Berg aus am Horizont wieder ganz charakteristische Felsgruppen. Ein torartiger Elbedurchbruch? Um die Karte zu studieren, ist der Zeitdruck zu groß. Später: die Schrammsteine! Links der einzeln stehende Falkenstein.

Goldener Oktober 2017
Goldener Oktober 2017

Die Straße teilt sich, ein Auto fährt nach rechts. Der Wegweiser zielt nur geradeaus auf ERNA, das Ferienlager mit stetem Namenswechsel je nach politischem System. ERNA und drei allein stehende Wohnhäuser erweisen sich als weiträumige Mausefalle ohne zweiten Ausgang.

Quer drüber der Weg
Quer drüber der Weg

Umwegig kreisend also zum Abstieg Richtung Rölligmühle. Immerhin ein Weg wie der Wanderer ihn sich hier in den Bergen wünscht: steil und steinig, verwurzelt, nur pfadbreit. Ein Bach ist zu überqueren.

Noch ist der Weg unter dem Laub zu erkennen
Noch ist der Weg unter dem Laub zu erkennen
An der Rölligmühle
An der Rölligmühle
Hoffnungslos nicht mehr erreichbar
Hoffnungslos nicht mehr erreichbar

Angekommen in Kleingießhübel nehme ich nun nicht mehr Karte oder Bergwaldanschreiben aus dem Rucksack. Ich biege unsicher zum Dorf ab. Einige Gehirnzellen senden Alarm: Forstmühle Forstmühle. Zurück und rechts hoch. An der Forstmühle stehen Kurort-Touris. Der Bus muss gleich kommen. Aus welcher Richtung weiß niemand. Ein Bergwald-Auto ist nicht zu sehen. Also weiter zur Wendeschleife. Die Straße schleift und schleift. Kurz vor Parkplatz am Oberen Buchweg (der müsste irgendwie Richtung Grenzbaude gehen) steigt jemand mit Rucksack aus dem Auto. Hechel, hechel: ich ahne, das ist der letzte Mensch in Richtung Nirgendwo. Die Rettung schreitet forsch auf mich zu: “Bergwaldprojekt? Stefan.” Mit dem bin ich sicher, das ist zu spüren. Also wieder zurück, um den unendlich schnurgeraden Forstweg bis zur Grenzbaude ab Forstmühle fahren zu dürfen…

Wegweiser zu den Bauden
Wegweiser zur Grenzbaude

Bergwaldprojekt → Fortsetzung