Wda abwärts

19. – 28.Juli 2018
Erfahrungsbericht einer Wanderreise zu Wasser und zu Land
mit dem Wandersportverein Rotation Berlin e.V., Leitung Eckhard Knauer

Von Berlin nach Borsk/Polen

Das Gepäck von 12 Personen
Szczecin: das Gepäck von 12 Personen

Anreise mit Regionalzügen über Szczecin (Umsteigebahnhof), Piła, Chojnice (Umsteigebahnhof) nach Czersk. Graue Wolken, leichter Regen nach langer Hitzeperiode. Wälder, Wälder, Wälder. Von den wenigen, kleinen Stationen scheinen die meisten auf diversen Sandwegen ins Nirwana zu führen.

Bahnhof Pila
Bahnhof Pila, mehrgleisig – Unterbrechung im Rhythmus lange vergessener Töne: ta-tam-ta ta-tàm-tata. Schneller: ta-bomm tata ta-bomm tata rumm.

Bevor wir unsere vorjährig befahrene Brda (Brahe) überqueren, erschreckt die Wirkung eines Tornados. 2017 im Juli/August fegten schwere Unwetter über die Wojewodschaft Großpolen: weite Flächen Wald vernichtet. Sichtlich knickte nur die Kiefern-Monokultur wie Streichhölzer weg. Ab und zu reckt ein gezauster Laubbaum warnend seine gebrochenen Äste in den Himmel: wir brauchen in Zeiten des Klimawandels anderen Wald!

Folgen eines Tornados 2017
Folgen eines Tornados 2017, aber ohnehin gibt es jetzt vor allem unendliche Felder
Überqueren der Brda
Allerbeste Erinnerung: die Brda – leider nur vom Zug aus gesehen

Von Czersk nach Borsk mit den Autos vom Kajakverleih aus Swornegacie – der bewährte vom vergangenen Jahr, nicht ortskundig – dafür gibt es zu zahlreich die Kajakangebote an diesen Flüssen und Seen. Wir landen im Wüsten. Das nervige Zeitproblem hat der Kajakverleih. Wir haben einen relaxten Wanderführer mit Garmin: da ist er, ein kleiner, umzäunter Campingplatz von bewährt polnischer Qualität mit Ausblick auf Reitbahn und Pferde.
Unsere Flotte wird abgeworfen: 2 Einerkajaks und 5 Zweierkajaks.

Borsk an der Wda
Borsk. Wer aufmerksam guckt, sieht am Gesichtsausdruck: mit ständigem Essen wird diese Reise für mich kein Highlight… © W. Pagel

Die Wda (Schwarzwasser) hat das sogenannte kaschubische große Wasser (zuletzt den See Wdzydze) durchflossen. Vor uns liegen bis Tleń ca. 111 Kilometer. Die genaue Kilometerzahl wird sich nach fahrtechnischen Eigenheiten geringfügig unterscheiden: ob die Mäander des Flusses voll ausgefahren oder quer geschnitten werden etc. Der Oberlauf der Wda wäre spannend, aber ist wohl wegen der Schwierigkeit prinzipiell den Einerkajaks vorbehalten.
Am Campingplatz Borsk rauscht das Wasser der Wda etwas zu gleichmäßig abgehackt durch die Mini-Schleuse, um in ruhigen Schlaf zu wiegen.

 

Fr. 20.07. Gelandet am Jezioro Wieckie

Wda, Borsk
Der Anfang in Borsk / Wda, Einsetzen der Boote

Nach einigen Mäandern gabelt die Wda zur Wässerung von angelegten Wiesen in einen Kanal. Rechts über ein Wehr fließt sie als schmaler, malerischer Altarm. Die kleine Bucht gibt gute Möglichkeiten nach dem Umtragen einzusetzen. Der Schwall vom Wehr und die angesagten Stromschnellen tragen leicht über gar nicht sichtbare Steine.
Der Fluss mäandert durch Wiesenlandschaft und zieht auch nicht paddelnde Boote mit sich.

Wda, unter einer Brücke
…ganz egal wie…

Eine niedrige Brücke – es geht sogar quer hindurch. Aber etwas stimmt nicht. Lächerliche 10 Kilometer bis Miedźno, dahinter auf der rechten Fluss-Seite das archäologische Reservat Kamienne Kręgi, ein Kultort mit mehreren Steinkreisen und Hügelgräbern: größtes Gelände seiner Art in Polen und zweitgrößtes in Europa. Unmerklich sind wir vorbei geschippert. Der flotte Fluss und die versteckten Landeplätze verlangen Äugen und anders als vorgezeichnet ein flexibles Reagieren. Wir landen ohne Anstrengung im Dorf Wojtal Richtung Odry.
Was nun? Übererfüllter Plan. Folgsames Volk.

Odry. Wda, hinter dem Mühlenwehr, © W. Pagel
Odry. Umtragen am Mühlenwehr. © W. Pagel

Irgendeine Bar frißt Zeit. Am Mühlenwehr muss über die Straße umgetragen werden. Die Wda wird durch kaum sichtbare Zuflüsse breiter und tiefer. Tapfer wird gepaddelt. Zum Jezioro Wieckie zweigt ein kurzer Arm der Wda ab – nicht ganz durchgehend, aber das weiß man erst später. Ein lauschiges Plätzchen, Steg, Wasser, Toilette und Tisch gibt es mit polnischer Großzügigkeit gratis. Ich ernte Richtung See Augustäpfel und Maulbeeren. Der Tag hat noch immer ausreichend Stunden, um auch die waldige Seite des Sees zu besichtigen, den Einheimischen die mäßige Qualität ihrer Badestelle nicht zu neiden und einen Strauch Himbeeren leer zu futtern.

Himbeeren am Jezioro Wieckie
Himbeerrot und viele richtige Himbeeren am Jezioro Wieckie

Ich liege am schwarzen Fluss mit Blick in den Sternenhimmel – sicher beides einst Grenze zwischen der profanen und der sakralen Welt. Was treibt uns nur weiter mit so wenig demokratischen Absprachen: die Angst vorm Verhungern, Verdursten, vor zu viel Zufällen einer organisierten Wanderfahrt? Dreimal kräht zwar kein Hahn, aber dreimal gäbe es eine Chance, die kurze Route zu der Megalithanlage zu finden.

Schlafplatz Steg am Arm der Wda Richtung Jezioro Wieckie, © W. Pagel
Schlafplatz Steg in der Abendsonne, © W. Pagel

 

Sa. 21.07.  Schwarze Seele auf Schwarzwasser

Morgens ein Ausnahme-Geburtstagsständchen, dann das übliche Procedere: Kaffee, Müsli, packen, verstauen, Boote einsetzen: ab.

Passend zum Schwarzwasser...
Passend zum Schwarzwasser kleine Assecoires…

Die Sonne brennt und blendet. Direkt auf dem Wasser ist es gerade noch erträglich. Hopps, da sind wir schon in Czarna Woda am Rande der Tucheler Heide. Es waren ja nun noch weniger als die geplanten 12 km bis Wypożyczalnia Kajaków i Pole „Pod Świerkami“. Gepflegt, mit Kurortbeleuchtung am Brückenbogen über dem Teich. Die Frösche zahlreich, aber stumm.

Kein Quak: wer ständig Camping hat, möchte wohl mal Ruhe...
Auch nachts kein Quak: wer ständig Camping hat, möchte wohl mal Ruhe…

Entlang einer öden Straße schleppen wir uns in Mittagshitze zum Einkauf und dem feierlichen Anlass entsprechend zur Einkehr. Wer keine Scheu vor Landstraßenmotorkrach hat, findet → hier ein reiches Angebot leckerer, polnischer Speisen, sogar Kwas, ein ostslawisches Getränk, das durch Gärung aus Brot hergestellt wird. Nicht zu vergessen: reizende, junge Bedienung.

Den Stadtrundgang haben wir mit dem Blick auf den modernen Kirchenbau und das geschlossene Minimuseum „Die Natur der Tucheler Heide“ im Vorbeigehen absolviert. Irgendwo liegen die Moore hinter diesem Örtchen Schwarzwasser (Czarna Woda), die dem Fluss angeblich seine dunkle Farbe geben. Dort möchte wirklich niemand mehr hin. Und der Grund der Wda leuchtet trotzallem immer wieder gelb-rot und hell.

Der Mond - doch und doch nicht über der Tucheler Heide...
Der Mond – doch und doch nicht über der Tucheler Heide…

Aber ab morgen bitte wieder etwas Power!

 

So. 22.07.  Stille und Weite oder Sonntagslangeweile

Von Czarna Woda nach Czarne sind 16 km zu paddeln. Einst (?) eine sumpfige, unzugängliche und wirtschaftlich unattraktive Gegend. Kein Wunder: von Złe Mięso (Schlechtes Fleisch) erzählt man sich, wie Vorbeikommende abgefangen und zu Wurst verarbeitet wurden. Mit → ein paar schwarzen Erinnerungen kratze ich gegen das Gefühl einer Sonntagskaffee-kuchen- oder auch -computerlähmung an (auch wenn real nichts davon zumindest in meinem Gepäck ist).

Auf der Wda, copyright M. Kanitz
Auf der Wda so vor sich hintreiben…, copyright M. Kanitz

Kufiya

Die Wda ist breit geworden, die Strömung langsam. Trotzdem – oder gerade deshalb – schaffe ich es hier oder an anderer Pillepallestelle, meine selbst gebastelte Kufiya in ein Geäst zu hängen und in die genau dort einmal wirklich kohlschwarze Wda zu versenken. Schade.
Die Alternative wäre ein davon geschwommenes Paddel gewesen…
Jetzt ist die Alternative ein Schal.

Manchmal liegen am Uferrand die Steinbrocken als gehörten sie einst zu den uralten Hügelgräbern
Manchmal liegen am Ufer Steinbrocken als gehörten sie einst zu den uralten Hügelgräbern

Dann am Forstamt Czubek eine weitläufige, wunderschön gelegene Camping- und Ferienanlage mit FKK Angebot – in der Nähe allerdings wohl nicht, immerhin eine Seltenheit in Polen. Von hier ist es nicht mehr weit bis zum kleinen Wiesenplatz Czarne mit Imbissbude, völlig ausreichend, um glücklich zu sein.
Auffällig: Campingbetrieb ist hier an der Wda überall hervorgegangen aus einstigen Forsthäusern, vielleicht wird er auch nebenher betrieben.

Zeltplatz in Czarne an der Wda
Wohlfühl-Zeltplatz Pole Namiotowe Czarne – alles in guter Qualität und mit persönlicher Atmosphäre vorhanden
Im Hintergrund: sandig-sonnig geht es zum Gogolinek
Im Hintergrund: sandig-sonnig geht es zum Gogolinek

Ich habe Ermüdungserscheinungen, fühle mich nicht ausgelastet, trotzdem zu lustlos, um in der Hitze durch Feld und trockenen Kiefernwald zu wandern. Und wirklich entpuppt sich der Jezioro Gogolinek nach zwei Kilometern als ein pisswarmer Minisee – wenigstens einmal schwimmen, halb bekleidet unter Beobachtung von Ferienhaus-Urlaubern.

Übrigens: wenn wir gegen Mittag irgendwo anlanden, paddeln Polen bis zum Entfachen des Lagerfeuers immer noch einmal los. Natürlich: wir sind nicht als Romantiker für Abendstimmungen an die Wda gefahren, sondern als Sportler. Als was bitte?

 

Mo. 23.07. Lubichowo und motorisierte Gastlichkeit

Von Czarne aus paddeln wir ermüdend langsam …Młynsk – Mały Bukowiec – Osowo Leśne… nix davon wirklich auszumachen – ereignislose Landschaft. Bis ein Baum quer liegt. Nicht verzeichnet als Gefahrenstelle. Sieht moorig matschig aus, einfach nur blöd. Dem Himmel sei Dank: Ich suche erst einmal mein Smartphone für ein Foto, verpasse das entsetzte Einsinken bis über die Knie. DAS möchte niemand allein erleben. Wir legen das Schilf flach, um überhaupt Stand zu bekommen.
Dafür rutschen jetzt die Boote mit Sack und Pack wie Butter.

Moorig versinken an einem Hindernis in der Wda
Moorige Wda, im Wasser selbst sieht es sandig aus…
Rutschbahn in die Wda
Rutschbahn

Sind wir nun zwar geistig munter aber körperlich schlapp geworden? Linksseitig vor einer Straßenbrücke kraucht jedenfalls niemand die Treppe zu einem Denkmal hoch. Für Gedenksteine jenseits der Megalithkulturen gibt es in der Bory Tucholskie so gut wie nur zwei Anlässe: Kriegsereignisse 1944 oder den paddelnden Karol Wojtyła. Richtig: Papst Johannes Paul II; später noch einmal auf dem Zeltplatz – unleserlich, aber zumindest auf dem letzten Schliff des Steines zu ermitteln.

Denkmale an der Wda für Karol Wojtila
Die Denkmale für den hochverehrten Karol Wojtila

Nach 17 km: Młynki. Neben dem Forsthaus (natürlich wieder!) der Campingplatz. Sehr angenehm, mit Pferden, aber ohne Verpflegung. Zum Einkaufen führt Asphalt geradlinig nach Lubichowo. Meine ersten Erwerbungen abgesehen von Eis: Buttermilch, Räucherkäse, Brot.

Liebstes Essen - fast wie Oscypki
Liebstes Essen. Gleich noch einmal morgen in Wda gekauft – der Käse erinnert an die Oscypki der Goralen
Wege jenseits der Asphaltstraße von Lubichowo
Wege jenseits der Asphaltstraße von Lubichowo

Wann, wie, wo weiter? Es ist zu sehen: der Jezioro Lubichowskie wäre zu umrunden, zumindest ohne Weg. Fam. Pagels Garmin sagt nein. Technik nerv, nerv. Zum Baden reicht mir die Wasserqualität nicht, sowieso gibt es nur im Ort eine Textilbadestelle. Sinnlos warten – rund ist rund und der Tag lang. Der stille, schattige Uferweg endet im offenen, privaten Garten. Besser noch einmal fragen. In der Poliklinik werden alle verfügbaren Menschen von der Pförtnerin bis zu den Patienten und letztendlich vielleicht eine Ärztin mobilisiert. Aha, letztere gehört in besagtes Privathaus und weiß: nur noch die Kurve bis Stacja Lubichowo, ein verfallenes Backstein-Bahnhofsgebäude. An den Schienen entlang, nach rechts einen schmalen Pfad am Ufer durch die Wiesen: stimmt, ist leider erst zu Haus mit → Google-Luftbild genau zu erkennen!

Zeltplatz Mlynki
Angenehm: Zeltplatz J. Adrych, Mlynki 3

Am Abzweig geht es allerdings auch weiter außen herum oder noch schneller quer durch den Wald, gänzlich ohne die ätzende Asphaltstraße. Risikoreiches Geschlängel, Sumpf?
Ein letztes Haus im Feld, eine junge Frau mit Kindern im Auto – wir diskutieren ausgiebig die Wegemöglichkeiten in Sandmalerei. Mitbewohner werden zu Rate gezogen – in jeglicher Sprache: “völlig unmöglich!”
Ich vertraue mich dem Auto an – die Kinder im Auto erdulden es. Erst als wir unsere auf der Straße marschierende Gruppe erreichen, werde ich entlassen. Dziękuję bardzo, dziękuję bardzo!

Nachträglich sehe ich: um das Haus führt wirklich nur ein Rundweg. Aber: es wäre keine 4 km problemlos auf Wald- oder Wiesenweg gegangen! Ach, es ist wie in Deutschland: von 10 Menschen kennt höchstens einer die Wege ohne Auto. Und 4 oder gar 6 km bewältigen? Unvorstellbar!

 

Di. 24.07.  Bory Tucholskie mit Badesee

Planmäßig werden die 13 km von Młynki nach Wdecki Młyn absolviert.

Flachlandfluss Wda mit Kiefernwald
Die Wda deutlich als Flachlandfluss, begleitet von Kiefernwald

Zwischenstopp im Dörfchen Wda mit Storchennest und bestausgestattetem “Sklep”. Es müsste keine Panik aufkommen bis ganz zum Ende unserer Fahrt. Dann wieder der Fluss in nun schon bekannter Qualität bis er sich vor einer Staumauer mit Wehr weitet: heftig von einem Schwan verteidigt zum Schutz seiner Familie. Abgesehen von seinen Angriffen ist es am rechten Ufer relativ einfach umzutragen.
Ach, wie ich den einsamen Faltbootfahrer beneide, mit dem ich jetzt noch einmal sein Boot einsetze…

Wdecki Młyn hinter der Staumauer
Wdecki Młyn hinter der Staumauer

Wieder ein großer Campingplatz beim Forsthaus (!), etwas weiter vom Ufer und dort wohl auch die Infrastruktur. Direkt am Platz ein Wasserhahn an einem Haus; → die Toilette erstreckt sich mit weißen Papierfetzen weit über die Wiesen :((

Links im Bild die Verbindung von Kochanka zu Wda
Links im Bild schimmert die Verbindung von Kochanka zu Wda durch die Büsche

Die Besichtigung eines Gutsparkes entfällt wegen Privatbesitz ohne Bedauern.
Der See Kochanka lockt. Suchend nach einer Badestelle am Steilufer geht nach rechts ein Pfad bis der See über einen Verbindungsgraben in die Wda fließt. Schluss und aus – schnell wenigstens ein Vitaminschub Preiselbeeren… Unsere halbierte Gruppe versucht es noch einmal nach links. Siehe da: wir sind wieder 12 und am Ende alle wunderbar in wunderbarem Wasser geschwommen.

Nachmittagshitzebratwurst
Die Nachmittagshitzebratwurst

Nachmittags (nachmittags!!!) gibt es diesmal Wurst und Kartoffeln vom Feuer.
Die Schwalben fliegen am Sommerhimmel bis spät in den Abend.

 

Mi. 25.07.  Krzywe Kolo – Krummer Kreis oder die Schleife der Wda

Nebel liegt über Wdecki Młyn. Zeit auf das Wasser zu kommen. Aber das dauert.

Nebel über der Wda
Nebel über der Wda

Zurawki mit steilem Ufer ist dann bald erreicht. Schon wieder auspacken, Gepäck und Boote hoch wuchten? Der Kräfteverschleiß ist doppelt und dreifach größer als beim Paddeln. Die Einsicht ist allgemein. Nächster Versuch: Luby.

Ab Zurawki wird die Strecke als urwaldmäßig beschrieben. Nur etliche Hähne krähn dagegen an. In den sumpfigen Uferzonen lauern die Bremsen. Ich hetze polnischen Zweierkajaks nach. Das Klotzen durch die Landschaft hat den Vorteil, diesem Viehzeug zu entgehen. Die polnische Gruppe will weder nach Luby, noch nach Błędno, sondern bis Tleń – sie wissen was sie tun…
Ich warte in Luby an einem verkrauteten, ewig nicht mehr benutzten Steg mit Bänkchen, daneben ein Haus auf dem Hang: pikobello neu – da gibt man freilich der Natur lieber als den durchziehenden Kajakmeuten Raum. Der Wink ist ohne Zaunpfahl zu verstehen: wir fahren durch bis zur Donnerstags-Etappe Błędno, ca. 25 km (also geht doch…!!!)

Luby an der Wda
Luby – dieses Mal nicht ich schief, sondern Häuschen und Hang!

Ab Luby beginnt das NSG Reservat Krzywe Kolo (Krummer Kreis) mit endlosen, engen Mäandern in alle Richtungen, steilen Hängen, ab und zu ins Wasser gerutschten Bäumen bis ein tiefes, bewaldetes Tal das Reservat einkreist. Aber das ist vom Wasser aus nicht wirklich genau auszumachen.

Zwischen den Mäandern der Wda
Später vom Krzywe Koło aus zu sehen: die engste Stelle zwischen den Mäandern der Wda

Błędno nach der Straßenbrücke rechts zwischen den Bäumen des Waldes hat Tische mit Bänken, wenig weiter einen Zeltplatz. Beide Orte ohne Wasser (das gibt es netter Weise beim Forsthaus) und ohne Häuschen (manche Veranstalter statten ihre Gruppe mit mobilen “Tös” aus – Regel ist das zu offensichtlich nicht).
Wenigstens bleibt es einsam und ist so versteckt, dass wir FKK in der Wda schwimmen.

Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wüste Polen
Der große Trip: 100 Meilen durch die Wüste nach einem Schluck Wasser…

Ich bin unruhig, male mir eine verkürzte Reise mit Regio aus – Sch… auf den ICC… (und wirklich hätte ich die Zeit in meiner Wohnung dringend gebraucht; träumen wir vor oder zurück? Die Hochhauskatastrophen künden sich mit Albtraum an.)

 

Do. 26.07.  Zwangspause am Tor zum Paradies

Wda, Tor zum Paradies. Copyright K.G.Brandler
Das Tor zum Paradies

Ein per pedes-Wandertag zum „Krummen Kreis“ (Krzywe Koło), einen der schönsten Teile der Tucheler Heide. Früher soll dieser Ort schlicht als Paradies/Paradyż bezeichnet worden sein. Eine Runde mit Weitblicken über die Wda, zurück über die Brücke von Błędno, durch trockenen Kiefernwald bis Suchobrzeźnica – natürlich auf der Suche nach Einkehr. Die Hungrigen „ergattern“ (etymologisch: sich etwas Seltenes oder knapp Gewordenes verschaffen) in dem winzigen Dorf 10 Eier von glücklichen Hühnern.

Błędno, Partisanendenkmal
Partisanendenkmal

An der Schule eine Gedenktafel für den 1944 ermordeten Dorfschullehrer Józef Schmulta. An der Straße bei Błędno ein schlichtes Denkmal an eine gewonnene Schlacht polnischer und sowjetischer Partisanen gegen die Übermacht deutscher Soldaten (27.10.1944). Die nahen Verwandten von denen, die hier wohnen, haben es erlebt und später erzählt – wieder und immer wieder.

Ein fremdes Haus und ein fremdes Foto
Ein Haus und ein fremdes Foto. Es war nicht hier, aber ich erinnere mich. Ich erinnere mich an den Schmerz.

Ich – Jahrgang 1944 – habe Schwierigkeit, die Geschichte einfach nur als historisches Geschehen zu denken, einfach nur Eier hier von einem Hof zu kaufen. Aber: es gibt keinen vernünftigen Grund, es nicht zu tun.

Im Wald vor Suchobrzeznica
Im Wald vor Suchobrzeznica

13 heiße km sollen wir insgesamt gelaufen sein. Ich gehe allein am späten Nachmittag noch einmal in das Reservat: Mir fährt der Schreck durch die Glieder: als wäre ich Teile des Weges noch nie gegangen. So ist das allein. Handy hab ich nicht mit. Immer wieder wird ja die Wda zu sehen sein. Die Steinpilze stehen noch naturgeschützt und der Tschaga ist als Heilpilz längst auch hier in Vergessenheit geraten. Vier Kilometer etwa zusätzlich und von der Temperatur her angenehm.

Im NSG Krummer Kreis
Im NSG Krummer Kreis

Zweimal schwimmen wir noch mit dem Strom von einem Biwakplatz zum andern – die letzte Etappe steht bevor.

 

Fr. 27.07. Tleń – das Ende vom “faulen” Fluss und faulen Tagen

Die Wda Richtung Tleń
Die Wda Richtung Tleń

Der „faule“ Fluss rappelt sich noch einmal auf zu schneller Strömung. Noch einmal schlängelt die Wda durch abwechslungsreichen Wald. Noch einmal diese Erinnerung an den Krieg, wo mächtige Brückenpfeiler von seiner schrecklichen Sinnlosigkeit künden. Irgendwo dahinter wohl nie mehr aufzufindende Gräber und irgendwo soll eine große Eiche im Wasser liegen, die eventuell umtragen werden muss.

Zerstörte Brücke an der Wda
Zerstörte Brücke mit den Spuren der Einschüsse

Ich nehme keine echten Hindernisse wahr. Dann bildet die Wda einige große Inseln. Verfolgt von einer fütterungsverwöhnten Entenschar gondelt das Boot in eine immer breiter werdende, lang gestreckte Bucht. Kräftig zu paddeln wage ich nicht – zu flach, zu verkrautet. Wildnis ist hier nicht mehr. Die Dächer von Tleń grüßen.

Wda, Hindernis
Wda: manchmal letzte  kleine Hindernis-Umfahrungen

Ich liege wartend. Über dem schwarzen, schwappenden Wasser schwirren völlig synchron zwei Blauflügel-Prachtlibellen. Als elegante Schleifchen tanzen sie ihr Pas de deux – im spiegelnden Wasser ein vollkommener Vierertakt. Eine dritte stürzt kamikazeartig mitten hindurch – ebenso schnell erfolglos abdrehend. So tief blau gefärbt sind die Weibchen nicht. Kampflustige Männchen? Die Schlagfrequenz gibt einem Foto keine Chance.

In der Bucht vor Tleń/Polen. Copyright K.G.Brandler
In der Bucht vor Tleń/Polen

Die Zeit verfliegt. Der Kajaktrupp schleicht heran und schwärmt von Fisch und Eis. Abhol- und Ausstiegsmöglichkeiten gibt es drei, nirgends ideal: der Schlamm in der Bucht wirkt leblos schwarz… Am Ufer ein sympathisches, bekanntes Gesicht vom Bootsverleih: zack, die Boote aus dem Wasser, auf den Hänger und weg ist der Mann – bis zum nächsten Jahr?

Große Einkehr oder kleines Eis. Tleń ist Urlaubszentrum und belebt beliebter Ferienort mit bester Versorgung und einem luxuriösen Campingplatz. Ein Regenbogen, ein kurzer Schauer – am Amazonas kann es nicht schwüler sein. Die Feuerwehr rast über die Brücke. Eigenartig: in Griechenland und Schweden brennen die Wälder – in Polen grillt Abend für Abend die Nation an Lagerfeuern.

Farbe und Fluss: die Wda
Farbe und Fluss: fluoreszierendes Feen-Gras in der Wda

Ich denke an die Wda zurück, ihre grellgrünen, unterseeischen Wiesen, die Röhrichtgürtel und Kräuterteppiche und wie das satte Grün sich in immer dunkleren Tönen verliert, je weiter die Bäume auf den Hängen zum Himmel wachsen.

 

Mit Recht am eigenen Bild: 2 von 12
Mit Erteilung des Rechtes am eigenen Bild nur wir 2 von 12 und von allen Begegnungen. © W. Pagel

Dennoch sind mir auf dieser Reise das wichtigste die wenigen Menschen mit denen ich Kontakt hatte: Vater und Söhnchen, die eine erste Kajakreise zusammen unternehmen, die lustigen Freischneider, mit denen ich mich paddeltechnisch „unterhalte“, die vielen hilfsbereiten Menschen in Lubichowo, sogar jede Begegnung in den kleinen Skleps=Läden – spürbare Herzlichkeit in diesem unendlich weiten Land.

 

Sa. 28.07. Bydgoszcz – an diesem Tag mental und körperlich ausgelastet!

Tleń, morgens kurz nach 4 h
Abschied von Tleń, morgens kurz nach 4 h

Bydgoszcz besticht mit restauriertem und ästhetisch überzeugendem, hochmodernem städtebaulichem Ensemble. Nur unsere Besichtigung gerät ab Busbahnhof trotz nahtloser Anschlüsse und frühzeitiger Ankunft zum Hindurch-Rasen schon wieder Richtung leiblicher Notdürfte.
Zu guter Letzt, aller historischen Erkenntnis und antiautoritären Behauptungen zum Trotz jagt ein folgsames Volk hinter dem Führer über die vierspurige Most Uniwersytecki. Wie man‘s braucht. Wie es den Herren in der Dreigroschenoper entgegen geschleudert wird, reagiere ich: “Erst … und dann die Moral”.
Danke für alle Hinweise der hilfsbereiten Polen (der Name Bydgoszcz soll von „bicie gości” oder „bycie gościem“ =‚Gast sein‘ kommen – nomen est omen). Die Busse dürfen auf dieser Strecke kostenfrei benutzt werden, weil es keinen Geh- oder Radweg gibt. In allen Ecken nach der Gruppe am Busbahnhof suchend, bin ich hoffnungslos zu spät und mit 10 Zloty und 30 Euro nicht zahlungskräftig.

Im Zug
Hingesunken im Zug.

Ja, vielleicht haben wir gemeinsame Vorfahren in den Steinkreisen von Odry liegen und die guten Geister schweben nun über mir und dem Grzegorz, der mich quer durch die Stadt zum Bydgoszcz Główna fährt – vielleicht sogar die Zugabfahrtszeiten gen Berlin ahnend (ich weiß nichts und hab alles verpackt). Auf der Rolltreppe gleitet mir unsere Dorit entgegen – ich kann es kaum glauben.
Nein, nicht 5 vor 12, sondern “nach” – der Zug hat Verspätung oder irgend so etwas.

Wróciłem!
1000 dziękuję za jazdę na stację Bydgoszczy

Adios Tleń
Adios Polen! Der Sommer geht bereits seinem Ende zu – das war Tleń am späten Morgen.

 

Das Fazit “Wasserwandern auf der Wda”

Schwierigkeitsstufe

Die Wda ohne Gefälle © M. Kanitz
Die Wda ohne Adrenalinschub.  © M. Kanitz

Gemäßigtes Paddeln, selbst Untätigkeit bringen auf der Wda schnell vorwärts. Achtsamkeit ist dennoch gefordert: die Situationen wechseln. Es kann wegen der Strömung ein Wagnis werden, Boot, Paddel und sich selbst ans Ufer oder auf eine Sandbank zu retten. Unmittelbar gefährlich wird die Strömung für die massiv im Wasser liegenden Boote nicht. Die offiziell genannten Gefahrenstellen sind zumindest bei gutem Wasserstand übertrieben beschrieben.

Nach dem Versinken. Mooriger Grund an der Wda
Nach dem Versinken nur mit Hilfe wieder standfest

Problematisch sind erst kürzlich von Unwettern gestürzte oder altersschwach gefallene Bäume. Wo Kraut und Schilf über unergründlichem Schlamm flattern wird Aussteigen zum Risiko, haltlos zu versinken. Regelmäßig wird die Wda allerdings freigeschnitten: zur rechten Zeit am rechten Ort – eine nette Begegnung!

Die Freischneider mit der Motorsäge. Copyright K.G.Brandler
Die Freischneider auf der Wda mit der Motorsäge – Schwerstarbeit, dieses Ding im Wasser stehend über dem Kopf zu halten!

Wasserqualität
Die extrem saubere Qualität des Wassers nimmt ab mit jeder Siedlung. Das ist zu riechen, wobei der Fluss immer wieder selbsttätig versucht, sich zu erholen. Das „Schwarzwasser“ ist stellenweise eben nicht pur „wässriges“ Moor. Deutlich verschlechtert sich die Wasserqualität bei Czarna Woda – das Boot gleitet unter verrottenden Industrierohren hindurch, linksseitig ragt hinter einem Holzschnitzelberg eine Fabrik  in den Himmel.
Immerhin: Abfall im Wasser selbst ist trotz Tourismus nicht zu entdecken. Die Forste im Bereich der Biwakplätze haben diesbezüglich große Probleme. Allein gelassen mit ihren Nordürften reichen dort weder Phantasie noch Wissen der meisten Wasserwanderer für eine naturverträgliche Entsorgung.

Glückliches Weidevieh schadet wohl kaum der Wda - doch die Umwelt?
Glückliches Weidevieh schadet wohl kaum dem Wasser – doch die Umwelt?

Erlebnisqualität
Der vielfach verwendete Begriff „Urwald“ dürfte sich auf die breiten Sumpfwiesen an den flachen Ufern beziehen. Meist säumen Erlen das Ufer bis dahinter der Hang mit hoch aufragenden Kiefern und Wacholder bewachsen ist. Meine Lust durch diese sommertrockene Heide zu wandern tendiert gen Null. Wertvolle Flora (Sonnentau, Knabenkraut, Türkenbund, Akelei etc.) ist natürlich weder vom Boot noch vom Land aus zu entdecken. Die Ufer allerdings geizen nicht mit Wasserminze und Wasserkresse – schmackhafte Bereicherung für einfaches Campingessen, sofern man die angepriesene Naturnähe auskostet und auf ständiges Einkehren verzichtet.

Minze, Kresse, Schilf und Schierling: der Urwald
Minze, Kresse, Schilf und Schierling: der Urwald

Die Fauna beschränkt sich sichtlich auf klein, hörbar auf groß Geflügeltes und merklich auf Bremsen in Nähe von Weiden und Ortschaften. Dem Biber macht man wohl hier schnell den Garaus – jedenfalls kennen wir das in Brandenburg naturbelassen anders.

Angler in der Wda
Einheimisch und professionell für die mitleidslosen Fischverschlinger

Die Landschaftsbilder wiederholen sich. Weniger als 20 km pro Tag langweilen unendlich. Anglermentalität ist gefordert. Die Zeit ist kaum mit anderem als Einkauf und Essen auszufüllen. Wer möchte das? Die Abende am Lagerfeuer (sofern man polnisch/slawisch, nicht allzu deutsch nützlichkeitsdenkend verwurzelt ist und egal wie groß die Brandgefahr in Deutschland eingeschätzt würde) bringen das romantische Gefühl „Zurück zur Natur“.

Badestelle an der Wda bei Błędno
Ideale Badestelle in Błędno, immer auch mit kleinen Fischlein in der Sonne

Stellenweise ist in der Wda zu baden (das jedoch unbedingt verschämt bekleidet). Angeleint und unter Aufsicht müssen Kinder in jedem Fall sein. Die Strömung reißt auch Erwachsene mit sich und Ausstiege fehlen dann.

Wo an der Wda die Romantik gelehrt wird
Wo die Romantik gelehrt wird (vgl. Blog-Kategorie Filme auf DVD: Wes Anderson, Moonrise kingdom)

Fünf Tage im Kajak für den Abschnitt Borsk – Tleń, dann sollte es eine wundervolle Naturerfahrung werden!

Dieses Mal viel zu viele 10 Tage für etwas über 100 km Fluss ohne See, aber unschlagbar und mit Dankbarkeit für rund 150 Euro mit allem Drumunddran. Funktioniert aber nur, weil die Organisation vom Wandersportverein und ausgefuchstem Wanderleiter mit nicht mehr als einer Mini-Aufwandsentschädigung abgegolten wird.

Spiegelwelt Spree II

29. Dezember 2017: zwei Stunden Rundkurs im Spreewald
ab Lübbenau Südumfluter, Freiheitskanal II, Bancerova, Hauptspree, Quodda, Moorige Tschummi, Tschummi (Eschenfließ), Lehder Graben, ein Ministück Hauptspree, Südumfluter

Lübbenau, Kajaksport Richter
Lübbenau, Kajaksport Richter
Am Ufer geschichtet
Am Ufer geschichtet

Die letzte Sonne des Jahres ist angesagt. Wo wäre sie am ehesten zu genießen? Auf dem Wasser!
Punkt 10 bei Bootsverleih Richter, Lübbenau brennt bereits ein wärmendes Feuer für eine Kanu-Winter-Erlebnistour. Solo im Einerkajak bin ich aber schon in wenigen Minuten auf dem Wasser entfleucht. Das Winterhochwasser steht über den Stufen der Stege. Das Paddel zieht wie durch Blei. Angeblich gibt es aber wegen des hohen Wasserstandes sogar weniger Strömung als sonst. Bin ich so schwach? Manchmal jedoch wirklich auch ein leichter Gegenwind!

Die Morgensonne durch die Bäume
Morgensonne durch die Bäume

An den Ufern liegt das Geäst der von Orkan Xavier umgebrochenen Bäume gestapelt.
Tief am Horizont leuchten in hellem Gold die Wolken. Ich schrubbe den Südumfluter vorwärts, möchte diesem Gold näher kommen. Aber es ändert sich wenig. Die Sonne selbst zeigt sich erst während meiner Zug-Rückfahrt an azurblauem Himmel. In Berlin blitzt sie ab und zu zwischen den Betonklötzen hervor: die einst berühmten, von Bäumen bestandenen Berliner Straßen mutieren im rasanten Takt von Baumaschinen zu Schattenschluchten.

Morgenhimmel
Sonne unter Land

Was für ein Unterschied zu diesem Spreewalderlebnis – selbst unter bedecktem Himmel!
Bin ich meilenweit, bin ich Jahrhunderte von diesem Hauptstadtmoloch entfernt?

Überschwemmte Wiesen
Überschwemmte Wiesen
Brücke
Die zeitweilige Brücke
Winterhochwasser
Winterhochwasser
Sturmschaden
Sturmschaden

Auf dem zweiten “Freiheitskanal” komme ich mir vor wie auf einer Erstbefahrung. Bin heilfroh, die Strecke gut zu kennen. Frühestens einen Meter vor einer Biegung – aha, hier entlang… Eigentlich rechts und links, ringsum nur Wasser und Stille. Mein Boot gleitet leise durch diesen gar nicht gezähmt wirkenden Spreewald. Obwohl hier im Sommer die Wiesen fürs Heu sind, für Schafe und Kühe, jetzt denke ich nur an früheste Zeiten: wo die wilden Wenden wohnen… Und nichts könnte besser daran erinnern als die sorbischen Namen.

Spiegelwelt
Spiegelwelt
Am Freiheitskanal II
Ockerfarben im Sumpf
Wasserwiesen
Trügerische Flächen
Baumgewirr
Alles zwischen Tod und Leben
Vermoost
Vermoost
Wurzelballen
vgl. Karlas Wanderwahn, Oktober

Quodda – das Geräusch der Füße, wenn man einen nach dem anderen schwer aus blubberndem, schwarzem Schlamm zieht. Die Moorige oder dann die Eschenfließ-Tschummi – leichten Fußes wie ein fliehendes Reh durch das Wasser gesprungen und geschwommen – tschub tschub tschub – könnte man hier vielleicht doch zum anderen Ufer kommen. Die Bancerova – schnörkellose Dame, der alte Semisch – wer möchte so einen nicht zum Großvater haben, die gute Dobrola, Huschepusch – dort, wo der wuschelwuslige Kobold haust… Der Spreewald ist ein Wald zum Märchen spinnen.

Das feuerrote Holz der Erle
Das feuerrote Hexenholz der Erle
Mittagsruhe
Zur Zeit der Mittagsfrau
Baumpilz
Das Zu-Hause vom Bludnik
Baumpilz an einem alten Quittenstamm
Kleine Irrwische an Richters ehemaliger Quitte

Ein Specht hämmert, ein Schwarzspecht fliegt von Baum zu Baum, ein Bussard, ein Reiher und über mir eine spitz gewinkelte Schar Gänse. Die Enten haben die Weihnachtsbratenjagd überstanden und heben nur selten einmal den Kopf aus dem Gefieder. Die in anderen Jahreszeiten überfüllten Gaststätten sind geschlossen, auch viele Häuser sind nichts als Ferienhäuser – winterfest unbewohnt. Auf wenigen Gehöften wird gearbeitet – die das Jahr über noch bäuerlich wirtschaftenden Höfe sind wahrscheinlich an einer Hand abzuzählen.

Fischkasten, Lehde
Fischkasten, Lehde
Heuschober
Heuschober
Wirklich glückliche Hühner!
Wirklich glückliche Hühner!
Dieeinst prachtvollen Hortensien des Sommers
Die einst blauen Hortensien des Sommers

Die Fotos können mit Klick in neuem Fenster vergrößert werden.
→ Spiegelwelt Spree I, Juli 2017

Der Rheinsberger Rhin III

Es ist der 30. September und 2017 meine zweite Fahrt auf dem Rheinsberger Rhin. Ich setze wieder mit dem Kajak der Natur- und Landschaftsführer vom Naturpark Stechlin-Ruppiner Land Rheinsberger Adventure Tours hinter der Obermühle ein.

Rheinsberger Rhin mit dem Kajak von Rheinsberger Adventure Tours, 30.9.2017
Rheinsberger Rhin mit dem Kajak von Rheinsberger Adventure Tours, 30.9.2017

Die erste, zahme Strecke habe ich relativ lang in Erinnerung. Der Fluss ist hier schmal und tief. Mit schnellem Schlag fahre ich an den Rhingärten vorbei. Ein Kartoffelfeuer lodert am Ufer.

Rheinsberger Rhin, 30.9.2017
Rheinsberger Rhin, 30.9.2017

Ah, dich kenn ich doch: der am Rheinsberger Rhin ansässige Reiher fliegt direkt neben mir hoch. Ich hätte achtsamer sein müssen, möchte mich aber dem WSV Rotation Berlin anschließen, der hat  Nähe Bahnhof gebucht. Die Eile war unnötig, sie setzen gerade das erste Boot ein. Und dann: ausgerechnet an der schmalsten Stelle verhindert Gedrängel der nun sechs Boote das Fotografieren des schon wieder aufgescheuchten Reihers. Was für ein herrlicher Flug! Er landet auf den hohen Bäumen am Wiesenrand. Nur ein Adlerauge kann ihn zwischen den Zweigen ausmachen. Mein Smartphone hat das nicht.

Der Baum des Reihers
Auf einen dieser Bäume hat sich der Reiher geflüchtet.

Später ein anderer Konflikt zwischen Naturinteresse und weiß der Reiher von was:  ich hänge mit dem Boot in der Strömung, die Schulter gegen einen Baumstamm verdreht. Kleine, kreideweiße Ständerpilze versuche ich zu fotografieren. Mit halbem Auge bemerke ich das Boot hinter mir: „Einen Moment bitte, ich möchte…“. Ach, es ist niemand von unserer Gruppe. Ich werde angerempelt und angefaucht: „wir möchten aber hier durch“.
Trotzdem: in der Frühe dieses Samstags ist der Rhin noch einsam.

Rheinsberger Rhin, 30.9.2017
Rheinsberger Rhin, 30.9.2017

Ohne das Stemmen gegen den Baum schießt mein Boot sofort weiter. Der Zweier demonstriert einen aufeinander abgestimmten Partnerschlag und überholt mich grußlos (also das Können hätte für ein paar Rückwärtsschläge ausgereicht). Kurze Zeit später liegt das noble Boot am ersten Rastplatz. Das Pärchen sitzt und futtert. Die Pilze stehen als Erinnerungsbild vor meinen Augen. Ähnliche habe ich nicht noch einmal entdeckt.

Rheinsberger Rhin, 30.9.2017
Nicht immer und sofort reicht manches Können im Kampf mit der Natur, Rheinsberger Rhin, 30.9.2017

Auf dem Fluss blitzen die Sonnenstrahlen wie weiße Glut im Wasser. Wo der Rhin ab und zu seine Fließgeschwindigkeit mindert und breit und flach durch das Tal mäandert, ist in dem klaren Wasser der abgelagerte Sand zu sehen.

Bäume mit freigelegten Wurzeln am Rheinsberger Rhin, 30.9.2017
Bäume mit freigelegten Wurzeln am Rheinsberger Rhin, 30.9.2017

Wird die Strömung wieder stärker, treibe ich auf der Spur von Herbstblättern. Ich kann dieser Strömung meinen Kajak anvertrauen, er treibt genau mit.
Und wenn kleine Wellen gefährlich glitzernd pfeilartig zusammenstoßen, genau dort zielt der Kajak sicher durch enge Hindernisse. Die tänzelnden Blätter zieht der Sog mit.

Rheinsberger Rhin, 30.9.2017
Der blaue Himmel spiegelt sich im Rheinsberger Rhin, 30.9.2017

Trotzdem: zwischen den vielen Baumstämmen der letzten Stürme ist Konzentration gefordert. Aber die Stämme sind seit dem Extremwetter im Juli mehrheitlich breiter freigesägt, zur Seite geschoben und entlaubt.

Rheinsberger Rhin, 30.9.2017
Rheinsberger Rhin, 30.9.2017

Die Natur und die Ufer des Rheinsberger Rhins sind vielfältig. Auenwald und Erlen, Buchenwald, dunkler Mischwald und jeweils dazu flache, moorige Ufer oder hoher Abbruch wechseln ständig.

Rheinsberger Rhin, 30.9.2017
Rheinsberger Rhin, 30.9.2017

Im Juli riss mich die Strömung überall auch ohne Paddelschlag weiter. In jedem Moment musste ich mich unmittelbar auf den Fluss konzentrieren und korrigieren. Die Ufer waren hoch überschwemmt. Diesmal lassen nur die ausgewaschenen Wurzeln der Bäume die Kraft des Wassers ahnen.

Wildschweinsuhle
Wildschweinsuhle

Ab und zu sind einzelne Fährten zum Wasser hin zu entdecken. Die Wildschweine aber haben meterbreit gesuhlt. Ihre Körper drücken sich mit den Borsten im Schlamm ab.

Steilufer mit Löchern zu den Brutröhren der Eisvögel
Steilufer mit Einfluglöchern zu den Brutröhren der Eisvögel

Leuchtend blaugrüne Eisvögel hatten mich im Sommer von Ansitz zu Ansitz weit begleitet. Dieses Mal schwirrt nur zweimal ein Zaunkönig vom Wiesenufer zu den Baumwurzeln gegenüber. Und für mich in gehörigem Abstand nicht mehr identifizierbar  wahrscheinlich Bachstelzen oder die Wasseramsel – aber für letztere war der Schwanz zu lang.

Auf- und abtauchender Baumstamm im Rheinsberger Rhin, 30.9.2017
Rheinsberger Rhin, 30.9.2017

Eine Entenschar gründelt im Wasser; von weitem sieht das aus wie eine gefährliche Sperre von auf und ab wippenden Holzbohlen. Umgekehrt entpuppt sich das nach oben schnellende Krokodil als dicker Stamm.
Die Fahrt bei bestem Wasserstand ist ungefährlich. Ab und zu schrammt das Boot über einen quer und – zumindest im starken Gegenlicht – unsichtbar im Wasser liegenden Baumstamm.

Umtragen meines Bootes von Rheinsberger Adventure Tours
Umtragen meines Bootes

Auf der Hälfte der Strecke kommt eine Fischtreppe; die Boote müssen umgetragen werden.

Steg an der Umtragestelle
Steg an der Umtragestelle

Rheinsberger Rhin, Fischtreppe, Ausschnitt Später, am unwegsamen Ufer steht ein Einheimischer und angelt. Im Rhin soll es Forellen geben – nicht nur in der Zippelsförder Zuchtanlage. Im Sommer hüpfte manchmal eine aus dem Wasser hoch. Man muss wohl wissen, wo sie sich aufhalten.
Und was fragte im Eberswalder Zoo eine Tierwärterin die Kinder: „Warum habt ihr Mitleid mit allen Tieren, aber keins mit Fischen?“ Tja…

Der Rheinsberger Rhin II

Zum 19. September 2017 oder zum 8.Oktober vieler vergangener Jahre
Zum 19. September 2017 oder zum 8.Oktober vieler vergangener Jahre (für Ellen). Lindow, Wutzsee, 30.9.2017

Den großen, weißen Brief, handschriftlich die Adresse, ohne Absender, hatte ich müde gestern Abend beiseite gelegt. Wahrscheinlich die Einladung zu einem Klassentreffen.
Auf dem Rhin hatte ich mir so viele Gedanken gemacht, was ein guter Titel sein könnte zu diesem Flüsschen und der Herbstsonne, die das Wasser kalt und farblos weiß glitzern lässt, dass mir nur wenige Fotos gelingen.

Auf der Spur der dahin fließenden Blätter… Das Leben ist ein Fluss, ja, wie dieser naturbelassene Rhin. Ich gleite, hänge fest, irgendjemand hat mir den Weg freigeschnitten. Schattig ist es oder sonnig, still vor allem. Herbstlich schon. Im Sommer, Anfang Juli zur Zeit der starken Regenfälle war der Rhin wild.

Die Fotos von diesen in der Strömung treibenden Gräsern und von den vor mir dahin fließenden Blättern waren mir am wichtigsten: Rheinsberger Rhin I.
Danach öffnete ich den Umschlag. Das war so unerwartet, so schockierend, so unbegreiflich wie es eben nur der Tod sein kann. Plötzlich sind meine Gedanken auf diesem Fluss wie eine Ahnung, niemals jedoch diese.
Und wie das Wasser mein Boot an den schönsten Stellen einfach weitergetrieben hat, so habe ich völlig unvorbereitet jemanden ganz Seltenes in meinem Leben verloren, eine wunderbare, unersetzliche Brücke zu meiner Vergangenheit. Ich verstehe es nicht. Es tut unendlich weh.

Nach dem Rhin ging es von Zippelsförde nach Lindow (Mark), vorbei an Gudelack- und Wutzsee; auf dieser Wanderung machte ich keine Fotos. 30.9.2017: nur für dieses ging ich noch einmal ein paar Schritte zurück, irgendwie mit ungeordneten Gedanken.

1.Oktober 2017

Der Rheinsberger Rhin I

Gemalt vom Himmelsblau und bunten Blättern
30.09.2017 Auf dem Rhin von Rheinsberg nach Zippelsförde

Mit Malerauge gesehen: Rheinsberger Rhin, 30.09.2017   Mit Malerauge gesehen: Rheinsberger Rhin, 30.09.2017

Wo Licht sich in die Tiefe ergießt, verwandelt das klare Wasser des Rhins in Farbe
Geschaut durch den Spiegel: das Leben der Blätter, ein Memento mori

Mit Malerauge gesehen: Rheinsberger Rhin, 30.09.2017   Mit Malerauge gesehen: Rheinsberger Rhin, 30.09.2017

Und zwischen nur zwei Momenten: ein verwunschenes Paradies der Träume
… mit einem Blick kurz erhascht wie das bunte Federkleid eines vorbei fliegenden Vogels

Mit Malerauge gesehen: Rheinsberger Rhin, 30.09.2017   Mit Malerauge gesehen: Rheinsberger Rhin, 30.09.2017

Menetekel: herbstliche Botschaft, sofort erloschen und immer neu in fremden Sprachen geschrieben
Nur schemenhaft das Treibgut, verzerrt wie unsere Erinnerungen…

Mit Malerauge gesehen: Rheinsberger Rhin, 30.09.2017   Mit Malerauge gesehen: Rheinsberger Rhin, 30.09.2017

Im Schatten der Bäume: ob die Blätter schon tot sind, das Wasser gaukelt bunte Lebendigkeit vor

Die Bilder – mit Malerauge gesehen – sind mit Klick zu vergrößern

Spiegelwelt Spree I

Bancerova
Brücke über der Bancerova

Eine Spreewaldrundtour im Kajak zu jeder Jahreszeit, im Frühling, Sommer, Herbst und Winter und am allerliebsten an trüben Tagen:
von Lübbenau auf dem Südumfluter, durch den Freiheitskanal II, auf der Bancerowa durch die Holzbrücke zur Hauptspree, nach links und schnell nach rechts in die Moorige Tschummi bis Eschenfließ (Tschummi).
Den Wehrkanal kurz hoch und rechts einbiegen in das üppige Grün des Bürgerfließes. Eine wunderbare, weite Strecke bis die mäandernde, einsame Polenzoa vom Burg-Lübbener Kanal in den Hochwald abbiegt.

Erle, Baumwurzel
Erlenwurzeln im Wasser

Die kreuzweise paddelnden, immer lauten Touris sind schon lange nicht mehr und auf 90% der Strecke gar nicht anzutreffen. Ganz selten und leise tuckern auf abgelegenen Streckenabschnitten die Einheimischen mit Kähnen zu ihren Wiesen oder ihrem Wald.

verletzte Erle
Verletzte Wurzeln, deutlich rot leuchtet das Erlenholz. Ahnungslos oder rücksichtslos gerammt?

Um mir auf der Rückfahrt nicht den schnurgeraden, unendlichen Dittmar-Kanal zuzumuten: eine kleine Kehre am Großen Fließ noch einmal zum Bürgerfließ. Auch der Wotschofska-Rummel wird so umfahren. Die langen Spreewaldkähne kommen nun häufig entgegen.

Hauptspree
Die Hauptspree

Im blauen Kajak mit leuchtend zinnoberrotem Paddel biete ich den Ausflüglern eine unterhaltsame Unterbrechung im gleichmäßigen Grün von Wasser und Wald.
Erst in Lehde selbst ist jedes Sportboot nichts als ein Störfaktor für die Romantik des Ortes. Also nix wie durchgeschlängelt, um knalleknülle nach 2 bis 3 Stunden (Varianten bieten die Fließe ausreichend) wieder in Lübbenau anzukommen.

Freiheitskanal II
Brückenpfeiler zum Freiheitskanal II

Vom 9. Juli 2017
Mit großem Dank an den Bootsverleih Richter!
vgl. Spiegelwelt Spree 2 vom 29.12.2017

Das Beste im Jahr

Arktische Kälte, Strippenregen oder Dschungelschwüle

Mit dem Wandersportverein Rotation Berlin jährlich zu Pfingsten eine Grenzüberschreitung aufs Wasser, Anfang Oktober zum sogenannten “Kentern unterm Kranichzug” und manchmal anderswo im Kajak

Aber das Beste davon kann leider selten oder nie fotografiert werden…

Die Brahe in Polen 2017
Die Brahe in Polen 2017, hier einmal zum Ausruhen
Mit dem Kajak auf der Brahe in Polen 2017,  © W.Pagel
Mit dem Kajak auf der Brahe in Polen 2017, © W.Pagel
Mit dem Kajak auf der Warnow 2017. Ausschnitt, © W.Pagel
Mit dem Kajak auf der Warnow 2017, Ausschnitt, © W.Pagel
© E.Herter - auch im Wasser stehend
Eisige Kälte und Sandbank als Hindernis, © Evi H. / auch neben mir, aber den letzten Akt fotografierend, Pfingsten 2016 in Pommern/Polen
Pfingsten 2015, mit dem Kajak in der Wehranlage
Pfingsten 2015 auf Triebel und Recknitz, in der eigentlich nicht befahrbaren Wehranlage: das Paddel knallt wie eine Wiedehopfhacke auf die eng versetzten Steine (so vibriert das auch beim Bäumepflanzen), © W.Pagel
Dschungelfeeling in Brandenburg,  ©  E.Herter
Dschungelfeeling in Brandenburg, Pfingsten 2014, © E.Herter

mit dem Kajak zwischen Stein an Stein

Pfingsten 1961 auf der Unstrut

Pfingsten 1961 auf der Unstrut
Pfingsten 1961 auf der Unstrut

Pfingsten mit dem Kajak (damals Faltboote von Pouch) auf dem Wasser hat für mich ewig lange Tradition. Von Sömmerdaer Kanuten wurde Jahr für Jahr zu Pfingsten die Unstrut bis zur Mündung bei Naumburg in die Saale befahren. Ich nehme an seit 1925, so lange besteht dort der Kanuverein.
Regen und Nebel hatten ebenfalls an der Unstrut Tradition, denn als ich 1970 nach Berlin kam, fiel mir das ständig schöne Wetter sofort auf. Was der Klimawandel inzwischen in diesem Thüringer Becken verändert hat, weiß ich nicht. Die Unstrut jedenfalls fließt längst nicht mehr in ihrem alten Bett. Die riesigen jährlichen Überschwemmungen wurden durch das Rückhaltebecken Straußfurt beseitigt. Für mich sind die Überschwemmungen ereignisreiche, sehr naturnahe Erinnerungen ohne Grusel: hier an der Unstrut hatte man immer damit gelebt. Später kam in Sömmerda der Ausbau zum Wildwasserkanal hinzu. Zum jährlichen Rafting-Event reist man auch schon mal von Berlin an – um barfuß über Wasserwiesen zu laufen und Frösche zu fangen, war das nie der Fall.