Bücher – eine Aufzählung

Günter de Bruyn: ein absolutes Muss für Märker und Berliner. * 1. November 1926, aber noch ist es still um ihn. Alles Abseits und Unzeitgemäßes…

Ja: Fontane ist auch ein Muss oder besser Identitätsanker für Berlin/Brandenburg. Trotzdem: keine Wanderung der “Wanderungen” meinerseits im Fontane-Jahr 2019. Ein eng begrenztes Feld: Grafschaften, Adelsnester, Ahnenpässe, Stammbäume. Aber bildungsbürgerliches Wissen boomt, wenn in den Landen über die AfD hinaus wenig Spannendes zu finden ist. In diesen Zeiten und dieser Region ist die schnöde Gewinnbeteiligung am Nachruf Fontanes eine sichere Bank.
Zufällig bin ich auf sehr Abseitiges geraten: Max Winter, Soziales Wandern, Wien 1911
Nun zerreißt, schmäht und verachtet mich. Diese kleine, bildhafte Schilderung zur “Geschichte des Alltags des deutschen Volkes” (Jürgen Kuczynski) ergibt mir mehr zu denken als Fontanes literarische Plaudereien.

Henry David Thoreau: Walden oder Leben in den Wäldern
Erstveröffentlichung: 9. August 1854, erhältlich in vielen Ausgaben.
Der Klassiker der Aussteiger-Literatur

Henry David Thoreau: Leben ohne Grundsätze. Ausgewählte Essays, erhältlich in diversen Ausgaben. 1987 bei Gustav Kiepenheuer, Bücherei 72, in der DDR erschienen. Klein genug als Rucksacklektüre. Aber der Titel allein reicht zur Beschäftigung des Gehirns auf vielen Kilometern. HOCHAKTUELL!

Adalbert Stifter: viel Kritikaster zum Werk: biedermeierlich, heimatliche Idylle… Ich bin sicher, er wird im Zuge des Nature writing wieder gelesen. Dieses englisch-amerikanische Literaturgenre ist übergeschwappt zu uns und total “in”. Mit dazu aktuell wieder verlegten und neu daran anknüpfenden Büchern kann ich leider nicht dienen (Achtung: ich verleihe nicht; erst von einem neuen Domizil in und von der Natur aus – falls ich ein bezahlbares finde!!!), aber es gibt sie zahlreich und viele sind gestalterisch Kleinode auf dem Büchermarkt.

Jean Giono: Der Mann, der Bäume pflanzte (L’homme qui plantait des arbres, 1953). “Nur” eine Kurzgeschichte, aber sie hat es in sich! Danke dem Bergwaldprojekt e.V. für diesen Tipp – passend für einen Abend nach anstrengendem Bäumepflanzen… → HIER die deutsche Übersetzung. Es lohnt sich, auch zum Hintergrund der Geschichte zu googeln.

Olga Tokarczuk. Nobelpreisträgerin für Literatur 2018
Taghaus, Nachthaus, aus dem Polnischen von Esther Kinsky. Klappentext: Ein Haus in den Bergen nahe der tschechischen Grenze. Eine Ich-Erzählerin und ihre alte Nachbarin, die voller Geschichten steckt. Geschichten, die sich mit den Träumen der Erzählerin verweben und immer wieder an diesen Ort nahe der Grenze zurückfinden, wo sich Zeiten und Schicksale treffen.
Ein Buch – das ganz besondere Buch – in dem ich alles gefunden habe, was mich auch ausmachen könnte und von dem ich träume.
Nachtrag: Der Gesang der Fledermäuse
Die Illustrationen unpassend groß und grob gedruckt anstelle filigran klein. Und etwas zu viel unverständliche Astrologie, die immer wieder meinen Lesefluss stört. Aber alles dazwischen… wunderbar!

Velma Wallis: Zwei alte Frauen. Eine Legende von Verrat und Tapferkeit
V. Wallis, geb. 1960 in Fort Yukon/Alaska, wurde in der Tradition der Athabasken erzogen. Nach dem Besuch der Highschool zog sie in eine Trapperhütte und lebte vom Fischen, Jagen und Fallenstellen.

Jean-Marc Soyez: Wolfsziegel. Lasst euch nicht einlullen beim Biwakieren von den Geschichten der immer scheuen Wölfe und unserem regionalen Überfluss an Beutewild. Der Wolf ist ein Raubtier und Bequemlichkeit ist nicht nur dem menschlichen Tier zu eigen.

Stephen King: Das Mädchen
Eine Neunjährige versucht in den Wäldern New Englands zu überleben…
Also gewöhnt es euch ab, zu jammern, wenn die Gaststätten geschlossen haben!!!!!!!!!!!!
Es geht auch → anders!

Zum Nachschlagen

Essbare Wildpflanzen: 200 Arten bestimmen und verwenden
von Steffen Guido Fleischhauer, Jürgen Guthmann, Roland Spiegelberger

Vegetarier zu jeder Jahreszeit
Beerenkost-Fährten, © K.G.Brandler

Gerd Ohnesorge, Bernd Scheiba: Tierspuren & Fährten in Feld und Wald.
Bassermann Vlg., 2007
Da ist wirklich viel Sichtbares drin!

Entschuldigung: Kein Vogelbuch. Ich höre schlecht… Aber Feder, die Federn… Da gäbe es etwas!

Und ein gutes Pilzbuch, das fehlt mir noch…
Ohne Buch gelingt die beste Pilzsuche mit www.123pilze.de.

Pilze sehen selten genau so wie in Büchern aus...
Pilze sehen selten genau so wie in Büchern aus… weder verarbeitet noch in der Natur! © K.G.Brandler

Achtung: KEIN BUCH! – aber total viel Infos mit weiterführenden Links zu allem was beim Wandern zu entdecken ist.
www.waldwissen.net

Artefakt I

Kleine Funde: Feuerstein oder Flint Datum: Pfingsten 2017 (3.06. – 5.06.2017)
Wanderung “Grenzüberschreitungen zu Wasser und Land: Slawenburg und Steintanz” unter Leitung von Wolfgang Pagel, Wanderverein Rotation e.V.

Fundort: Feldweg in Nähe von Warnow und Nebel (Ausgangsort Weitendorf)
Beschreibung: Artefakt. Feuerstein. Farbe des Materials eher weiß als grau, glatte Rinde. Länge: 6 cm.
 

Tierisches

August 2017, Objekt meiner Begierde „Zahn“, genau gesagt „Hauer“ , herausgelöst aus relativ kleinem Unterkiefer eines Keilers. Länge des Hauers 12 cm (gebogen 14 cm). Fundort: bei Fürstenwalde/Spree Richtung Rauen auf einem Feld am Plantagenweg.
 

 

 

Gehoern Gehörn an skelettiertem Schädel (Suchbild, für großes Bild bitte anklicken)
Datum: 19.01.2017
Fundort: an der Bahnstrecke zwischen Bad Belzig und Borne

Im Herbst bis Spätherbst des Jahres bildet sich beim Rehbock zwischen Gehörn und Rosenstock eine Trennfuge, an der das Geweih abbricht. Die bräunliche Verfärbung der knöchernen Substanz entsteht durch Pflanzensäfte, die in die Knochensubstanz eindringen, während der Rehbock wiederholt sein Gehörn in Büsche und Bäume schlägt.
Aus der Steinzeit sind Gerätschaften (Hämmer, Klingen, Spitzen, Nadeln usw.) aus Splitterstücken von Geweihen bekannt. Geweihstangen von Hirschen wurden im Neolithikum zum Hacken und Wühlen eingesetzt, sogar im Bergbau.

Das Bundesnaturschutzgesetz

Zum Advent ein Handstrauß ©  W.Pagel 2015
Die Quarzsandfelsen der Buckschen Schweiz und kratzige Handsträuße im Rucksack, © W.Pagel, 2015

Weit getragen: diese Adventssträuße stammen von einer mehr als 30km langen Wanderung im renaturierten Bergbaugebiet der Lausitz. Die vielen, seitlich des Weges entnommenen und bereits welkenden Kiefern waren eindeutig weder Windschutz gegen Schneewehen noch als Winterfutter für Tiere gefällte Bäume wie sie manchmal in den Wäldern zu finden sind!

Ansonsten umfasst das Wandern im Wald nicht das Recht, sich dort Dinge anzueignen und diese mitzunehmen. Der Eigentümer hat das alleinige Verfügungs- und Aneignungsrecht in seinem Wald. Das gilt auch für das Mitnehmen von Schmuckreisig, Brennholz, Steinen, aber auch von Tierteilen wie Geweihen oder von Federn jagbarer Vögel. Zu letzteren zählt sogar der Eichelhäher.

Habichtfeder im Wald
Habichtfeder im Wald

Federn können ein Hinweis auf ein Nest oder einen Horst sein. Viele unterschiedliche Federn, also Brustgefieder zusammen mit Schwanzfedern oder Federn von Armschwingen sind der Hinweis auf eine Rupfung durch einen Raubvogel oder den Riss eines Raubtieres. Der Unterschied zwischen Riss (Biss) und Rupfung ist an den Kielenden zu erkennen.

Das Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) gestattet aber mit der so genannten Handstraußregelung Ausnahmen. Für den eigenen Bedarf können ein Blumenstrauß gepflückt, Beeren, Pilze und Kräuter in geringen Mengen und natürlich auch eine Feder gesammelt werden. Nicht beschädigt oder mitgenommen werden dürfen Pflanzen, die unter Naturschutz stehen.

Adonisröschen in der Priesterschlucht, Oderbruch bei Podelzig
Unter Naturschutz: Adonisröschen in der Priesterschlucht bei Podelzig / Oderbruch

Nicht erlaubt ist es, forstlich kultivierte Pflanzen, also Bäume, ihre Äste oder junge Setzlinge, mitzunehmen oder zu beschädigen.
Für das gewerbliche Sammeln von Walderzeugnissen muss eine Genehmigung der Naturschutzbehörden vorliegen.

 

Film ab!

StalkerStalker von Andrei Tarkowski nach einem Drehbuch von Arkadi und Boris Strugazki auf der Basis ihres Romans “Picknick am Wegesrand”.

„Stalker“ – Ortskundiger und zugleich Kundschafter – bringt Leute illegal durch ein als „Zone“ bezeichnetes, evakuiertes Gebiet. Der Legende nach gehen dort in einem „Raum der Wünsche“ die geheimsten, innigsten Wünsche in Erfüllung.
Der Film kommt in dieser verfallenen und längst überwucherten Industrielandschaft schon vor Tschernobyl ohne Spezialeffekte aus. Gefilmt wurde im Hafenviertel von Tallinn (1978/79).

“Alle Geschichte ist für Tarkowskij Naturgeschichte, verstanden als fortschreitende Zerstörung von Natur, die auf den Menschen übergreift. Ihr ‚Schauplatz‘ ist die Landschaft, die zur Ruine wurde. […] Geschichte ist gerade in und an der Landschaft als Albtraum zu entziffern.“
– Bernd Kiefer zitiert nach: https://de.wikipedia.org/wiki/Stalker_(Film)

In einer Atmosphäre wie in diesem Film gehe ich oft durch ähnliche Landschaft, vorsichtig, lauernd, angespannt und zugleich glücklich erwartungsvoll – eine eigenartige Mischung. Das ist MEIN Film.


Horrorfilm von Stanley Kubrick nach Stephen Kings gleichnamigem Roman. Ursache, weshalb ich um verlassene Kasernen, Hangars, Bunker, Hausruinen und Betonreste riesige Umwege schleiche. Gäbe es nicht in der Mark Brandenburg? Massenhaft!!!!

Wolken ziehen vorüberWolken ziehen vorüber.
Der Regisseur Aki Kaurismäki, zitiert nach: https://de.wikipedia.org/wiki/Wolken_ziehen_vor%C3%BCber: „Irgendjemand muss doch erzählen, in welchem Schlamassel die Menschen stecken und wie sie dennoch ihre Würde wahren. Ich komme selbst aus armen Verhältnissen und weiß, wie die Gesellschaft mit diesen Leuten umspringt. Warum sollte ich denn einen Film über verwöhnte Muttersöhnchen drehen, die nur ein Problem plagt: das richtige Outfit zum Angeben zu finden.“
Ja, Kaurismäki gibt Kraft, Widerstand zu leisten gegen amerikanisch perfekt weißes Zähnelachen mit Prothesen, gegen perfektionistisches, oder auch nur ständig neues Outdoor-Outfit, gegen die unausgesprochenen Normen hochkarätiger Vereine. Missachtung mit blumig süßen Erklärungen kann ich berechtigtes Selbstwertgefühl entgegen setzen: noch…
Aber: ich möchte auch nicht wirklich in den Küstenbereich der Ostsee reisen – Kaurismäkis Stimmungsbild verfolgt mich wie mit Muttermilch eingesogen. Ebenso nicht in die Neumark mit sofortigen Assoziationen zu einem der schrecklichsten Kriege…


Das war genau so! Für mich.
This Ain’t California, ein fiktionaler Dokumentarfilm von Marten Persiel:
Die große Freiheit in der DDR der achtziger Jahre. Skater – nur eine andere Art von Kunst…
Aber auch: warum jeglicher Sport nichts als Spaß zu sein hat, und dass teamfähig etwas anderes als hörig bedeutet.

Fitzcarraldo ein Film von Werner Herzog mit Klaus Kinski.
Leidenschaft pur, wenn auch ökologisch gesehen ziemlich katastrophal.

Mit “Meeting Gorbachev”, dem neuen Dokumentarfilm von Werner Herzog und André Singer, eröffnete am 29.10.2018 in Anwesenheit des Regisseurs Werner Herzog das 61. Internationale Leipziger Festival für Dokumentar- und Animationsfilm. Dieses seit Anbeginn weltoffene Filmfestival Ostdeutschlands konnte ich in mehreren, immer nur düster geschilderten sechziger Jahren von morgens bis Mitternacht in Leipzig erleben: mit kleinstem Budget – des eigenen und wahrscheinlich auch einem solchen der Veranstalter. Es war der künstlerische Einfluss, der mich am meisten geprägt hat: ohne Tabu von Eisenstein bis Riefenstahl historisch, experimentell und politisch aktuell immer von höchster Brisanz. Was für ein Zeichen in diesem Oktober 2018: hier überstrahlen ein Film und ein Künstler mit seinen Worten zur Eröffnung alles, was die deutsche Politik so großartig seit gestern zu leisten glaubt.


Moonrise Kingdom, eine US-amerikanische Filmkomödie von Wes Anderson: Das Sommercamp einer Pfadfindertruppe.
In der einstigen DDR war mein Kindertraum, einer Pfadfindergruppe anzugehören. Irgendwie hatten die Pioniere (da war ich nicht einmal dabei) nichts Vergleichbares anzubieten. ICH glaubte als Kind an grenzenlose (Indianerromantik-)Freiheit…


Und gleich noch einmal Wes Anderson mit der amerikanischen Abenteuerkomödie Darjeeling LimitedUS. Eine Zugreise durch Indien – um Sehnsucht zu bekommen, gibt Anderson gar keine Gelegenheit: rundum Spaß!


Priscilla – Königin der Wüste von Stephan Elliott: die Tour von drei Drag Queens durch endlose Wüste in Australien.
Mit Gleichgesinnten unterwegs – schwierig zu finden…


Saint-Jacques… La Mecque: softe, französische Filmkomödie von Coline Serreau über eine Pilgerreise nach Santiago de Compostela. Lernefekt: beschränke das Gepäck auf möglichst NICHTS.


Crossing The Bridge – The Sound of Istanbul, Musik- und Dokumentarfilm von Fatih Akin. Die Reise durch eine Metropole wie sie nur mit Künstlern, hier mit Alexander Hacke (u.a. Bassist bei der Band „Einstürzende Neubauten“) erlebt werden kann: Städtereisen sind in meinem neuen Leben tabu.

 

Wer nun partout einen Zusammenhang zu meinem (also nicht: seinem eigenen!) Wanderwahn vermisst, der guckt sich bitte 3 x hintereinander den deutschen Farbfilm „Rübezahl – der Herr der Berge“ an. Wurde 1957 im Riesengebirge gedreht. Erinnert durchaus auch an Böhmen, Heuscheuer- oder Altvatergebirge.

Verlinkt zu Hörbarem

Erzgebirgisch, muss man damit umgehen können…, manche können das: → Glück auf mit Angelika Niescier, Saxophon und zusätzlich etwas pur heimatlich anzuklicken zum Feieromd

Open air in der Kyritz-Ruppiner Heide mit dem → Landesjugend Jazz & Pop Chor YOUNG VOICES BRANDENBURG

Eine Nacht bei Brodowin mit der → Ballade von der haltbaren Graugans

Was jenseits von Bach in Eisenach vor einem Bild stehend im Kopf summt: → best of Blind Willie Johnson

Immer wieder im Dunkelwerden November-Blues-Bloggen mit Nina Simone, → Who knows where the time goes

Kompositorisch exzellent gelungen das Essen im Bergwaldprojekt nach einem Konzept, das sogar hörbar musikalisch ist:
→ The last 273 seconds. 2010, John Cage in memoriam
→ Esercizio di Levitazione. 2012
→ Byzantinische Lyra. Jerewan 2018
Leider bisher nur in “Unerhörte Musik”, BKA Berlin am 19.März 2019, bei der UA: Edoardo Micheli “sic transit gloria mundi” für Akkordeon, Violine, Gitarre, Audio-Zuspielung und Video (von Robert Seegler). Der Titel des Stückes bezieht sich auf Silvio Berlusconis Worte zum gewaltsamen Tod von Gaddafi: „…so vergeht der Ruhm der Welt“, die Komposition nutzt Sätze der Rede Gaddafis 2009 vor der UNO.

Wieder einmal gehört an einem Abend während der Moorwiedervernässung im NP Jasmund: “Wir sind die Moorsoldaten”, entstanden im KZ bei Papenburg, bitte aber gesungen von → Ernst Busch. Die authentischste Version des von Hans Eisler vertonten Liedes.
Ungekürzt eine der ansonsten erschreckend unpassenden Versionen: → Die Toten Hosen.

Schlagwort Coronazeit und Propagandaslogan “vor dem Tod bewahrt”. → Tom Waits, Hell Broke Luce

In diversen Zusammenhängen: → Eisern Union!

Füße und Schuhe zum Wandern

Wanderschuhe
Polen, Hohe Tatra 1961

Schuhe können wie die winzigen chinesischen Damenschuhe kleine Kunstwerke sein. Die entsprechenden Trippelschritte und die notwendige Anspannung der Beckenmuskulatur galten als stimulierend für die Liebeslust des Mannes. Aschenputtels Füßchen hatten eine ähnlich erotische Wirkung.
Kein Wunder, wenn heutzutage beim Wandern die Hoffnung auf den Prinzen zerbricht. Angesichts der zweckorientierten Wanderschuhe kommt einfach kein abseitiger Einfall. Immerhin gab es diesbezüglich meinerseits in sehr jungen Jahren zierlich fast unbeschuht – oder besser gesagt unbedarft – Versuche: 1961 über den Kamm der Tatra mit Wanda und Krzysztof, unserem Wanderleiter. Es war das erste, unvergessliche Mal, dass ich richtige Berge mit Schnee und Enzian gesehen habe. Etliche Jahre später ist mir das Besteigen des Chopok, Slowakei, notgedrungen die Pfennigabsatzschuhe in der Hand und barfuß auch nicht schwer gefallen.

Heutzutage wäre umgekehrt das Tragen von steigeisenfesten Bergstiefeln auf brandenburgischen Sandwegen zu hinterfragen. Nicht nur, dass das brettartige Gehverhalten in die Ohren der Mitwanderer plautzt, für Skelett und Zehen ist das schädlich. Die Urgeschichte des Schuhs wird entsprechend auch an den Knochen abgelesen, denn Schuhwerk gehört bekanntlich zu den Objekten der Kultur, die aufgrund ihres Materials nur unter besonderen Umständen die Zeiten überdauern. Knochen bleiben verformt.

Elbdeich bei Lenzen 2016, Foto W.Pagel
Leder (vorn) oder Haut (hinten) – das ist die Frage. April 2016, Elbdeich bei Lenzen, Wanderung des Wandersportvereins Rotation Berlin
Foto (Ausschnitt) © W.Pagel

Viele tun so, als wären Schuhe das Wichtigste beim Wandern. Zum wahren Glück – zumindest in Brandenburg – brauchen wir jedoch oft nichts weiter als nackte Füße: eine höchst soziale Form des Wanderns und im Sinne von radikalen Tierschützern. Genau wie die indischen Jains, Asketen, die nur barfuß gehen, wird nicht das kleinste Tier verletzt. Ein Fußsack aus Fell, die Haarseite nach innen (Mokassins) oder die Stiefel mit Heu ausgestopft wären eine Kältevariante.
Ein Outdoorgeschäft ist dann natürlich nicht zu machen. Dafür wurden die Barfußschuhe entwickelt. Ich trage alles wie es kommt bzw. vorhanden ist. Und wenn es strapaziös wird: die leichten Keen.
 

Polen, Hohe Tatra 1961
Ergänzung zu Bein und Schuh / Polen, Hohe Tatra 1961

Sächsische Schweiz

Sebnitz, ca. 1979
Sebnitz, Kinderzeichnung ca. 1979

Sebnitz, ein wunderbarer Ausgangspunkt für Wanderungen in der Sächsischen Schweiz. Mitten durch das Städtchen führt tief in das Felsgestein geschnitten der Bach Sebnitz. 2010 stieg sein Hochwasser unvorstellbar und überschwemmte die Stadt bis zum Markt hin.

Elbsandsteingebirge
Elbsandsteingebirge, Kinderzeichnung ca. 1979

Die Sächsische Schweiz ist sicher die beeindruckendste Landschaft, die wir in Ostdeutschland – also der abgesperrten DDR – hatten. Dort zu wandern ist bester Ersatz für jegliche Sehnsucht nach Afrika oder Amerika (Karl May lässt grüßen…). Dass ein Kind die horizontalen, oft ganz gelben Sandsteinablagerungen allerdings als “Scheiblettenkäse” bezeichnen konnte, lag wohl weniger an der Versorgung aus Konsum oder HO, sondern an netten “Westpaketen”. Jenseits der Erinnerung: gab es um 1980 überhaupt Scheiblettenkäse in der DDR? Vielleicht doch, denn höchst beliebt war “Karlsbader Schnitte”, Brot mit Käse überbacken, die opulente Gaststätten-Variante zum häuslichen “Armen Ritter” oder gebratener Schnitte mit Knoblauchzehe bestrichen.

Vereiste, abschüssige Brücke mit Metallgitter im Kirnitzschtal
Vereiste, abschüssige Brücke mit Metallgitter im Kirnitzschtal, Kinderzeichnung ca. 1979

Dass die Sächsische Schweiz durchaus Gefahren birgt, haben wir eindrücklich erlebt. Der breite, damals sandige Weg entlang der Kirnitzsch (heute so weit ich weiß, versiegelt) war eine einzige, abschüssige Eisfläche zwischen Fels und Brückengeländer zum mehrere Meter tiefer liegenden Fluss. Und das eiserne und eisig kalte Brückengeländer eben ein Geländer zum Festhalten in Höhe der Arme, aber zum problemlosen Durchrutschen. Es war die ureigene, sportliche Höchstleistung und der Überlebenswille meiner Tochter, sich dort sofort wieder hochzuhangeln. Schnelle Hilfe war unmöglich.
Ein zweites Mal: mitten in der Nacht mit zwei Kindern verlaufen. Ein einsames Forsthaus – der Förster hat uns nachts mit dem Auto nach Sebnitz gefahren.
Ich liebe die Sächsische Schweiz bis heute!
Zeitweise fuhr in der Sommersaison ein durchgehender Zug von Berlin aus. Sogar in noch früheren Zeiten gehörten die Sächsische Schweiz bis hin zum Riesengebirge zu den Ausflugszielen der Berliner.
Traurige Zeiten des öffentlichen Verkehrs im 21. Jahrhundert, aber viel Gerede um Klimaabkommen…

Tilleda

Tilleda 1967
Ausgrabungsort Tilleda und Kyffhäuser-Denkmal 1967

Es gibt nichts Schöneres als zufällig eine Uralt-Erinnerung auszugraben! Richtig ausgraben: erst seit 1958 gab es nach ersten Versuchen wieder Untersuchungen zur Königspfalz auf dem Pfingstberg unterhalb des Kyffhäusers/Thüringen. Im Sommer 1967 gab es ein Ausgrabungspraktikum der Leipziger Uni zur Vor- und Frühgeschichte auf dem Gelände der Pfalz Tilleda. Inzwischen ist es die einzige vollständig ausgegrabene Pfalz in Deutschland und eine Station an der Straße der Romanik.

Hierhin führten auch Ferien-, Schul- und Sport-Wanderungen nach 1961 (das Eichsfeld als mein Ferienparadies war unerreichbares Grenzgebiet geworden): Tagesausflüge zur Hainleite, bis Kyffhäuser, Harz und etwas ausgedehnter in den Thüringer Wald. Nichts gab es, was nicht geologisch, archäologisch oder historisch von Interesse gewesen wäre, mehr noch: es formte und bildete dort die Menschen. Ich weiß nicht, ob die Globalisierung und das Segeln auf allen Meeren der Welt, das gleiche Glück bringen.

Das heutige Freilichtmuseum Tilleda bietet für Besucher als Event “Geschichts-Rally als unterhaltsamere Führung über die Königspfalz”, “Archäologie live”, “Mittelalterliche Bautechnik” etc. und als Höhepunkt ein alljährliches „Ritterfest“ im Juli. Wenn ich “mein” Bergwaldprojekt als durchaus vergleichbar lehrreich und unterhaltsam anpreise, ernte ich mehrheitlich Kopfschütteln. Vielleicht würde das Interesse sprunghaft ansteigen, wenn dafür bezahlt werden müsste (à la Tom Sawyer beim Zaun streichen). Auch die 100 Kilometermärsche vom Wandersportverein Rotation Berlin für 2 bis 5 Euro verzeichnen weniger Zulauf zumindest aus der Generation Facebook etc. als der über 50 Euro teure “Mammutmarsch”

Die Insekten des Jean-Henri Fabre

Jean-Henri Fabre (1823 – 1915): Erinnerungen eines Insektenforschers
mehrbändiges Werk bei Matthes & Seitz Berlin.
Einzigartig: voller Bewunderung für den französischen Naturforscher (Entomologe) und Dichter.

Mini-Spurenlesen
Mini-Spurenlesen
Der Kiefernprachtkäfer hat die Zeichen als wolkiges Bohrmehl und eine ganze Gruppe völlig kahler Bäume hinterlassen. Er bedroht die Kiefernbestände im Müggelspree Wald- und Seengebiet, August 2017 (Infos aus der MOZ.de)
Blick auf einen naturgeschützten Ameisenhügel – und kein Insekt erwischt – eigenartig…(auch bei Hangelsberg August 2017)

Fabre gilt außerdem als ein Wegbereiter der Verhaltensforschung und der Ökophysiologie. Victor Hugo nannte ihn den »Homer der Insekten«.
Wandern kann auch das Krabbeln über eine Wiese bedeuten…

Meine unerfüllbaren und sehnsüchtigen Wünsche im Verlag Matthes & Seitz Berlin; in früheren Zeiten wurde Extra-Buch Modernes Antiquariat Kreuzberg Mehringdamm sogar mit Remittenden des Verlages beliefert… was für Zeiten…
Jean-Henri Fabre, “Erinnerungen eines Insektenforschers”
Robert Macfralane, “Karte der Wildnis” und “Alte Wege”
Roger Deakin, “Logbuch eines Schwimmers”, 2015 und “Wilde Wälder”, 2018. Unerfüllbar und diese Art des Lebens verpasst…

 

Heide, Heimat, Abenteuer

Eine halbherzige Entschuldigung für die folgenden Buchempfehlungen, zunächst für die pauschale Empfehlung von Büchern eines Jägers, Naturschützers, Natur- und Heimatdichters:

Hermann Löns (1866 – 1914)

Ja, ja, Löns gilt als Heide-Dichter und Heimatschriftsteller mit nationalistischen Anklängen. Blut-und-Boden-Literatur, Kitsch – passt gar nicht ins Heute und zum Morgen; da könnte gleich gefragt werden, was ich im September 2017 wähle…
Aber: wahrscheinlich sind seine Bücher und Gedichte nie wieder wirklich gelesen worden. Allein die Verwendung von kaum bekanntem Vokabular der Jägersprache oder die Bildkraft seiner Natur- und Landschaftsschilderungen empfinde ich wie einen Leuchtturm gegen unsere verarmte, weitgehend nur noch technokratische und ökonomisierte Sprache. Antisemitisch? Beni Benjamin, der in diese Heide gehörende Arzt aus dem Roman “Das zweite Gesicht” drückt dem “Helden” die Augen zu. Nichts mehr, kein christlicher Beistand. Ein genaues Bild der vor 1900 geborenen Menschen, wie ich sie noch erlebt habe.

Tucheler Heide, von der Brahe aus
Tucheler Heide, von der Brahe aus, Juli 2017

Im Juli 2017 bin ich mit Kajak auf der Brda (Brahe) durch eines der größten Wald- und Heidegebiete nicht nur Polens, sondern ganz Mitteleuropas gewandert: auf und an der Brda durch den Nationalpark Bory Tucholskie (Tucheler Heide), in welcher Gegend Löns aufgewachsen ist.

 

Noch einer, der oft nur heimlich gemocht wird:

Karl May (geb.1842 in Ernstthal; gest. 1912 in Radebeul)

Die regionale Nähe hat Bedeutung: in der DDR bis in die achtziger Jahre verboten, standen die Werke vor 1945 wohl in jedem Bücherregal von Berlin bis Breslau. Mit 8 Jahren konnte ich während eines Bautzen-Besuches in einer holzgetäfelten, dunklen Diele die Winnetou-Bände verschlingen – damals mit großzügigen Auslassungen. Dazu gab es in einem unvergesslichen, mindestens zweistöckigen Jugendstilkaufhaus detailliert ausgearbeitete Indianerfiguren mit scharf geschnittenen Nasen, Kostenpunkt vom Häuptling auf Pferd ca. 2.50 DDR-Mark. Ein Vermögen, das erst die Generation Golf kaputt gespielt hat. Die späteren Masse-Indianer waren in den Konturen enttäuschend breit geflossen.
Die Sächsische Schweiz dürfte Pate gestanden haben für die Kulisse dieser Indianerbücher.

Indianerspiel, 50er Jahre in der DDR
Meine geliebten Indianer gegen ungeliebte Weiße, meine 50er Jahre in der DDR

Karl May: der sächsische Hochstapler, Betrüger, Dieb aus dem Zuchthaus, als Schriftsteller der gefährliche Jugendverderber… Ja, es ist wohl so, dass seine wilhelministischen Leser begeistert in zwei Kriege getrieben und ganze Familien ausgelöscht wurden. Ich weiß nicht, wie sie Karl May gelesen haben, jedenfalls nicht wie Albert Einstein, nicht wie Ernst Bloch, nicht wie Arno Schmidt.

Mir wurde in frühen Jugendjahren aus damals pädagogischer Sicht mitgeteilt: „Sie sind renitent.“ Was bin ich? In meinem Umfeld gab es kein Wörterbuch. Ich hab wohlweislich nirgends nachgefragt und das unauslöschlich eingeprägte Wort erst in Leipzig während der Studienzeit nachgeschlagen.

Vielleicht war/ist doch Karl May schuld – an allem.

Und Überraschung: ich bin am 6.12.2017 auf den Spuren von Karl Mays Erzählungen gewandert!
Auch hier war er zumindest in der Phantasie und ich live.

Die Mumins

Wer sich bei Rotkäppchen trotz der 2017 gezählten 22 Wolfsrudel in Brandenburg langweilt und nach meinen Literaturtipps immer noch nicht begeistert ist von Naturabenteuer, widme sich den Mumins der finnischen Schriftstellerin und Illustratorin Tove Jansson . Mumins, kleine Trolle, sind von Katastrophen verfolgt. Wie die Lemminge wuseln sie in der wilden Naturschönheit ihres Tales von Abenteuer zu Abenteuer.
Meine Empfehlung: sich klein machen und nachspielen in der Natur!

Die Mumins im Land Verlorene Wasser, © K.G.Brandler Oktober 2017
Mumins und ein Hatifnatt im Land Verlorene Wasser, © K.G.Brandler an einem windigen Oktobertag 2017

Überhaupt: Wandern mit Kindern – unerschöpfliche Möglichkeiten! Jenseit von Berlin eine Selbstverständlichkeit. Dass das Lied “Hänschen klein…” in Vergessenheit geriet, liegt mit der unerwünschten Botschaft “GEHEN” eher am städtischen Bequemlichkeitsdenken als am gewandelten Musikgeschmack.
Ha ha, Blabla…