Mit unserer Erinnerungskultur stimmt so wenig wie mit unserem Leben in Zeiten von Klimawandel und Kriegen jenseits unserer europäischen Grenzen. Quälend lange hab ich mit zu verzweigten Gedanken gebraucht, bis ich diese Friedhofsbilder eingebunden habe. Letztendlich fand ich eine Publikation, die so genau wie es im Rahmen eines Blogs niemals möglich gewesen wäre, meinen Gedanken entspricht und mit umfassend konkreten Beispielen arbeitet:
Auch der jüdische Friedhof in Kremmen wird in dieser Arbeit beschrieben.
Ich selbst berichte von nicht viel mehr als von meiner Wanderung um Kremmen herum, die mich auf das Friedhofsgelände von Kremmen Orion führte. Trotzdem viele Bilder: ein ungewöhnlicher Ort!
Die tote Taube an der Straße im Elsbruch stimmt ein. Vor mir fast schwarz die Silhouetten der efeuüberwucherten Bäume. Eine Straße im Bau direkt auf den Kienberg. So könnte ich zum jüdischen Friedhof kommen. Nein, hinter der Kapelle kehrt, quetsche mich wegelos, wirklich ohne Weg durch das Gestrüpp – ich hab im Ohr “im Anschluss an den allgemeinen Friedhof”.
Unendlich Efeu. Grab für Grab ist noch zu erkennen. Oft kein Durchkommen. Die Steine bis auf Umrandungen seit undenklichen Zeiten abgeräumt. Ein einzelnes Kreuz. Wohin bin ich geraten?
Längst krieche ich nur noch mit Entsetzen und Fragen durch diese Natur. Vorn am Abzweig zum Bergweg zwei oder drei intakte Gräber: Anna Hecker geb. Heger 1877 – 1956; drei Gebhardts (Wilhelm 1886 – 1952, Pauline 1889 – 1975, Fritz ohne Daten).
Am Zaun drei Kreuze, eins niedergetreten. Ausgegrenzt. Ausgegrenzt ist dieser ganze Friedhof. Selbstmörderfriedhof wie in Wien? Manchmal weiß Google etwas vom Verschwiegenen. Wie lange diese Adresse im www verfügbar sein wird, ist unsicher. Hier mit Popup eine Zusammenfassung.
Der rote Klecks am Kreuz Drohung, Gedenken, noch einmal Rache?
Angst essen Seele auf. Was für Dimensionen hat dieses Verbrechen? Und die Gräber aus den fünfziger Jahren? Überhaupt dieser offensichtlich in einer einzigen Aktion abgeräumte und von den Einheimischen dem Vergessen überantwortete Friedhof hinter den gepflegten Stiefmütterchenhügeln?
Jetzt sollt ihr hören ein rauhes Lied,
von Frieden und Erbarmen leer!
Richard Dehmel. Sein Gedicht “Ein Märtyrer” hatte ich bereits zerstückelt zur Beschreibung des alten Forsthauses verwendet.
Der jüdische Friedhof Kremmen Orion
Eine kaum ursprüngliche Eingangspforte, erreichbar durch den allgemeinen Friedhof hindurch, ein eng eingezäunter Bereich, Relikte der Grabsteine. Der Friedhof wurde 1815 angelegt. Bis dahin wurden die Toten in Oranienburg begraben.
1948 beschloss die Friedhofsverwaltung von Kremmen, die Grabsteine des jüdischen Friedhofs an eine Steinmetzwerkstatt zu verkaufen. Das wurde durch die Bemühungen der einzigen in Kremmen verbliebenen jüdischen Familie verhindert.
1957 waren noch 30 Gräber vorhanden.
Erinnerungskultur
Der Beschluss der Friedhofsverwaltung von Kremmen, 1948 die Grabsteine des jüdischen Friedhofs an eine Steinmetzwerkstatt zu verkaufen, könnte sich auch auf die eingesunkenen Gräber und den jetzt überwachsenen Friedhofsteil beziehen. Was soll vergessen werden?
Aktuell ist bereits der alte romantische Friedhofsweg den Berg hinauf ersetzt. Der Straßenbau hat zugeschlagen. Geplant ist in Kremmen Orion eine Gartensiedlung – die Nachfrage nach traditionellen Einfamilienhäusern ist groß. Dass der wohlklingende Name “Orion” der 1945 demontierten und gesprengten Fabrik für Leucht- und Signalmunition zu verdanken ist, taucht nicht mehr auf. Ich stelle mir im Ortsteil Orion einen allgemeinen Friedhof vor mit Grabsteinen, verziert mit reichlich Hakenkreuz – natürlich vor 1945. Da wollte sicher jeder schnell noch beim Steinmetzen umrubeln.
Wer schweigt, muss mit gedanklichen Spekulationen rechnen.
Verkehrstechnisch war der Friedhof einst an eine Bahn von Kremmen aus angebunden, direkt hinter dem Friedhof vorbei.
Kremmen wusste alles Unangenehme von Tod bis Kriegsproduktion auf Abstand zu halten. Auch später die riesige, nicht gerade duftende Milchviehanlage auf der gleichen Linie. Ich weiß nicht wie alt die Baracken davor sind. Irgendwo muss es auch die der Zwangsarbeiter für “Orion” gegeben haben. Irgendwann zu Zeiten des Ansturms der Migranten nach Deutschland wanderten wir als Gruppe vorbei. Vor den damals noch kalkweiß getünchten Baracken saßen Asylbewerberfamilien. Das Bild eines neueren Brandanschlages zeigt diese jetzt sonnig gelben Unterkünfte mit immer noch Bewohnern. Wer weiß. Über das Gelb der Sonne oder anderes Gelb könnte auch meditiert werden. Jetzt nur vorbei, es nieselt und windet kräftig.
Nein – ich bin ungerecht: siehe oben die Untersuchung von Regina Scheer. Es betrifft nicht nur Orion. Es ist bis heute so. Man kann nicht alles wissen, sagen die Menschen hinter den Büroschranken (dort siehe Anmerkung unten). Und ich möchte nicht mehr alles wissen. Am Bahnhof unterhalte ich mich mit einem anerkannten Asylbewerber. Er möchte weg. Nach Berlin. Aber wir wollen integrieren. Nicht etwa so wie NY, wo jeder sein eigenes Viertel hat… Wir haben Arbeitskräftemangel, derzeit noch gesicherte soziale Strukturen. Ich hab keine Antwort. Weder die Neubauviertel von Kremmen noch die Siedlungshäuser weisen in eine akzeptable Zukunft.
Auch das gibt es in Kremmen.
Ein anderes → memento mori, mit Bildern von Friedhöfen in Angermünde, Oderberg und Schwedt.