7. September 2018, zwei Ziele, aber nur eins als Wanderung: die Krähenrummel mit oder ohne Wolf und weiter zur Lesung von Ingo Schulze in die Bibliothek vom Gasthof Moritz in Rädigke
Mit dem Bus von Bad Belzig bis Niemegk. Es unterhält sich nett mit dem Busfahrer, vor allem über Wölfe*. Pfefferspray soll schon vom Geruch her wirken, sogar wenn ich im ersten Schreck gegen mich selbst ziele.
Das Adda-Tal bei Niemegk liegt noch im Nebeldunst vom nächtlichen Regen. Zwischen den letzten Kleingärten springt wenige Meter neben mir ein wohlgenährtes Wild hoch, vielleicht sogar eine Hirschkuh – riesig und graufellig. Schlussfolgerung: nirgends Wölfe.
Ich trau mich ins dichte Erlengebüsch vom Springebusch – Spring, der Name für Quelle. Aber der kurze, renaturierte Adda-Bach verbreitert sich noch vor der Waldgrenze zum sumpfigen Quellgebiet.
Meine Wanderung geht Richtung der relativ unbekannten Krähenrummel und Krähenborn (richtiger wahrscheinlich nur Kräh…), beide kenne ich noch nicht. Stopp. Meinen Abzweig ziert kein grüner Wegweiser, sondern ein gelbes, unmissverständliches Schild. Die Zeitungsmeldungen der letzten Tage tickern durch mein Gedächtnis: Lokales Potsdam-Mittelmark, 17.08.2018, Treuenbrietzen, 21 tote Rinder.
Auf der Suche nach einem spießspitzen, stabilen Knüppel: eine Hundespur, eine Dachs-, eine Iltisspur? Haha, ihr Daheimgebliebenen. Nein, diese Spur geht quer und gerade und nirgends sonst noch wie ein netter Haushund. Abstandshalter her. Ich rekapituliere meine wenigen, nicht ernsthaft betriebenen Tai Chi Unterrichtsstunden mit kurzer Stockwaffe. Langstock wäre wohl die bessere Option gewesen. Eventuell kann ich mit dem Rucksack auf der Stockspitze wedeln und mit Größe erschrecken. Weit weg werden die angeblich menschenscheuen Karnivoren nicht stecken nach diesen Waldbränden. Treuenbrietzen liegt nicht viel mehr als 10 km entfernt.
Keinesfalls jetzt direkt zur Krähenrummel. Woher und wohin die Markierung Flämingwanderweg Nr.43 führt, ist nicht gesagt, aber ich weiß, lt. Karte haben Richtung Hohenwerbig wenigstens Wolf und ich viel freie Sicht.
Beruhigend schleicht hinter mir ein Auto des Forstes. Komm schon – warum hält der so lange mit eingestellten Scheinwerfern? Ah! Auch mir geht das Licht auf. Ich präsentiere mich beruhigend frontal, bekomme zwei Doku-Fotos auf mein Handy – das hier veröffentlichte der Situation angemessen. Der nette Forstmensch hat zusätzlich ein harmloses Lächeln eingespeist – mit Sicherheit gehört er nicht zu den Befürwortern „wolfsfreie Zone“.
Ich werde mit Hinweis auf die alte Poststraße und „die tun ihnen nichts zum Freitag“ verlassen. Sieben Wölfe sollen es sein in dieser Gegend, nach anderen Berichten fünf oder vier. Egal, über den Wochentags-Satz denke ich noch heute nach. Abend sollte es jedenfalls nicht werden.
Die Poststraße verliert sich mit ihrem Feldsteinpflaster im Sand. Irgendwann sichte ich einen Kirchturm, tapple umsonst im Wald nach einer deutlichen Rummel → hier eine der anschaulichsten Beschreibungen, auch wenn Rummel mit o kaum gebräuchlich ist. Krähborn, der einstige Trinkwasserbrunnen für die Dörfer Zeuden und Pflügkuff ist gar nicht zu finden.
Erst in Pflügkuff gibt es den eindeutigen Wegweiser: Krährummel mit Brunnen (Krähborn) 1,0 km, Treuenbrietzen Rathaus 12,4 km. Weit über die Grenze “Treuenbrietzen Rathaus 11 km” hinaus suche ich noch einmal um jede mit Laubbäumen bestandene Stelle in jede Richtung.
Es rummelt heute nach dem Regen mit langsam versickernden Bächlein in krähtiefen Rinnen von allen Seiten. Nur vom Brunnen keine Spur. Nein danke, jetzt nicht zurück und quer durch die einzig noch verbliebene, total verbuschte Tiefe. In ein Gehölz mit einem vielleicht sogar von Feuer oder “Feuern” halb versengten, verendenden Wolf möchte ich – schon überall sonst zittrig durchgestiefelt – nicht geraten.
Ohne Krähenborn schlunze ich nach Hohenwerbig – hallo, da fährt der Forstmann gerade wieder von seinem Hof.
Vor Neuendorf nicht nur rassige Pferde, sondern auch eine ganze Bagage gezähmter Zuchtwölfe – Abkömmlinge von unserer ersten menschlichen Großtat.
Schon in frühgeschichtlichen Zeiten scheint der Wolf also sehr schnell nicht mehr soo menschenscheu gewesen zu sein wie behauptet. Freilich erinnern die in C-Dur kläffenden Tierchen außer mit ihrer instinktiven Bissigkeit in nichts an das Raubtier. Uns zum Trost wird die Bissigkeit als pur hündisches Verhalten beschrieben. „Haben Sie Angst vor Hunden?“ werde ich beim Ausweichen vor einem ähnlich aussehenden Nachfahren gefragt. Nicht direkt. Dass ich mit jedem Wolf mitfühle, der durch den Zaun hindurch so Abartiges verbeißen möchte, verschweige ich.
Zwar frage ich auch nach einem Fußweg über die Autobahn, aber die nördlich gelegene Wildbrücke wird mir erst im Gasthof Moritz genannt. Das wäre ideal gewesen.
Jetzt nur einige Umwege hinter der Autobahn und neben der pikobello geradlinigen Straße (deren Sanierung machte den Zeltplatz Rädigke eine Zeit lang unerträglich). Der Verlauf von Waldrändern ist immer ein spannendes Rätsel. Auch vor Rädigke lockt ein inselartiger, alter Baumbestand in der Feldflur: einstiges Wasserloch als wilde Müllkippe verfüllt und/oder – wahrscheinlich alles zusammen – vor- und frühgeschichtlicher Ort. Ich scheuche eine kleine Herde Damwild auf, fast weiß. Immerhin. Ansonsten heißt die fachmännische Auskunft zur diesjährigen Brunftzeit zumindest des Rotwildes: “Es hat sowieso sehr nachgelassen, warum auch immer.” Ich ahne: die Wölfe sind satt – von was auch immer. Und dort, wo die Bestände noch dicht sind, wolln die Jäger keine Fremden zur besten Jagdzeit.
Mein Wanderbedarf ist gedeckt. Im Gasthof Moritz bringt mich ein Kaffee zu neuem Leben, die Lesung von Ingo Schulze “Peter Holtz” zu neuen Lesersichten und: eigentlich wollt ich kein Fleisch, schon gar nicht von den göttinnengleich großäugigen und zutraulichen Rindern (mit Grimm vom Fuchs, nicht den Wölfen lernen: die Menschen sind falsch!). Dann greif ich nämlich doch – eingeladen vom Schriftsteller – nach einer Roulade made in Gasthof Moritz: zart, wie wolfsfrisch gerissen…
* Natürlich gibt es viele nette Wolfsberichte. Ob es Jägerlatein ist, dass die Wölfe nach dem Schuß blitzschnell die schweißende Beute klauen? Meine eigenen Gedanken sind zwiespältig mit nicht zum Wolf passenden Wünschen, zumindest was die Anzahl der Rudel betrifft.
** Es gibt keine sichere Interpretation von Schalen- oder Näpfchensteinen. Die lineare Regelmäßigkeit der Löcher mit den linearen Kanten kann ich mir nur als Bearbeitung vorstellen: mühseliges Abspalten für eine gerade Oberfläche des Steines wie er für Megalithgräber verwendet wurde.